Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Die Unpopularität der Jurisprudenz. alle Bezeichnungen italienischen Ursprungs, prüfe mit mir alle Fabrikations¬ So ist unser ganzes Volksleben aus fremdländischen Einflüssen zusammen¬ Wo die Gesetzgebungsthätigkeit nur eine geringe war, da mußte der Grundsatz *) Ich betrachte den nachgelassenen Band von Rankes Weltgeschichte, der endlich auch
von protestantischer Seite in diesem Punkte dem Gegner gerecht wird, für das schönste Weih¬ nachtsgeschenk, das der Büchermarkt dem deutschen Volke im vorigen Jahre gewährt hat. Die Unpopularität der Jurisprudenz. alle Bezeichnungen italienischen Ursprungs, prüfe mit mir alle Fabrikations¬ So ist unser ganzes Volksleben aus fremdländischen Einflüssen zusammen¬ Wo die Gesetzgebungsthätigkeit nur eine geringe war, da mußte der Grundsatz *) Ich betrachte den nachgelassenen Band von Rankes Weltgeschichte, der endlich auch
von protestantischer Seite in diesem Punkte dem Gegner gerecht wird, für das schönste Weih¬ nachtsgeschenk, das der Büchermarkt dem deutschen Volke im vorigen Jahre gewährt hat. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203099"/> <fw type="header" place="top"> Die Unpopularität der Jurisprudenz.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1046" prev="#ID_1045"> alle Bezeichnungen italienischen Ursprungs, prüfe mit mir alle Fabrikations¬<lb/> methoden von den mechanischen bis zu den elektrischen. Die Trambahn zeigt<lb/> in der ersten Hälfte des Wortes, die Dampfmaschine in der zweiten den<lb/> fremden Ursprung des Wortes. Selbst in der freien Landluft begegnet der<lb/> Sprachreiniger der Lokomobile und der Drainage als ausländischen Schreck¬<lb/> gespenstern. Sollten wir nun wirklich alle diese Dinge verdeutschen, so würden<lb/> wir uns dadurch doch nicht die Mühe ersparen können, ihre auswärtige Ent¬<lb/> stehungsgeschichte zu erforschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1047"> So ist unser ganzes Volksleben aus fremdländischen Einflüssen zusammen¬<lb/> geschmolzen. Mit dem Rechte verhält es sich nicht anders. Was draußen<lb/> bereits erfunden ist, braucht man im Inlande nicht nochmals zu erfinden.<lb/> Bilden sich also bei uns neue Lebensformen, die anderwärts schon bestehen, und<lb/> finden sich da draußen Rechtssätze, die diesen Lebensformen entsprechen und sich<lb/> bewährt haben, so kann man sich schlechterdings dem nicht entziehen, sie auf¬<lb/> zunehmen. So war es auch in Deutschland. Nachdem die Völkerwanderung<lb/> die alte Zivilisation, Wissenschaft und Kunst, Handwerk, Handel und Industrie<lb/> in den Grund und Boden niedergetreten hatte, suchten die Besten im Volke die<lb/> wenigen Neste, die den rauchenden Trümmern entnommen waren, dem un¬<lb/> wissenden Volke mitzuteilen, um sein Denken zu dem Reichtums zu erheben, den<lb/> die Welt schon einmal besessen hatte, um ihr Empfinden zu jener Feinheit zu<lb/> veredeln, die aus den Überresten des Altertums nur von wenigen verstanden<lb/> eine trotzdem wohl vernehmliche Sprache redete. Langsam und mühsam wurde<lb/> die Arbeit begonnen. Dem römischen Papsttum fiel der Löwenanteil an dieser<lb/> Kulturaufgabe zu; es hat sie nach Kräften zu erfüllen gesucht.*) Von Rom<lb/> gefördert, entstand zunächst in Italien, dann in Deutschland die Erinnerung an<lb/> die vergessenen Kulturschätze der Menschheit, drüben eher als hier. Das römische<lb/> Recht war nur ein Teil von ihnen. Sobald man es kannte, mußte es als<lb/> Kaiserrecht von selbst gelten, und zwar da zuerst, wo, wie in den Städten, die<lb/> Bildung zunächst auflebte. Man glaube nur nicht, daß ein brauchbares reines<lb/> deutsches Recht, wie es nach der Behauptung mancher Gelehrten vom römischen<lb/> verdrängt worden sein soll, überhaupt vorhanden war. Auch das älteste deutsche<lb/> Recht ist von römischen Gedanken beeinflußt und ohne Kenntnis des römischen<lb/> unverständlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1048" next="#ID_1049"> Wo die Gesetzgebungsthätigkeit nur eine geringe war, da mußte der Grundsatz<lb/> gelten, daß der Rechtsschutz dann zu gewähren ist, wenn es das Gemeinwohl<lb/> verlangt. Da man nun fand, daß die Römer in der Frage, was der Gesamt¬<lb/> heit nützlich sei, weiter sahen als die damaligen Staatsmänner, so war es<lb/> selbstverständlich, daß man von ihnen lernte, sich ihre Gedanken ohne weiteres</p><lb/> <note xml:id="FID_15" place="foot"> *) Ich betrachte den nachgelassenen Band von Rankes Weltgeschichte, der endlich auch<lb/> von protestantischer Seite in diesem Punkte dem Gegner gerecht wird, für das schönste Weih¬<lb/> nachtsgeschenk, das der Büchermarkt dem deutschen Volke im vorigen Jahre gewährt hat.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
Die Unpopularität der Jurisprudenz.
alle Bezeichnungen italienischen Ursprungs, prüfe mit mir alle Fabrikations¬
methoden von den mechanischen bis zu den elektrischen. Die Trambahn zeigt
in der ersten Hälfte des Wortes, die Dampfmaschine in der zweiten den
fremden Ursprung des Wortes. Selbst in der freien Landluft begegnet der
Sprachreiniger der Lokomobile und der Drainage als ausländischen Schreck¬
gespenstern. Sollten wir nun wirklich alle diese Dinge verdeutschen, so würden
wir uns dadurch doch nicht die Mühe ersparen können, ihre auswärtige Ent¬
stehungsgeschichte zu erforschen.
So ist unser ganzes Volksleben aus fremdländischen Einflüssen zusammen¬
geschmolzen. Mit dem Rechte verhält es sich nicht anders. Was draußen
bereits erfunden ist, braucht man im Inlande nicht nochmals zu erfinden.
Bilden sich also bei uns neue Lebensformen, die anderwärts schon bestehen, und
finden sich da draußen Rechtssätze, die diesen Lebensformen entsprechen und sich
bewährt haben, so kann man sich schlechterdings dem nicht entziehen, sie auf¬
zunehmen. So war es auch in Deutschland. Nachdem die Völkerwanderung
die alte Zivilisation, Wissenschaft und Kunst, Handwerk, Handel und Industrie
in den Grund und Boden niedergetreten hatte, suchten die Besten im Volke die
wenigen Neste, die den rauchenden Trümmern entnommen waren, dem un¬
wissenden Volke mitzuteilen, um sein Denken zu dem Reichtums zu erheben, den
die Welt schon einmal besessen hatte, um ihr Empfinden zu jener Feinheit zu
veredeln, die aus den Überresten des Altertums nur von wenigen verstanden
eine trotzdem wohl vernehmliche Sprache redete. Langsam und mühsam wurde
die Arbeit begonnen. Dem römischen Papsttum fiel der Löwenanteil an dieser
Kulturaufgabe zu; es hat sie nach Kräften zu erfüllen gesucht.*) Von Rom
gefördert, entstand zunächst in Italien, dann in Deutschland die Erinnerung an
die vergessenen Kulturschätze der Menschheit, drüben eher als hier. Das römische
Recht war nur ein Teil von ihnen. Sobald man es kannte, mußte es als
Kaiserrecht von selbst gelten, und zwar da zuerst, wo, wie in den Städten, die
Bildung zunächst auflebte. Man glaube nur nicht, daß ein brauchbares reines
deutsches Recht, wie es nach der Behauptung mancher Gelehrten vom römischen
verdrängt worden sein soll, überhaupt vorhanden war. Auch das älteste deutsche
Recht ist von römischen Gedanken beeinflußt und ohne Kenntnis des römischen
unverständlich.
Wo die Gesetzgebungsthätigkeit nur eine geringe war, da mußte der Grundsatz
gelten, daß der Rechtsschutz dann zu gewähren ist, wenn es das Gemeinwohl
verlangt. Da man nun fand, daß die Römer in der Frage, was der Gesamt¬
heit nützlich sei, weiter sahen als die damaligen Staatsmänner, so war es
selbstverständlich, daß man von ihnen lernte, sich ihre Gedanken ohne weiteres
*) Ich betrachte den nachgelassenen Band von Rankes Weltgeschichte, der endlich auch
von protestantischer Seite in diesem Punkte dem Gegner gerecht wird, für das schönste Weih¬
nachtsgeschenk, das der Büchermarkt dem deutschen Volke im vorigen Jahre gewährt hat.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |