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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Anzengrnbers Dorfgeschichten.
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Nach der üblichen Einleitung befragt sie den Alte" wegen seiner überraschenden
.Kälte, und da er mit leeren Wendungen nicht ausweichen kann, so erklärt er
ihr rundweg, das; er mit einer Zuchthäuslerin nicht verkehre. Paulin ist ge¬
demütigt und kehrt still nach Hause zurück. Philipp fragt nun seinerseits,
warum der Onkel seine Besuche eingestellt habe, Paulin will es ihm nicht
sagen, kein Überreden, kein Drohen, kein Bitten bringt sie dazu -- auf die
glückliche Ehe ist der erste Schatten gefallen. Aber dem jungen Bauer läßt
die Unwissenheit keine Ruhe und er macht sich auf, den Onkel selbst zu befragen.
Dieser weicht wieder aus, Philipp drängt. Der Alte sagt: ""Philipperl, sei
g'sehen! Glaub du mir altem Mann, es is just zu dem'in Glück, wann ichs
Maul halt! Schau, a Beichtvater sagt ja nit 'n Monleuten d' Weibsünden
und umgekehrt, und manch Paarl, wo ein'in oder 'in andern 's Wissen viel
Kopfweh machet, lebt vergnügt sein' Tag' weiter." -- "A Beichtvater laßt sich
aber auch nix vor 'n Leuten merken, er geht sein' Beichtkindern nit aus 'in
Weg, sodaß mer vou kein'in weiß, daß 's überhaupt was z' wissen gab!" --
"Traurig g'ung." sagte aufseufzend der Alte, "wie recht du hast, daß ich zu
kein Beichtvater lang!"" So wird der bäurische Stolz des Alten zu seiner
Schuld an dem hereinbrechenden Unglück. Denn so ungeschickt ist seine diplo¬
matische Kunst, daß er den jungen Ehemann nur noch mißtrauischer gegen das
Weib stimmt, es kommt zwischen Onkel und Neffen beinahe zur Rauferei, bis
Philipp endlich das Geheimnis kennt. Nun jagt er spornstreichs zurück nach
Hause, der Alte mit, um eine Dummheit zu verhüten, nachdem er selbst eine
gemacht hat. Wütend wirft er dem bisher so geliebten Weibe die Zuchthäus¬
lerin an den Kopf, und Paulin, im ersten Sturm der Verzweiflung, unfähig,
ihm ihre Unschuld zu beweisen, geht hin und stürzt sich ins Wasser.

Die dritte Gruppe von Geschichten kann als die der schwanke bezeichnet
werden: "Der Schatzgräber," "Liesel, die an den Teufel glaubte," "Für d' Katz,"
"Wenn es einer zu schlau macht," "'s Moorhofers Traum" und "Nit gehn
them thats" gehören hierher. Die ersten zwei sind wieder köstliche Beiträge
zur Psychologie des bäurischen Teufelsglaubens. Der "Schatzgräber" ist eine
Erzählung, die von einem bekannten Aufschneider im Wirtshaus vorgetragen
wird; die Wirkung auf die Gäste ist kein geringer Teil des in ihr sprudelnden
Humors. Zum Gruseln erzählt da einer von einer Begegnung mit dem leib¬
haftigen Teufel beim Ausgraben eines mit Silberlingen gefüllten Topfes, und
ohne seine noch seiner Kinder Seele zu verschreiben, hat er des Teufels Mit¬
hilfe erlistet.

Eine Geschichte, die auch Rabelais Hütte vortragen können, so derbkräftig
ist sie und doch so reich an Poesie, ist die von der "Liesel, die an den Teufel
glaubte." Liesel ist jetzt eine einsame, ledige, verwitterte, runzlige alte Bäuerin,
die von den Dörflern als Kuriosum belächelt wird, weil sie wahrhaftig an den
Teufel glaubt und andern die Überzeugung von seiner Existenz beizubringen


Anzengrnbers Dorfgeschichten.
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Nach der üblichen Einleitung befragt sie den Alte» wegen seiner überraschenden
.Kälte, und da er mit leeren Wendungen nicht ausweichen kann, so erklärt er
ihr rundweg, das; er mit einer Zuchthäuslerin nicht verkehre. Paulin ist ge¬
demütigt und kehrt still nach Hause zurück. Philipp fragt nun seinerseits,
warum der Onkel seine Besuche eingestellt habe, Paulin will es ihm nicht
sagen, kein Überreden, kein Drohen, kein Bitten bringt sie dazu — auf die
glückliche Ehe ist der erste Schatten gefallen. Aber dem jungen Bauer läßt
die Unwissenheit keine Ruhe und er macht sich auf, den Onkel selbst zu befragen.
Dieser weicht wieder aus, Philipp drängt. Der Alte sagt: „»Philipperl, sei
g'sehen! Glaub du mir altem Mann, es is just zu dem'in Glück, wann ichs
Maul halt! Schau, a Beichtvater sagt ja nit 'n Monleuten d' Weibsünden
und umgekehrt, und manch Paarl, wo ein'in oder 'in andern 's Wissen viel
Kopfweh machet, lebt vergnügt sein' Tag' weiter.« — »A Beichtvater laßt sich
aber auch nix vor 'n Leuten merken, er geht sein' Beichtkindern nit aus 'in
Weg, sodaß mer vou kein'in weiß, daß 's überhaupt was z' wissen gab!« —
»Traurig g'ung.« sagte aufseufzend der Alte, »wie recht du hast, daß ich zu
kein Beichtvater lang!«" So wird der bäurische Stolz des Alten zu seiner
Schuld an dem hereinbrechenden Unglück. Denn so ungeschickt ist seine diplo¬
matische Kunst, daß er den jungen Ehemann nur noch mißtrauischer gegen das
Weib stimmt, es kommt zwischen Onkel und Neffen beinahe zur Rauferei, bis
Philipp endlich das Geheimnis kennt. Nun jagt er spornstreichs zurück nach
Hause, der Alte mit, um eine Dummheit zu verhüten, nachdem er selbst eine
gemacht hat. Wütend wirft er dem bisher so geliebten Weibe die Zuchthäus¬
lerin an den Kopf, und Paulin, im ersten Sturm der Verzweiflung, unfähig,
ihm ihre Unschuld zu beweisen, geht hin und stürzt sich ins Wasser.

Die dritte Gruppe von Geschichten kann als die der schwanke bezeichnet
werden: „Der Schatzgräber," „Liesel, die an den Teufel glaubte," „Für d' Katz,"
„Wenn es einer zu schlau macht," „'s Moorhofers Traum" und „Nit gehn
them thats" gehören hierher. Die ersten zwei sind wieder köstliche Beiträge
zur Psychologie des bäurischen Teufelsglaubens. Der „Schatzgräber" ist eine
Erzählung, die von einem bekannten Aufschneider im Wirtshaus vorgetragen
wird; die Wirkung auf die Gäste ist kein geringer Teil des in ihr sprudelnden
Humors. Zum Gruseln erzählt da einer von einer Begegnung mit dem leib¬
haftigen Teufel beim Ausgraben eines mit Silberlingen gefüllten Topfes, und
ohne seine noch seiner Kinder Seele zu verschreiben, hat er des Teufels Mit¬
hilfe erlistet.

Eine Geschichte, die auch Rabelais Hütte vortragen können, so derbkräftig
ist sie und doch so reich an Poesie, ist die von der „Liesel, die an den Teufel
glaubte." Liesel ist jetzt eine einsame, ledige, verwitterte, runzlige alte Bäuerin,
die von den Dörflern als Kuriosum belächelt wird, weil sie wahrhaftig an den
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[0334] Anzengrnbers Dorfgeschichten. ........-------------- Nach der üblichen Einleitung befragt sie den Alte» wegen seiner überraschenden .Kälte, und da er mit leeren Wendungen nicht ausweichen kann, so erklärt er ihr rundweg, das; er mit einer Zuchthäuslerin nicht verkehre. Paulin ist ge¬ demütigt und kehrt still nach Hause zurück. Philipp fragt nun seinerseits, warum der Onkel seine Besuche eingestellt habe, Paulin will es ihm nicht sagen, kein Überreden, kein Drohen, kein Bitten bringt sie dazu — auf die glückliche Ehe ist der erste Schatten gefallen. Aber dem jungen Bauer läßt die Unwissenheit keine Ruhe und er macht sich auf, den Onkel selbst zu befragen. Dieser weicht wieder aus, Philipp drängt. Der Alte sagt: „»Philipperl, sei g'sehen! Glaub du mir altem Mann, es is just zu dem'in Glück, wann ichs Maul halt! Schau, a Beichtvater sagt ja nit 'n Monleuten d' Weibsünden und umgekehrt, und manch Paarl, wo ein'in oder 'in andern 's Wissen viel Kopfweh machet, lebt vergnügt sein' Tag' weiter.« — »A Beichtvater laßt sich aber auch nix vor 'n Leuten merken, er geht sein' Beichtkindern nit aus 'in Weg, sodaß mer vou kein'in weiß, daß 's überhaupt was z' wissen gab!« — »Traurig g'ung.« sagte aufseufzend der Alte, »wie recht du hast, daß ich zu kein Beichtvater lang!«" So wird der bäurische Stolz des Alten zu seiner Schuld an dem hereinbrechenden Unglück. Denn so ungeschickt ist seine diplo¬ matische Kunst, daß er den jungen Ehemann nur noch mißtrauischer gegen das Weib stimmt, es kommt zwischen Onkel und Neffen beinahe zur Rauferei, bis Philipp endlich das Geheimnis kennt. Nun jagt er spornstreichs zurück nach Hause, der Alte mit, um eine Dummheit zu verhüten, nachdem er selbst eine gemacht hat. Wütend wirft er dem bisher so geliebten Weibe die Zuchthäus¬ lerin an den Kopf, und Paulin, im ersten Sturm der Verzweiflung, unfähig, ihm ihre Unschuld zu beweisen, geht hin und stürzt sich ins Wasser. Die dritte Gruppe von Geschichten kann als die der schwanke bezeichnet werden: „Der Schatzgräber," „Liesel, die an den Teufel glaubte," „Für d' Katz," „Wenn es einer zu schlau macht," „'s Moorhofers Traum" und „Nit gehn them thats" gehören hierher. Die ersten zwei sind wieder köstliche Beiträge zur Psychologie des bäurischen Teufelsglaubens. Der „Schatzgräber" ist eine Erzählung, die von einem bekannten Aufschneider im Wirtshaus vorgetragen wird; die Wirkung auf die Gäste ist kein geringer Teil des in ihr sprudelnden Humors. Zum Gruseln erzählt da einer von einer Begegnung mit dem leib¬ haftigen Teufel beim Ausgraben eines mit Silberlingen gefüllten Topfes, und ohne seine noch seiner Kinder Seele zu verschreiben, hat er des Teufels Mit¬ hilfe erlistet. Eine Geschichte, die auch Rabelais Hütte vortragen können, so derbkräftig ist sie und doch so reich an Poesie, ist die von der „Liesel, die an den Teufel glaubte." Liesel ist jetzt eine einsame, ledige, verwitterte, runzlige alte Bäuerin, die von den Dörflern als Kuriosum belächelt wird, weil sie wahrhaftig an den Teufel glaubt und andern die Überzeugung von seiner Existenz beizubringen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/334>, abgerufen am 01.09.2024.