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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Chauvinismus oder Nationalgefühl?

n einem der letzten Hefte der "Historisch-Politischen Blätter"
warnt Dr. Jörg als getreuer Eckhart das deutsche Volk vor der
ganz undeutschen, lächerlichen und gefährlichen nationalen Selbst¬
gefälligkeit und Überhebung. Daß dieser Vorwurf neu sei, wird
_man nicht behaupten können. Aber die Art, wie er hier erhoben
wird, bietet einen erwünschten Anlaß zu einer gelegentlichen besondern Erörte¬
rung desselben. Nicht bloß diejenigen Elemente nämlich, die ihn im Partei- oder
in noch schlimmeren Interesse oder im Dienste einer "Öffentlichkeit um jeden Preis"
ausbeuten, nein, gerade die Kreise, an denen den Vertretern jeder Sache, wenn sie sich
auf den echten Erfolg verstehen, am meisten gelegen sein muß, pflegen bei Berührung
gerade dieses Themas noch allzu häufig eine Art von wundem Punkte zu verraten,
dessen endliches Verschwinden in ihrem eigensten Interesse dringend zu wünschen
wäre. Wie schon der deutschen Sprache eine heilige Scheu vor jeder Art vou
Rhetorik innewohnt, ein unbewußtes Ablehnen jener bequemen sprachlichen
Wechsel, die mit einer klingenden Formel große geistige Werte decken wollen,
so verrät gerade derjenige, der mit dieser Sprache und ihrem Gedankenschatze in
wnigere Berührung trat, der höher gebildete Deutsche, eine lebhafte Abneigung
gegen alle sogenannten wohlfeilen Gefühle. Unter diesen standen ihm aber von
jeher die patriotischen obenan. Denn nicht erst in unsrer Zeit wurden patriotische
Mahnungen, deren Notwendigkeit man aus geschichtlicher Entfernung erst recht
übersieht, als überflüssig, als Bloßstellungen vor dem Auslande, als lächerliche
Rodomontaden zurückgewiesen, sie wurden schon früher geradezu verdächtigt.
Als einen Vorzug, als Vorbedingung seiner Leistungen in Kunst und Wissen¬
schaft rühmen diese "geistig Überlegenen" die nationale Selbstlosigkeit des Volkes


Grenzboten II. 1883. 38


Chauvinismus oder Nationalgefühl?

n einem der letzten Hefte der „Historisch-Politischen Blätter"
warnt Dr. Jörg als getreuer Eckhart das deutsche Volk vor der
ganz undeutschen, lächerlichen und gefährlichen nationalen Selbst¬
gefälligkeit und Überhebung. Daß dieser Vorwurf neu sei, wird
_man nicht behaupten können. Aber die Art, wie er hier erhoben
wird, bietet einen erwünschten Anlaß zu einer gelegentlichen besondern Erörte¬
rung desselben. Nicht bloß diejenigen Elemente nämlich, die ihn im Partei- oder
in noch schlimmeren Interesse oder im Dienste einer „Öffentlichkeit um jeden Preis"
ausbeuten, nein, gerade die Kreise, an denen den Vertretern jeder Sache, wenn sie sich
auf den echten Erfolg verstehen, am meisten gelegen sein muß, pflegen bei Berührung
gerade dieses Themas noch allzu häufig eine Art von wundem Punkte zu verraten,
dessen endliches Verschwinden in ihrem eigensten Interesse dringend zu wünschen
wäre. Wie schon der deutschen Sprache eine heilige Scheu vor jeder Art vou
Rhetorik innewohnt, ein unbewußtes Ablehnen jener bequemen sprachlichen
Wechsel, die mit einer klingenden Formel große geistige Werte decken wollen,
so verrät gerade derjenige, der mit dieser Sprache und ihrem Gedankenschatze in
wnigere Berührung trat, der höher gebildete Deutsche, eine lebhafte Abneigung
gegen alle sogenannten wohlfeilen Gefühle. Unter diesen standen ihm aber von
jeher die patriotischen obenan. Denn nicht erst in unsrer Zeit wurden patriotische
Mahnungen, deren Notwendigkeit man aus geschichtlicher Entfernung erst recht
übersieht, als überflüssig, als Bloßstellungen vor dem Auslande, als lächerliche
Rodomontaden zurückgewiesen, sie wurden schon früher geradezu verdächtigt.
Als einen Vorzug, als Vorbedingung seiner Leistungen in Kunst und Wissen¬
schaft rühmen diese „geistig Überlegenen" die nationale Selbstlosigkeit des Volkes


Grenzboten II. 1883. 38
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[0305] [Abbildung] Chauvinismus oder Nationalgefühl? n einem der letzten Hefte der „Historisch-Politischen Blätter" warnt Dr. Jörg als getreuer Eckhart das deutsche Volk vor der ganz undeutschen, lächerlichen und gefährlichen nationalen Selbst¬ gefälligkeit und Überhebung. Daß dieser Vorwurf neu sei, wird _man nicht behaupten können. Aber die Art, wie er hier erhoben wird, bietet einen erwünschten Anlaß zu einer gelegentlichen besondern Erörte¬ rung desselben. Nicht bloß diejenigen Elemente nämlich, die ihn im Partei- oder in noch schlimmeren Interesse oder im Dienste einer „Öffentlichkeit um jeden Preis" ausbeuten, nein, gerade die Kreise, an denen den Vertretern jeder Sache, wenn sie sich auf den echten Erfolg verstehen, am meisten gelegen sein muß, pflegen bei Berührung gerade dieses Themas noch allzu häufig eine Art von wundem Punkte zu verraten, dessen endliches Verschwinden in ihrem eigensten Interesse dringend zu wünschen wäre. Wie schon der deutschen Sprache eine heilige Scheu vor jeder Art vou Rhetorik innewohnt, ein unbewußtes Ablehnen jener bequemen sprachlichen Wechsel, die mit einer klingenden Formel große geistige Werte decken wollen, so verrät gerade derjenige, der mit dieser Sprache und ihrem Gedankenschatze in wnigere Berührung trat, der höher gebildete Deutsche, eine lebhafte Abneigung gegen alle sogenannten wohlfeilen Gefühle. Unter diesen standen ihm aber von jeher die patriotischen obenan. Denn nicht erst in unsrer Zeit wurden patriotische Mahnungen, deren Notwendigkeit man aus geschichtlicher Entfernung erst recht übersieht, als überflüssig, als Bloßstellungen vor dem Auslande, als lächerliche Rodomontaden zurückgewiesen, sie wurden schon früher geradezu verdächtigt. Als einen Vorzug, als Vorbedingung seiner Leistungen in Kunst und Wissen¬ schaft rühmen diese „geistig Überlegenen" die nationale Selbstlosigkeit des Volkes Grenzboten II. 1883. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/305>, abgerufen am 13.11.2024.