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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

seinigen genannt werden wird. Nicht erst in jenen Tagen hat er Sickingens
Bekanntschaft gemacht. Schon während des schwäbischen Bundes Feldzug gegen
den Herzog Ulrich von Württemberg, im Frühjahr 1619, hatte das Lagerleben
beide Männer in engere Beziehungen gebracht, nachdem sie sich kurz zuvor
kennen gelernt hatten. Sickingen entstammte einer Adelsfamilie, die nicht in
den finanziellen Ruin der Ritterschaft hineingezogen worden war. Durch weise
Sparsamkeit hatte er seinen Besitzstand und damit seine Bedeutung stetig zu
mehren gewußt. Bei seinem Thatendrange und seinem Ehrgeize dürfen wir
nicht anders erwarten, als daß er nach der Sitte der Zeit von einer Fehde
in die andre verwickelt wurde. Auf dem verrotteten Boden der öffentlichen
Zustände im Reich mußten sich derartige Dinge von selbst ergeben; denn wo
Recht durchs Reich nicht zu erlangen war, oder wenigstens keine Macht da
war, welche die Durchführung eines gesetzmäßigen Urteils von einem Wider¬
strebenden hätte erzwingen können, da mußte eben jeder selber sehen, wie er zu
seinem Rechte kam. Mit solchen Fehden, von denen manche gewiß einem ver¬
letzten Rechts- und Billigkeitsgefühl entsprangen oder von einem solchen doch
mit verursacht waren, hatte er bisher seine Zeit ausgefüllt, und dabei seine
rauflustigen Standesgenossen besonders in dem Punkte überragt, daß er nötigen¬
falls eine Kriegsmacht ins Feld stellen konnte wie kaum ein Reichsfürst seiner
Tage. Eben deshalb war ihm auch aus seiner jahrelangen Fehde mit Worms
trotz des Reiches Acht und Aberacht kein Unheil erwachsen, weil Maximilian I.
froh war, den gefürchteten Ritter und kriegserfahrenen Söldnerführer als Stütze
für seine Familienpolitik zu gewinnen, nachdem schon vorher Franz I. des streit¬
baren Mannes Bedeutung zu würdigen gewußt hatte.

Dies war das immerhin noch rohe Metall, das Hütten vorfand, und das
er zum Werkzeug für seine kirchenpolitischen Pläne umzugießen unternahm.
Sickingen war ohne gelehrte Bildung aufgewachsen, und schon hieraus ergab
sich für Hütten zur Ausführung seines Vorhabens die Notwendigkeit, einen
Schritt aus dem humanistischen Kreise heraus zu thun. Er mußte sich ge¬
wöhnen, seine Ansichten nicht mehr bloß lateinisch, sondern auch deutsch vor¬
zutragen, und wir verdanken denn auch in der That diesem Umstände die erste
Verdeutschung eines Huttenschen Dialogs. Bald hatte er den Freund für
Luthers Sache so weit erwärmt, daß Sickingen diesem durch Hütten seine
Burgen als Zufluchtsort anbieten ließ für den Fall, daß er eines Tages eines
solchen bedürfe, und dieses Anerbieten eines Ritters, der es an kriegerischer
Macht mit manchem Fürsten aufnehmen konnte, hat Luther ohne Zweifel einen
nicht zu unterschätzenden Rückhalt gegeben.

Aber Hütten selbst sollte noch vor Luther dieses Schutzes bedürfen. Im
Frühjahre 1520 schrieb er zwei lateinische Dialoge, mit denen er in Wahrheit
die Würfel warf und jeden Rücktritt sich unmöglich machte, den "Vadiskus oder
die römische Dreieinigkeit," in welchem er in epigrammatisch zugespitzten Wen-


Ulrich von Hütten.

seinigen genannt werden wird. Nicht erst in jenen Tagen hat er Sickingens
Bekanntschaft gemacht. Schon während des schwäbischen Bundes Feldzug gegen
den Herzog Ulrich von Württemberg, im Frühjahr 1619, hatte das Lagerleben
beide Männer in engere Beziehungen gebracht, nachdem sie sich kurz zuvor
kennen gelernt hatten. Sickingen entstammte einer Adelsfamilie, die nicht in
den finanziellen Ruin der Ritterschaft hineingezogen worden war. Durch weise
Sparsamkeit hatte er seinen Besitzstand und damit seine Bedeutung stetig zu
mehren gewußt. Bei seinem Thatendrange und seinem Ehrgeize dürfen wir
nicht anders erwarten, als daß er nach der Sitte der Zeit von einer Fehde
in die andre verwickelt wurde. Auf dem verrotteten Boden der öffentlichen
Zustände im Reich mußten sich derartige Dinge von selbst ergeben; denn wo
Recht durchs Reich nicht zu erlangen war, oder wenigstens keine Macht da
war, welche die Durchführung eines gesetzmäßigen Urteils von einem Wider¬
strebenden hätte erzwingen können, da mußte eben jeder selber sehen, wie er zu
seinem Rechte kam. Mit solchen Fehden, von denen manche gewiß einem ver¬
letzten Rechts- und Billigkeitsgefühl entsprangen oder von einem solchen doch
mit verursacht waren, hatte er bisher seine Zeit ausgefüllt, und dabei seine
rauflustigen Standesgenossen besonders in dem Punkte überragt, daß er nötigen¬
falls eine Kriegsmacht ins Feld stellen konnte wie kaum ein Reichsfürst seiner
Tage. Eben deshalb war ihm auch aus seiner jahrelangen Fehde mit Worms
trotz des Reiches Acht und Aberacht kein Unheil erwachsen, weil Maximilian I.
froh war, den gefürchteten Ritter und kriegserfahrenen Söldnerführer als Stütze
für seine Familienpolitik zu gewinnen, nachdem schon vorher Franz I. des streit¬
baren Mannes Bedeutung zu würdigen gewußt hatte.

Dies war das immerhin noch rohe Metall, das Hütten vorfand, und das
er zum Werkzeug für seine kirchenpolitischen Pläne umzugießen unternahm.
Sickingen war ohne gelehrte Bildung aufgewachsen, und schon hieraus ergab
sich für Hütten zur Ausführung seines Vorhabens die Notwendigkeit, einen
Schritt aus dem humanistischen Kreise heraus zu thun. Er mußte sich ge¬
wöhnen, seine Ansichten nicht mehr bloß lateinisch, sondern auch deutsch vor¬
zutragen, und wir verdanken denn auch in der That diesem Umstände die erste
Verdeutschung eines Huttenschen Dialogs. Bald hatte er den Freund für
Luthers Sache so weit erwärmt, daß Sickingen diesem durch Hütten seine
Burgen als Zufluchtsort anbieten ließ für den Fall, daß er eines Tages eines
solchen bedürfe, und dieses Anerbieten eines Ritters, der es an kriegerischer
Macht mit manchem Fürsten aufnehmen konnte, hat Luther ohne Zweifel einen
nicht zu unterschätzenden Rückhalt gegeben.

Aber Hütten selbst sollte noch vor Luther dieses Schutzes bedürfen. Im
Frühjahre 1520 schrieb er zwei lateinische Dialoge, mit denen er in Wahrheit
die Würfel warf und jeden Rücktritt sich unmöglich machte, den „Vadiskus oder
die römische Dreieinigkeit," in welchem er in epigrammatisch zugespitzten Wen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/31>, abgerufen am 06.10.2024.