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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Unpopularität der Jurisprudenz.

Sollte nun dasjenige, was ich sage, ernstlich mißfallen, so würde ich ja meinen
Gegenstand aufs glänzendste bewiesen haben; allein ich bin nicht eigennützig,
Wohl auch nicht bescheiden genug, um mir dies zu wünschen.

Ich verstehe also unter der Jurisprudenz nicht die "Juristen" und bin
nicht etwa gesonnen, meinen Berufsgenossen die Ehre zu verkürzen, die ihnen
gebührt. Jeder junge Jurist sieht ja aus der stattlichen Liste seiner Vorder¬
männer, daß sein Berufsstand heutzutage nur allzu populär geworden ist.
Auch erwartet man wohl schwerlich von mir eine Variation über das veraltete
Thema: "Juristen böse Christen"; es entspricht den heutigen Zeitverhältnissen
nach keiner Richtung mehr.

Nicht der Berufsstand des Juristen ist unpopulär, sondern nur der Inhalt
seiner Berufsthätigkeiten, jene Denk- und Redeformen, an deren Beherrschung
man den tüchtigen Juristen erkennt. Mein Thema müßte daher in reinem
Deutsch etwa so lauten: "Warum ist der berufsmäßige Gedankenkreis unsrer
Rechtspflege so wenig volkstümlich?"

Um aber ferneren Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich auch zu dem
Ausdruck "populär" oder "volkstümlich" Stellung nehmen. Ich nenne populär
alles das, was in der großen Masse der Volksgenossen Teilnahme findet und
Aufmerksamkeit erweckt. Wir wissen, daß es für verschiedne Dinge verschiedne
Maßstäbe der Volkstümlichkeit giebt. Bei Melodien entscheidet der Leierkasten,
bei berühmten Männern das Schaufenster des Photographieladens, bei Schrift¬
stellern das Honorar, das ihnen ihr Verleger für neue Werke anbietet n. s. w.
Für den Inhalt eines Berufszweiges giebt es nach meiner Meinung nur ein
sicheres Kennzeichen der Popularität, das ist der Anteil, den er an dem üblichen
Gesprächsstoffe der Gesellschaft besitzt. Hier habe ich nun an verschiednen Orten
und Zeiten Beobachtungen gesammelt, die für mich unmöglich erfreulich sein
konnten. Gewöhnlich klagt man darüber, daß der Mensch weniger Mitleid
finde, als er wünscht. Mir ist es umgekehrt gegangen. Weiche Herzen haben
mir oft wegen meines trocknen Berufes ein Mitleidsgefühl bezeugt, das ich
weder verlangte noch verdiente. Auch habe ich beobachtet, daß, sobald die
drohende Prüfung den jungen Juristen dazu verleitet, seine Fachstudien in
die tägliche Unterhaltung einzuflechten, dann dieser Umstand den nichtjuri¬
stischen Freunden seine Unterhaltung selten begehrenswerter macht, als sie
vorher war. Bisweilen bemerkte ich sogar, daß juristische Gespräche in einer
größern Gesellschaft diejenigen, welche nichts vom Recht verstanden, geradezu
verscheuchten. Unter den vielen Dilettanten Deutschlands, welche alle Künste
und Gewerbe unsicher machen, ist mir noch niemals ein sonderbarer Schwärmer
begegnet, der die Jurisprudenz als Privatliebhaberei betrieben hätte.

Endlich das Wichtigste. In unserm Gesellschaftsleben herrscht mit vollem
Rechte das schöne Geschlecht. Dies wendet seine Gunst glücklicherweise oft dem
Juristenstande zu, niemals aber seinen Berufsgeschäften. Selbst die liebevollsten


Die Unpopularität der Jurisprudenz.

Sollte nun dasjenige, was ich sage, ernstlich mißfallen, so würde ich ja meinen
Gegenstand aufs glänzendste bewiesen haben; allein ich bin nicht eigennützig,
Wohl auch nicht bescheiden genug, um mir dies zu wünschen.

Ich verstehe also unter der Jurisprudenz nicht die „Juristen" und bin
nicht etwa gesonnen, meinen Berufsgenossen die Ehre zu verkürzen, die ihnen
gebührt. Jeder junge Jurist sieht ja aus der stattlichen Liste seiner Vorder¬
männer, daß sein Berufsstand heutzutage nur allzu populär geworden ist.
Auch erwartet man wohl schwerlich von mir eine Variation über das veraltete
Thema: „Juristen böse Christen"; es entspricht den heutigen Zeitverhältnissen
nach keiner Richtung mehr.

Nicht der Berufsstand des Juristen ist unpopulär, sondern nur der Inhalt
seiner Berufsthätigkeiten, jene Denk- und Redeformen, an deren Beherrschung
man den tüchtigen Juristen erkennt. Mein Thema müßte daher in reinem
Deutsch etwa so lauten: „Warum ist der berufsmäßige Gedankenkreis unsrer
Rechtspflege so wenig volkstümlich?"

Um aber ferneren Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich auch zu dem
Ausdruck „populär" oder „volkstümlich" Stellung nehmen. Ich nenne populär
alles das, was in der großen Masse der Volksgenossen Teilnahme findet und
Aufmerksamkeit erweckt. Wir wissen, daß es für verschiedne Dinge verschiedne
Maßstäbe der Volkstümlichkeit giebt. Bei Melodien entscheidet der Leierkasten,
bei berühmten Männern das Schaufenster des Photographieladens, bei Schrift¬
stellern das Honorar, das ihnen ihr Verleger für neue Werke anbietet n. s. w.
Für den Inhalt eines Berufszweiges giebt es nach meiner Meinung nur ein
sicheres Kennzeichen der Popularität, das ist der Anteil, den er an dem üblichen
Gesprächsstoffe der Gesellschaft besitzt. Hier habe ich nun an verschiednen Orten
und Zeiten Beobachtungen gesammelt, die für mich unmöglich erfreulich sein
konnten. Gewöhnlich klagt man darüber, daß der Mensch weniger Mitleid
finde, als er wünscht. Mir ist es umgekehrt gegangen. Weiche Herzen haben
mir oft wegen meines trocknen Berufes ein Mitleidsgefühl bezeugt, das ich
weder verlangte noch verdiente. Auch habe ich beobachtet, daß, sobald die
drohende Prüfung den jungen Juristen dazu verleitet, seine Fachstudien in
die tägliche Unterhaltung einzuflechten, dann dieser Umstand den nichtjuri¬
stischen Freunden seine Unterhaltung selten begehrenswerter macht, als sie
vorher war. Bisweilen bemerkte ich sogar, daß juristische Gespräche in einer
größern Gesellschaft diejenigen, welche nichts vom Recht verstanden, geradezu
verscheuchten. Unter den vielen Dilettanten Deutschlands, welche alle Künste
und Gewerbe unsicher machen, ist mir noch niemals ein sonderbarer Schwärmer
begegnet, der die Jurisprudenz als Privatliebhaberei betrieben hätte.

Endlich das Wichtigste. In unserm Gesellschaftsleben herrscht mit vollem
Rechte das schöne Geschlecht. Dies wendet seine Gunst glücklicherweise oft dem
Juristenstande zu, niemals aber seinen Berufsgeschäften. Selbst die liebevollsten


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[0319] Die Unpopularität der Jurisprudenz. Sollte nun dasjenige, was ich sage, ernstlich mißfallen, so würde ich ja meinen Gegenstand aufs glänzendste bewiesen haben; allein ich bin nicht eigennützig, Wohl auch nicht bescheiden genug, um mir dies zu wünschen. Ich verstehe also unter der Jurisprudenz nicht die „Juristen" und bin nicht etwa gesonnen, meinen Berufsgenossen die Ehre zu verkürzen, die ihnen gebührt. Jeder junge Jurist sieht ja aus der stattlichen Liste seiner Vorder¬ männer, daß sein Berufsstand heutzutage nur allzu populär geworden ist. Auch erwartet man wohl schwerlich von mir eine Variation über das veraltete Thema: „Juristen böse Christen"; es entspricht den heutigen Zeitverhältnissen nach keiner Richtung mehr. Nicht der Berufsstand des Juristen ist unpopulär, sondern nur der Inhalt seiner Berufsthätigkeiten, jene Denk- und Redeformen, an deren Beherrschung man den tüchtigen Juristen erkennt. Mein Thema müßte daher in reinem Deutsch etwa so lauten: „Warum ist der berufsmäßige Gedankenkreis unsrer Rechtspflege so wenig volkstümlich?" Um aber ferneren Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich auch zu dem Ausdruck „populär" oder „volkstümlich" Stellung nehmen. Ich nenne populär alles das, was in der großen Masse der Volksgenossen Teilnahme findet und Aufmerksamkeit erweckt. Wir wissen, daß es für verschiedne Dinge verschiedne Maßstäbe der Volkstümlichkeit giebt. Bei Melodien entscheidet der Leierkasten, bei berühmten Männern das Schaufenster des Photographieladens, bei Schrift¬ stellern das Honorar, das ihnen ihr Verleger für neue Werke anbietet n. s. w. Für den Inhalt eines Berufszweiges giebt es nach meiner Meinung nur ein sicheres Kennzeichen der Popularität, das ist der Anteil, den er an dem üblichen Gesprächsstoffe der Gesellschaft besitzt. Hier habe ich nun an verschiednen Orten und Zeiten Beobachtungen gesammelt, die für mich unmöglich erfreulich sein konnten. Gewöhnlich klagt man darüber, daß der Mensch weniger Mitleid finde, als er wünscht. Mir ist es umgekehrt gegangen. Weiche Herzen haben mir oft wegen meines trocknen Berufes ein Mitleidsgefühl bezeugt, das ich weder verlangte noch verdiente. Auch habe ich beobachtet, daß, sobald die drohende Prüfung den jungen Juristen dazu verleitet, seine Fachstudien in die tägliche Unterhaltung einzuflechten, dann dieser Umstand den nichtjuri¬ stischen Freunden seine Unterhaltung selten begehrenswerter macht, als sie vorher war. Bisweilen bemerkte ich sogar, daß juristische Gespräche in einer größern Gesellschaft diejenigen, welche nichts vom Recht verstanden, geradezu verscheuchten. Unter den vielen Dilettanten Deutschlands, welche alle Künste und Gewerbe unsicher machen, ist mir noch niemals ein sonderbarer Schwärmer begegnet, der die Jurisprudenz als Privatliebhaberei betrieben hätte. Endlich das Wichtigste. In unserm Gesellschaftsleben herrscht mit vollem Rechte das schöne Geschlecht. Dies wendet seine Gunst glücklicherweise oft dem Juristenstande zu, niemals aber seinen Berufsgeschäften. Selbst die liebevollsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/319>, abgerufen am 01.09.2024.