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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Unpopnlcirität der Jurisprudenz,

ihre Muskeln erst ausbilden müssen, um mit Anstand öffentlich aufzutreten, so
gilt das Gleiche auch von den Juristen hinsichtlich ihrer Denkkraft und ihrer
Redekunst. Dazu kommt noch eins. Ein Unteroffizier, der seinem Rekruten
Befehle giebt, richtet diese Befehle darnach ein, daß sie wörtlich ohne weiteres
Nachdenken befolgt werden können; ein Feldherr aber, der einem General
während einer Schlacht eine Anweisung zuschickt, muß sich mit einer allgemeinen
Andeutung begnügen und erwarten, daß der General dnrch eignes Denken den
Befehl ergänzen werde. Der Jurist in ärmlichen Verhältnissen gleicht jenem
Rekruten, der Richter, der in einem entwickelten Verkehrsleben arbeitet, dem
höhern Offizier. Je reichhaltiger die Verkehrsverhältnisse werden, desto mehr
verwandeln sich die Gesetze aus bloßen Befehlen, die einfach ausgeführt werden,
in allgemeine Andeutungen, die dem richterlichen Ermessen bloße Schranken
setzen. Innerhalb dieser Schranken ist das richterliche Ermessen frei, gerade
wie das Ermessen des Befehlshabers, aber bei diesem und ebenso wie bei dem
Richter ist es nicht die Willkür eines unbeschränkten Beliebens, sondern eine
Antwort auf die Frage, was dem Heile des Vaterlandes am besten entspricht,
die sein Verhalten bestimmen soll. Dasjenige aber, was dem Heile eines Volkes
in der Schlacht entspricht, lernt der General aus der Kriegsgeschichte, was ihm
in der Rechtsprechung zukommt, der Jurist aus der vaterländischen Geschichte
seines Rechtes und der Geschichte derjenigen Völker, deren geistige Nachkommen
wir sind.

Ein in wissenschaftlicher Hinsicht nicht durchgebildeter Richter kann daher
nur etwa in dem Sinne ertragen werden, in welchem unser Heer die Einrich¬
tung der Reserveoffiziere kennt. Sie bilden eine wertvolle Ergänzung des
Osfizierstandes für den Ernstfall, niemals aber den eigentlichen Kern des Heeres.
In der Front wie im Gerichtssaale muß der Sachverständige den Ausschlag
geben, der Dilettant sich in Selbsterkenntnis als dienendes Glied in das Ganze
einordnen und sich durch Privatfleiß einen kleinen Ersatz für die fehlende Be¬
rufsbildung zu verschaffen suchen.

Der Unterschied zwischen Juristen und Laien ist also kein Unterschied, der
der Rechtspflege eigentümlich ist. Er wiederholt sich in jedem Berufsstande,
bis in das Handwerk hinein. Er ist der Gegensatz zwischen dem Fachmanne,
der seine Sache gelernt hat, und demjenigen, der statt dessen vielleicht etwas
andres gelernt hat, aber jedenfalls diese Sache nicht versteht.

Wenn also unsre Jurisprudenz unpopulär werden mußte, so bleibt immerhin
etwas Wahres daran, daß der hohe Grad von UnPopularität, den sie nach der
Aufnahme der fremden Rechtsgedanken zunächst bei uns besaß, über das notwendige
Maß hinausging. Ich lehne mich hier auch an die Thatsache an, daß zwei
der volkstümlichsten Gestalten unsrer Geschichte, Martin Luther und Friedrich
der Große, sich über die Jurisprudenz ihrer Zeit mit größter Erbitterung und
Entrüstung geäußert haben. Wir müssen allerdings annehmen, daß ihre herben


Die Unpopnlcirität der Jurisprudenz,

ihre Muskeln erst ausbilden müssen, um mit Anstand öffentlich aufzutreten, so
gilt das Gleiche auch von den Juristen hinsichtlich ihrer Denkkraft und ihrer
Redekunst. Dazu kommt noch eins. Ein Unteroffizier, der seinem Rekruten
Befehle giebt, richtet diese Befehle darnach ein, daß sie wörtlich ohne weiteres
Nachdenken befolgt werden können; ein Feldherr aber, der einem General
während einer Schlacht eine Anweisung zuschickt, muß sich mit einer allgemeinen
Andeutung begnügen und erwarten, daß der General dnrch eignes Denken den
Befehl ergänzen werde. Der Jurist in ärmlichen Verhältnissen gleicht jenem
Rekruten, der Richter, der in einem entwickelten Verkehrsleben arbeitet, dem
höhern Offizier. Je reichhaltiger die Verkehrsverhältnisse werden, desto mehr
verwandeln sich die Gesetze aus bloßen Befehlen, die einfach ausgeführt werden,
in allgemeine Andeutungen, die dem richterlichen Ermessen bloße Schranken
setzen. Innerhalb dieser Schranken ist das richterliche Ermessen frei, gerade
wie das Ermessen des Befehlshabers, aber bei diesem und ebenso wie bei dem
Richter ist es nicht die Willkür eines unbeschränkten Beliebens, sondern eine
Antwort auf die Frage, was dem Heile des Vaterlandes am besten entspricht,
die sein Verhalten bestimmen soll. Dasjenige aber, was dem Heile eines Volkes
in der Schlacht entspricht, lernt der General aus der Kriegsgeschichte, was ihm
in der Rechtsprechung zukommt, der Jurist aus der vaterländischen Geschichte
seines Rechtes und der Geschichte derjenigen Völker, deren geistige Nachkommen
wir sind.

Ein in wissenschaftlicher Hinsicht nicht durchgebildeter Richter kann daher
nur etwa in dem Sinne ertragen werden, in welchem unser Heer die Einrich¬
tung der Reserveoffiziere kennt. Sie bilden eine wertvolle Ergänzung des
Osfizierstandes für den Ernstfall, niemals aber den eigentlichen Kern des Heeres.
In der Front wie im Gerichtssaale muß der Sachverständige den Ausschlag
geben, der Dilettant sich in Selbsterkenntnis als dienendes Glied in das Ganze
einordnen und sich durch Privatfleiß einen kleinen Ersatz für die fehlende Be¬
rufsbildung zu verschaffen suchen.

Der Unterschied zwischen Juristen und Laien ist also kein Unterschied, der
der Rechtspflege eigentümlich ist. Er wiederholt sich in jedem Berufsstande,
bis in das Handwerk hinein. Er ist der Gegensatz zwischen dem Fachmanne,
der seine Sache gelernt hat, und demjenigen, der statt dessen vielleicht etwas
andres gelernt hat, aber jedenfalls diese Sache nicht versteht.

Wenn also unsre Jurisprudenz unpopulär werden mußte, so bleibt immerhin
etwas Wahres daran, daß der hohe Grad von UnPopularität, den sie nach der
Aufnahme der fremden Rechtsgedanken zunächst bei uns besaß, über das notwendige
Maß hinausging. Ich lehne mich hier auch an die Thatsache an, daß zwei
der volkstümlichsten Gestalten unsrer Geschichte, Martin Luther und Friedrich
der Große, sich über die Jurisprudenz ihrer Zeit mit größter Erbitterung und
Entrüstung geäußert haben. Wir müssen allerdings annehmen, daß ihre herben


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[0327] Die Unpopnlcirität der Jurisprudenz, ihre Muskeln erst ausbilden müssen, um mit Anstand öffentlich aufzutreten, so gilt das Gleiche auch von den Juristen hinsichtlich ihrer Denkkraft und ihrer Redekunst. Dazu kommt noch eins. Ein Unteroffizier, der seinem Rekruten Befehle giebt, richtet diese Befehle darnach ein, daß sie wörtlich ohne weiteres Nachdenken befolgt werden können; ein Feldherr aber, der einem General während einer Schlacht eine Anweisung zuschickt, muß sich mit einer allgemeinen Andeutung begnügen und erwarten, daß der General dnrch eignes Denken den Befehl ergänzen werde. Der Jurist in ärmlichen Verhältnissen gleicht jenem Rekruten, der Richter, der in einem entwickelten Verkehrsleben arbeitet, dem höhern Offizier. Je reichhaltiger die Verkehrsverhältnisse werden, desto mehr verwandeln sich die Gesetze aus bloßen Befehlen, die einfach ausgeführt werden, in allgemeine Andeutungen, die dem richterlichen Ermessen bloße Schranken setzen. Innerhalb dieser Schranken ist das richterliche Ermessen frei, gerade wie das Ermessen des Befehlshabers, aber bei diesem und ebenso wie bei dem Richter ist es nicht die Willkür eines unbeschränkten Beliebens, sondern eine Antwort auf die Frage, was dem Heile des Vaterlandes am besten entspricht, die sein Verhalten bestimmen soll. Dasjenige aber, was dem Heile eines Volkes in der Schlacht entspricht, lernt der General aus der Kriegsgeschichte, was ihm in der Rechtsprechung zukommt, der Jurist aus der vaterländischen Geschichte seines Rechtes und der Geschichte derjenigen Völker, deren geistige Nachkommen wir sind. Ein in wissenschaftlicher Hinsicht nicht durchgebildeter Richter kann daher nur etwa in dem Sinne ertragen werden, in welchem unser Heer die Einrich¬ tung der Reserveoffiziere kennt. Sie bilden eine wertvolle Ergänzung des Osfizierstandes für den Ernstfall, niemals aber den eigentlichen Kern des Heeres. In der Front wie im Gerichtssaale muß der Sachverständige den Ausschlag geben, der Dilettant sich in Selbsterkenntnis als dienendes Glied in das Ganze einordnen und sich durch Privatfleiß einen kleinen Ersatz für die fehlende Be¬ rufsbildung zu verschaffen suchen. Der Unterschied zwischen Juristen und Laien ist also kein Unterschied, der der Rechtspflege eigentümlich ist. Er wiederholt sich in jedem Berufsstande, bis in das Handwerk hinein. Er ist der Gegensatz zwischen dem Fachmanne, der seine Sache gelernt hat, und demjenigen, der statt dessen vielleicht etwas andres gelernt hat, aber jedenfalls diese Sache nicht versteht. Wenn also unsre Jurisprudenz unpopulär werden mußte, so bleibt immerhin etwas Wahres daran, daß der hohe Grad von UnPopularität, den sie nach der Aufnahme der fremden Rechtsgedanken zunächst bei uns besaß, über das notwendige Maß hinausging. Ich lehne mich hier auch an die Thatsache an, daß zwei der volkstümlichsten Gestalten unsrer Geschichte, Martin Luther und Friedrich der Große, sich über die Jurisprudenz ihrer Zeit mit größter Erbitterung und Entrüstung geäußert haben. Wir müssen allerdings annehmen, daß ihre herben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/327>, abgerufen am 01.09.2024.