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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Anzengrubcrs Dorfgeschichten.

ihm h'rang'zogn und hinzug'druckt, während wir immer tiefer ins Buschwerk
hineing'raten sein. Mir war nit zum Schreien noch zum Davonlaufen
-- Stimm und Fuß hätten mir versagt --, bald auch nimmer zum Dreinschlagen.
's Herz war mir zum Zerspringen und auf einmal sein mir die Arm wie
abg'hackt, ich hab sie ihm übern Rücken hercibbcmmeln lassen, und der Kopf
is mir schwer worden, ich hab ihn auf sein' Achsel g'legt, und noch weiß ich
den dreifach verfluchten Fleck, wo ich ins Gras hinabg'glitten bin, matt wie
a Sterbend's, das nur mehr halb von sich weiß, und zusammenzuckend wie a
Kind, das in Fraisen liegt." Und diese Umwandlung, meint Liesel, hat kein
andrer bewirkt, als der Teufel selbst, der sich unsichtbar ihrer bemächtigte.
In diesem Glauben hat sie auf jedes eheliche Leben späterhin ganz verzichtet,
die Leute haben sie eine Zeit lang gehänselt, dann aber in Ruhe gelassen.
Auch diese Geschichte ist von einer andern umrahmt: die alte Lieselmcchm er¬
zählt sie ihrem Vetter, einem alten Schwachkopf, der doch schlau genug ist, sich
gläubig zu stellen, um nicht ihr Erbe zu verscherzen.

Doch genug der Einzelheiten. Wie es unmöglich ist, den Duft der Blume
zu beschreiben, wie man ihn nicht anders begreiflich machen kann, als indem
man die Blume selbst bringt, so war es auch nicht möglich, die Eigenart
dieser Dorfgeschichten anders als durch Proben zu veranschaulichen. Denn sieht
man näher zu, so spricht Anzengruber in seiner kraftvollen Originalität aus
jedem einzelnen Satze seiner Prosa. Mit Unrecht nennt er seine Erzählungen
"Dorfgeschichten"; an diese Bezeichnung knüpft sich die Vorstellung tendenziösen
Gegensatzes zur Stadt. Anzengruber hat aber eine Höhe der Anschauung
erreicht, die bloß die ewige Menschennatur in Betracht zieht und dichterisch
wiederspiegelt. Seine Erzählungen tragen nicht die geringsten Spuren modischer
und darum flüchtig vorübergehender Werke, sie sind volkstümlich im besten Sinne
und werden gewiß einst den unvergänglichen Schätzen unsrer Nationallitteratur
angereiht werden.




Anzengrubcrs Dorfgeschichten.

ihm h'rang'zogn und hinzug'druckt, während wir immer tiefer ins Buschwerk
hineing'raten sein. Mir war nit zum Schreien noch zum Davonlaufen
— Stimm und Fuß hätten mir versagt —, bald auch nimmer zum Dreinschlagen.
's Herz war mir zum Zerspringen und auf einmal sein mir die Arm wie
abg'hackt, ich hab sie ihm übern Rücken hercibbcmmeln lassen, und der Kopf
is mir schwer worden, ich hab ihn auf sein' Achsel g'legt, und noch weiß ich
den dreifach verfluchten Fleck, wo ich ins Gras hinabg'glitten bin, matt wie
a Sterbend's, das nur mehr halb von sich weiß, und zusammenzuckend wie a
Kind, das in Fraisen liegt." Und diese Umwandlung, meint Liesel, hat kein
andrer bewirkt, als der Teufel selbst, der sich unsichtbar ihrer bemächtigte.
In diesem Glauben hat sie auf jedes eheliche Leben späterhin ganz verzichtet,
die Leute haben sie eine Zeit lang gehänselt, dann aber in Ruhe gelassen.
Auch diese Geschichte ist von einer andern umrahmt: die alte Lieselmcchm er¬
zählt sie ihrem Vetter, einem alten Schwachkopf, der doch schlau genug ist, sich
gläubig zu stellen, um nicht ihr Erbe zu verscherzen.

Doch genug der Einzelheiten. Wie es unmöglich ist, den Duft der Blume
zu beschreiben, wie man ihn nicht anders begreiflich machen kann, als indem
man die Blume selbst bringt, so war es auch nicht möglich, die Eigenart
dieser Dorfgeschichten anders als durch Proben zu veranschaulichen. Denn sieht
man näher zu, so spricht Anzengruber in seiner kraftvollen Originalität aus
jedem einzelnen Satze seiner Prosa. Mit Unrecht nennt er seine Erzählungen
„Dorfgeschichten"; an diese Bezeichnung knüpft sich die Vorstellung tendenziösen
Gegensatzes zur Stadt. Anzengruber hat aber eine Höhe der Anschauung
erreicht, die bloß die ewige Menschennatur in Betracht zieht und dichterisch
wiederspiegelt. Seine Erzählungen tragen nicht die geringsten Spuren modischer
und darum flüchtig vorübergehender Werke, sie sind volkstümlich im besten Sinne
und werden gewiß einst den unvergänglichen Schätzen unsrer Nationallitteratur
angereiht werden.




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[0336] Anzengrubcrs Dorfgeschichten. ihm h'rang'zogn und hinzug'druckt, während wir immer tiefer ins Buschwerk hineing'raten sein. Mir war nit zum Schreien noch zum Davonlaufen — Stimm und Fuß hätten mir versagt —, bald auch nimmer zum Dreinschlagen. 's Herz war mir zum Zerspringen und auf einmal sein mir die Arm wie abg'hackt, ich hab sie ihm übern Rücken hercibbcmmeln lassen, und der Kopf is mir schwer worden, ich hab ihn auf sein' Achsel g'legt, und noch weiß ich den dreifach verfluchten Fleck, wo ich ins Gras hinabg'glitten bin, matt wie a Sterbend's, das nur mehr halb von sich weiß, und zusammenzuckend wie a Kind, das in Fraisen liegt." Und diese Umwandlung, meint Liesel, hat kein andrer bewirkt, als der Teufel selbst, der sich unsichtbar ihrer bemächtigte. In diesem Glauben hat sie auf jedes eheliche Leben späterhin ganz verzichtet, die Leute haben sie eine Zeit lang gehänselt, dann aber in Ruhe gelassen. Auch diese Geschichte ist von einer andern umrahmt: die alte Lieselmcchm er¬ zählt sie ihrem Vetter, einem alten Schwachkopf, der doch schlau genug ist, sich gläubig zu stellen, um nicht ihr Erbe zu verscherzen. Doch genug der Einzelheiten. Wie es unmöglich ist, den Duft der Blume zu beschreiben, wie man ihn nicht anders begreiflich machen kann, als indem man die Blume selbst bringt, so war es auch nicht möglich, die Eigenart dieser Dorfgeschichten anders als durch Proben zu veranschaulichen. Denn sieht man näher zu, so spricht Anzengruber in seiner kraftvollen Originalität aus jedem einzelnen Satze seiner Prosa. Mit Unrecht nennt er seine Erzählungen „Dorfgeschichten"; an diese Bezeichnung knüpft sich die Vorstellung tendenziösen Gegensatzes zur Stadt. Anzengruber hat aber eine Höhe der Anschauung erreicht, die bloß die ewige Menschennatur in Betracht zieht und dichterisch wiederspiegelt. Seine Erzählungen tragen nicht die geringsten Spuren modischer und darum flüchtig vorübergehender Werke, sie sind volkstümlich im besten Sinne und werden gewiß einst den unvergänglichen Schätzen unsrer Nationallitteratur angereiht werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/336>, abgerufen am 06.10.2024.