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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Unpopnlarität der Jurisprudenz.

Gattinnen und Töchter Pflegen ihren juristischen Männern und Vätem die
gewünschte Teilnahme dann zu versagen, wenn diese es unternehmen, sie durch
Auseinandersetzung schwierigerer Rechtsfälle zu unterhalten. Juristenbälle stehen
freilich überall in besondrer Beliebtheit, allein dies rührt Wohl daher, daß
die juristischen Tänzer dort dem Dienste der Themis untreu werden und andern
Göttinnen Opfer bringen, welche nicht kaltherzig genug sind, ihre schönen Augen
durch eine Binde dem Anblicke der Mitwelt vorzuenthalten.

Aus alledem schließe ich, daß unser Beruf, mag er auch alle Vorzüge der
Welt besitzen, doch auf Popularität keinen Anspruch machen kann.

Wenn also die Jurisprudenz wirklich unpopulär ist, so drängen sich uns
die Fragen auf: War sie es immer? Wodurch ist sie es geworden? Kann und
soll sie populär werden?

Die Jurisprudenz war nicht immer so unpopulär wie jetzt. In der guten
alten Zeit war es anders. Da hielt der König unter schattigem Baumeswipfel
auf freiem Felde Gericht. Einfach waren die Formen des Verfahrens, einfach
der Sinn der Rechtssätze. Kein Wort fiel an der Gerichtsstätte, das nicht der
Letzte im Volke verstanden hätte. So war es in Deutschland, aber nicht bloß
hier, so war es überall, als das Land noch arm war, schlichte Krieger oder
zufriedene Hirten und Landleute den salomonischen Aussprüchen ihrer Richter
lauschten. Daß man sich später unter dem Drucke schwieriger Verhältnisse zu
dieser Idylle zurückgesehnt hat, ist wohl begreiflich. Im vorigen Jahrhundert
gehörte es zum guten Tone, nicht bloß die Vasen mit Schäferidyllen zu be¬
malen, sondern auch in seineu Wünschen das ganze Staatswesen auf den schlichten
Naturzustand des Hirtenlebens hinabzudrücken. Was man damals in den
Boudoirs überspannter Schöngeister flüsterte, der Wunsch nach dem Natur¬
zustande, die Herstellung eines herrenlosen Reiches von Brüdern, das hat jetzt
allmählich seinen Weg zu den Armen und Unwissenden gefunden und dort jene
Form geistiger Verkehrtheit erzeugt, welche man Anarchismus nennt. Da jedoch
inzwischen die bessern Klassen längst zur Vernunft gekommen sind und einsehen,
daß die Kultur der Menschheit mindestens so viel Nutzen wie Schaden bringt,
so werden wohl auch jene letzten Ausläufer des frühern allgemeinen Unverstandes
von den Wogen der Volksbildung überspült werden. Wenn man also nicht
mehr annimmt, daß die alte Zeit stets die bessere gewesen sei, so besteht doch
noch vielfach der andre Irrtum, daß wir sie für die schlechtere halten und daß
daher jedes Abweichen von frühern Zuständen als Verbesserung gilt. Glück¬
licherweise bekennt man sich immer mehr zu der Ansicht, daß die eine Zeit
gerade so gut sei wie die andre, und daß eine mäßige, allmähliche Verbesserung
zwar unbedingt notwendig sei, aber auch die Beibehaltung des Altbewährten
in möglichst großem Maße wünschenswert erscheine. So verhält es sich auch
mit dem Rechte. Jede Zeit hat ihre Vorzüge und ihre Schattenseiten. Die
Vorzüge jenes alten Rechtes waren seine Volkstümlichkeit, die Kehrseite war


Die Unpopnlarität der Jurisprudenz.

Gattinnen und Töchter Pflegen ihren juristischen Männern und Vätem die
gewünschte Teilnahme dann zu versagen, wenn diese es unternehmen, sie durch
Auseinandersetzung schwierigerer Rechtsfälle zu unterhalten. Juristenbälle stehen
freilich überall in besondrer Beliebtheit, allein dies rührt Wohl daher, daß
die juristischen Tänzer dort dem Dienste der Themis untreu werden und andern
Göttinnen Opfer bringen, welche nicht kaltherzig genug sind, ihre schönen Augen
durch eine Binde dem Anblicke der Mitwelt vorzuenthalten.

Aus alledem schließe ich, daß unser Beruf, mag er auch alle Vorzüge der
Welt besitzen, doch auf Popularität keinen Anspruch machen kann.

Wenn also die Jurisprudenz wirklich unpopulär ist, so drängen sich uns
die Fragen auf: War sie es immer? Wodurch ist sie es geworden? Kann und
soll sie populär werden?

Die Jurisprudenz war nicht immer so unpopulär wie jetzt. In der guten
alten Zeit war es anders. Da hielt der König unter schattigem Baumeswipfel
auf freiem Felde Gericht. Einfach waren die Formen des Verfahrens, einfach
der Sinn der Rechtssätze. Kein Wort fiel an der Gerichtsstätte, das nicht der
Letzte im Volke verstanden hätte. So war es in Deutschland, aber nicht bloß
hier, so war es überall, als das Land noch arm war, schlichte Krieger oder
zufriedene Hirten und Landleute den salomonischen Aussprüchen ihrer Richter
lauschten. Daß man sich später unter dem Drucke schwieriger Verhältnisse zu
dieser Idylle zurückgesehnt hat, ist wohl begreiflich. Im vorigen Jahrhundert
gehörte es zum guten Tone, nicht bloß die Vasen mit Schäferidyllen zu be¬
malen, sondern auch in seineu Wünschen das ganze Staatswesen auf den schlichten
Naturzustand des Hirtenlebens hinabzudrücken. Was man damals in den
Boudoirs überspannter Schöngeister flüsterte, der Wunsch nach dem Natur¬
zustande, die Herstellung eines herrenlosen Reiches von Brüdern, das hat jetzt
allmählich seinen Weg zu den Armen und Unwissenden gefunden und dort jene
Form geistiger Verkehrtheit erzeugt, welche man Anarchismus nennt. Da jedoch
inzwischen die bessern Klassen längst zur Vernunft gekommen sind und einsehen,
daß die Kultur der Menschheit mindestens so viel Nutzen wie Schaden bringt,
so werden wohl auch jene letzten Ausläufer des frühern allgemeinen Unverstandes
von den Wogen der Volksbildung überspült werden. Wenn man also nicht
mehr annimmt, daß die alte Zeit stets die bessere gewesen sei, so besteht doch
noch vielfach der andre Irrtum, daß wir sie für die schlechtere halten und daß
daher jedes Abweichen von frühern Zuständen als Verbesserung gilt. Glück¬
licherweise bekennt man sich immer mehr zu der Ansicht, daß die eine Zeit
gerade so gut sei wie die andre, und daß eine mäßige, allmähliche Verbesserung
zwar unbedingt notwendig sei, aber auch die Beibehaltung des Altbewährten
in möglichst großem Maße wünschenswert erscheine. So verhält es sich auch
mit dem Rechte. Jede Zeit hat ihre Vorzüge und ihre Schattenseiten. Die
Vorzüge jenes alten Rechtes waren seine Volkstümlichkeit, die Kehrseite war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/320>, abgerufen am 01.09.2024.