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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

Nutzer, der sich später um die Durchführung der Reformation in Straßburg
verdient gemacht und an den Vermittlungsversuchen zwischen den Oberdeutschen
und den Wittenbergern in Betreff der Abendmahlslehre hervorragenden Anteil
gehabt hat.

An den langen Winterabenden saßen sie dort beisammen in lebhaftester
Unterhaltung. Da sprühte der kleine, schmächtige Flüchtling von innerm Feuer
und suchte dem einflußreichen Burgherrn ein tieferes Verständnis für die
brennenden Fragen der Zeit zu eröffnen. Unter der von kraus gelocktem Haar
beschatteten breiten Stirn Sickingens aber erglühten die großen, ruhigen Augen,
wenn er von dem Wittenberger Mönche horte, dessen mutiges Auftreten allein
schon den tapfern Ritter für ihn einnahm. Eine neue Welt that sich da dem
wackern Haudegen auf, und obgleich seine Vorbildung über die übliche der Ritter
nicht hinausging, so wußte er doch mit seinem klaren Verstände richtig zu er¬
fassen, was ihm so feurig vorgetragen wurde. Es verging zuletzt kein Abend
mehr, wo Hütten ihm nicht aus Luthers Schriften etwas vorlesen oder erklären
mußte. Er lebte sich ganz ein in diesen Gedankenkreis, sodaß er zuletzt jeden
Einwand selbst zu widerlegen imstande war. Hütten selbst aber entwickelte sich
ebenfalls weiter und begann jetzt über ein Vorurteil seines Standes allmählich
Herr zu werden, das in manchen seiner frühern Schriften grell zu Tage ge¬
treten war, den Groll des Adels gegen die Städte. Vor allem aber wandte
er sich an den Kaiser in einem Schreiben, das Sickingen diesem überreichen
sollte, als der Ritter im Oktober zur Krönung nach Aachen ging; dann in einem
Sendschreiben an die Deutschen aller Stände, worin er darlegt, daß es sein
Eintreten für die Ehre und Freiheit Deutschlands sei, weshalb er verfolgt werde,
und worin er allen Deutschen zuruft: "Stehet mir bei, meine Landsleute! lasset
den nicht in Ketten legen, der eure Ketten sprengen wollte!" Weitere Send¬
schreiben schickte er an den Erzbischof von Mainz und vor allem an den Kur¬
fürsten von Sachsen, Friedrich den Weisen, welchen er aufforderte, mannhaft
einzutreten für die Sache, die sein großer Unterthan Martin Luther begonnen
habe. Ihn selber werde man immer unter den Vordersten im Kampfe finden,
schreibt Hütten, "ich werde frei bleiben, weil ich den Tod nicht fürchte. . . .
Denn sterben kann ich, aber Knecht sein kann ich nicht." Auch Deutschland ge¬
knechtet sehen könne er nicht. Der Tag werde wohl noch kommen, da er aus
seinem Zufluchtsort werde hervortreten und der Deutschen Treu und Glauben
also anrufen dürfen: "Ist keiner da, der um gemeiner Freiheit willen mit Hütten
zu sterben wagt?" "Das habe ich -- schließt er seinen Brief an Luthers Kur¬
fürsten -- mehr der Bewegung meines Gemüts als deiner Würde gemäß frei¬
mütig geschrieben; allein ich hoffe von dir das Beste." (Schluß folgt.)




Grenzboten II. 1833.4
Ulrich von Hütten.

Nutzer, der sich später um die Durchführung der Reformation in Straßburg
verdient gemacht und an den Vermittlungsversuchen zwischen den Oberdeutschen
und den Wittenbergern in Betreff der Abendmahlslehre hervorragenden Anteil
gehabt hat.

An den langen Winterabenden saßen sie dort beisammen in lebhaftester
Unterhaltung. Da sprühte der kleine, schmächtige Flüchtling von innerm Feuer
und suchte dem einflußreichen Burgherrn ein tieferes Verständnis für die
brennenden Fragen der Zeit zu eröffnen. Unter der von kraus gelocktem Haar
beschatteten breiten Stirn Sickingens aber erglühten die großen, ruhigen Augen,
wenn er von dem Wittenberger Mönche horte, dessen mutiges Auftreten allein
schon den tapfern Ritter für ihn einnahm. Eine neue Welt that sich da dem
wackern Haudegen auf, und obgleich seine Vorbildung über die übliche der Ritter
nicht hinausging, so wußte er doch mit seinem klaren Verstände richtig zu er¬
fassen, was ihm so feurig vorgetragen wurde. Es verging zuletzt kein Abend
mehr, wo Hütten ihm nicht aus Luthers Schriften etwas vorlesen oder erklären
mußte. Er lebte sich ganz ein in diesen Gedankenkreis, sodaß er zuletzt jeden
Einwand selbst zu widerlegen imstande war. Hütten selbst aber entwickelte sich
ebenfalls weiter und begann jetzt über ein Vorurteil seines Standes allmählich
Herr zu werden, das in manchen seiner frühern Schriften grell zu Tage ge¬
treten war, den Groll des Adels gegen die Städte. Vor allem aber wandte
er sich an den Kaiser in einem Schreiben, das Sickingen diesem überreichen
sollte, als der Ritter im Oktober zur Krönung nach Aachen ging; dann in einem
Sendschreiben an die Deutschen aller Stände, worin er darlegt, daß es sein
Eintreten für die Ehre und Freiheit Deutschlands sei, weshalb er verfolgt werde,
und worin er allen Deutschen zuruft: „Stehet mir bei, meine Landsleute! lasset
den nicht in Ketten legen, der eure Ketten sprengen wollte!" Weitere Send¬
schreiben schickte er an den Erzbischof von Mainz und vor allem an den Kur¬
fürsten von Sachsen, Friedrich den Weisen, welchen er aufforderte, mannhaft
einzutreten für die Sache, die sein großer Unterthan Martin Luther begonnen
habe. Ihn selber werde man immer unter den Vordersten im Kampfe finden,
schreibt Hütten, „ich werde frei bleiben, weil ich den Tod nicht fürchte. . . .
Denn sterben kann ich, aber Knecht sein kann ich nicht." Auch Deutschland ge¬
knechtet sehen könne er nicht. Der Tag werde wohl noch kommen, da er aus
seinem Zufluchtsort werde hervortreten und der Deutschen Treu und Glauben
also anrufen dürfen: „Ist keiner da, der um gemeiner Freiheit willen mit Hütten
zu sterben wagt?" „Das habe ich — schließt er seinen Brief an Luthers Kur¬
fürsten — mehr der Bewegung meines Gemüts als deiner Würde gemäß frei¬
mütig geschrieben; allein ich hoffe von dir das Beste." (Schluß folgt.)




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[0033] Ulrich von Hütten. Nutzer, der sich später um die Durchführung der Reformation in Straßburg verdient gemacht und an den Vermittlungsversuchen zwischen den Oberdeutschen und den Wittenbergern in Betreff der Abendmahlslehre hervorragenden Anteil gehabt hat. An den langen Winterabenden saßen sie dort beisammen in lebhaftester Unterhaltung. Da sprühte der kleine, schmächtige Flüchtling von innerm Feuer und suchte dem einflußreichen Burgherrn ein tieferes Verständnis für die brennenden Fragen der Zeit zu eröffnen. Unter der von kraus gelocktem Haar beschatteten breiten Stirn Sickingens aber erglühten die großen, ruhigen Augen, wenn er von dem Wittenberger Mönche horte, dessen mutiges Auftreten allein schon den tapfern Ritter für ihn einnahm. Eine neue Welt that sich da dem wackern Haudegen auf, und obgleich seine Vorbildung über die übliche der Ritter nicht hinausging, so wußte er doch mit seinem klaren Verstände richtig zu er¬ fassen, was ihm so feurig vorgetragen wurde. Es verging zuletzt kein Abend mehr, wo Hütten ihm nicht aus Luthers Schriften etwas vorlesen oder erklären mußte. Er lebte sich ganz ein in diesen Gedankenkreis, sodaß er zuletzt jeden Einwand selbst zu widerlegen imstande war. Hütten selbst aber entwickelte sich ebenfalls weiter und begann jetzt über ein Vorurteil seines Standes allmählich Herr zu werden, das in manchen seiner frühern Schriften grell zu Tage ge¬ treten war, den Groll des Adels gegen die Städte. Vor allem aber wandte er sich an den Kaiser in einem Schreiben, das Sickingen diesem überreichen sollte, als der Ritter im Oktober zur Krönung nach Aachen ging; dann in einem Sendschreiben an die Deutschen aller Stände, worin er darlegt, daß es sein Eintreten für die Ehre und Freiheit Deutschlands sei, weshalb er verfolgt werde, und worin er allen Deutschen zuruft: „Stehet mir bei, meine Landsleute! lasset den nicht in Ketten legen, der eure Ketten sprengen wollte!" Weitere Send¬ schreiben schickte er an den Erzbischof von Mainz und vor allem an den Kur¬ fürsten von Sachsen, Friedrich den Weisen, welchen er aufforderte, mannhaft einzutreten für die Sache, die sein großer Unterthan Martin Luther begonnen habe. Ihn selber werde man immer unter den Vordersten im Kampfe finden, schreibt Hütten, „ich werde frei bleiben, weil ich den Tod nicht fürchte. . . . Denn sterben kann ich, aber Knecht sein kann ich nicht." Auch Deutschland ge¬ knechtet sehen könne er nicht. Der Tag werde wohl noch kommen, da er aus seinem Zufluchtsort werde hervortreten und der Deutschen Treu und Glauben also anrufen dürfen: „Ist keiner da, der um gemeiner Freiheit willen mit Hütten zu sterben wagt?" „Das habe ich — schließt er seinen Brief an Luthers Kur¬ fürsten — mehr der Bewegung meines Gemüts als deiner Würde gemäß frei¬ mütig geschrieben; allein ich hoffe von dir das Beste." (Schluß folgt.) Grenzboten II. 1833.4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/33>, abgerufen am 01.09.2024.