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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

Trat Hütten ein für eine Reform des kirchlichen Systems aus nationalen
Gründen, so war Luthers Vorgehen tiefer entsprungen und zielte daher auch
weiter. Was diesen in den Kampf getrieben hatte, war der aus langen Seelen¬
kämpfen entsprungene notgedrungene Protest des deutschen Gewissens gegen die
Entweihung der Religion. Es war nicht bloß das Verlangen nach Abstellung
dieses oder jenes schreienden Mißbrauchs, wonach seit hundert Jahren der Ruf
immer lauter geworden war; Luther wollte nicht bloß eine Verbesserung der
kirchlichen Form, sondern eine Erneuerung des religiösen Inhalts, eine Wieder¬
erfassung des im Laufe der Jahrhunderte in den Formen fast verflüchtigten
Kerns und Wesens des christlichen Gedankens. Drang so Hütten nicht vor
bis zum springenden Punkte in Luthers Wesen, so standen anderseits diesem
gerade die Bestrebungen, die Hütten das wichtigste blieben, fremdartig gegen¬
über. Der Ritter erstrebte eine Stärkung der kaiserlichen Macht eben im Zu¬
sammenhang und als Frucht der kirchlichen Verjüngung. Die Klöster sollten
aufgehoben werden, und nicht mehr unfähige und unwürdige "Kurtisanen,"
sondern nur fromme und gelehrte Männer sollten die geistlichen Stellen er¬
halten, deren Zahl übrigens bedeutend vermindert werden sollte. Die geist¬
lichen Güter und die seither dem römischen Hofe aus Deutschland zufließenden
Summen sollten den Zwecken des Reiches nutzbar gemacht werden. Denn
nicht Landcsfürstenherrschaft sollte den Vorteil ziehen aus den bevorstehenden
Änderungen, sondern das Kaisertum, das durch die flüssig werdenden wie durch
die künftig im Lande bleibenden Gelder finanziell und durch ein eben mit
diesen Mitteln zu errichtendes und zu unterhaltendes Reichsheer auch militärisch
selbständig gemacht werden sollte. Ans diesem Grunde beruht Huttens Zu¬
versicht, der junge Kaiser werde sich auf gar keine andre Seite stellen können
als auf die, welche durch eine zeitgemäße Umgestaltung des kirchlichen Systems
eine Stärkung oder richtiger eine Wiederaufrichtung der monarchischen Einheit
des Reichs allein in Aussicht stellte. Die Zeit, wo dieser Glaube noch uner-
schüttert war, zeigt uns denn auch Hütten auf dem Höhepunkte seiner Thätig¬
keit, und der Augenblick, wo dieser Glaube in die Brüche gehen mußte, bildet
den tragischen Wendepunkt in seinem Leben. Da Huttens ganze Hoffnung auf
den Kaiser gerichtet ist, so wird mit dem Schluß des Wormser Reichstags
seinem ganzen Programm das Rückgrat ausgeschnitten, das er auf keine andre
Weise zu ersetzen imstande ist, zumal da er nun fehlgreift und die Bedeutung
nicht erkennt, welche das Landesfttrstentum für die Sache der Reformation
erhalten sollte, nachdem das Kaisertum sich ihr versagt hat. Die großartige
Perspektive eines erneuerten deutschen Staates schließt sich wieder, um erst in
unserm Jahrhundert sich nochmals zu öffnen. Das Ideal von Huttens Leben
war zerronnen.

Auf diesem Höhepunkte seiner Thätigkeit aber stand Hütten nicht allein,
sondern genoß den Schutz des Mannes, dessen Name immer zusammen mit dem


Ulrich von Hütten.

Trat Hütten ein für eine Reform des kirchlichen Systems aus nationalen
Gründen, so war Luthers Vorgehen tiefer entsprungen und zielte daher auch
weiter. Was diesen in den Kampf getrieben hatte, war der aus langen Seelen¬
kämpfen entsprungene notgedrungene Protest des deutschen Gewissens gegen die
Entweihung der Religion. Es war nicht bloß das Verlangen nach Abstellung
dieses oder jenes schreienden Mißbrauchs, wonach seit hundert Jahren der Ruf
immer lauter geworden war; Luther wollte nicht bloß eine Verbesserung der
kirchlichen Form, sondern eine Erneuerung des religiösen Inhalts, eine Wieder¬
erfassung des im Laufe der Jahrhunderte in den Formen fast verflüchtigten
Kerns und Wesens des christlichen Gedankens. Drang so Hütten nicht vor
bis zum springenden Punkte in Luthers Wesen, so standen anderseits diesem
gerade die Bestrebungen, die Hütten das wichtigste blieben, fremdartig gegen¬
über. Der Ritter erstrebte eine Stärkung der kaiserlichen Macht eben im Zu¬
sammenhang und als Frucht der kirchlichen Verjüngung. Die Klöster sollten
aufgehoben werden, und nicht mehr unfähige und unwürdige „Kurtisanen,"
sondern nur fromme und gelehrte Männer sollten die geistlichen Stellen er¬
halten, deren Zahl übrigens bedeutend vermindert werden sollte. Die geist¬
lichen Güter und die seither dem römischen Hofe aus Deutschland zufließenden
Summen sollten den Zwecken des Reiches nutzbar gemacht werden. Denn
nicht Landcsfürstenherrschaft sollte den Vorteil ziehen aus den bevorstehenden
Änderungen, sondern das Kaisertum, das durch die flüssig werdenden wie durch
die künftig im Lande bleibenden Gelder finanziell und durch ein eben mit
diesen Mitteln zu errichtendes und zu unterhaltendes Reichsheer auch militärisch
selbständig gemacht werden sollte. Ans diesem Grunde beruht Huttens Zu¬
versicht, der junge Kaiser werde sich auf gar keine andre Seite stellen können
als auf die, welche durch eine zeitgemäße Umgestaltung des kirchlichen Systems
eine Stärkung oder richtiger eine Wiederaufrichtung der monarchischen Einheit
des Reichs allein in Aussicht stellte. Die Zeit, wo dieser Glaube noch uner-
schüttert war, zeigt uns denn auch Hütten auf dem Höhepunkte seiner Thätig¬
keit, und der Augenblick, wo dieser Glaube in die Brüche gehen mußte, bildet
den tragischen Wendepunkt in seinem Leben. Da Huttens ganze Hoffnung auf
den Kaiser gerichtet ist, so wird mit dem Schluß des Wormser Reichstags
seinem ganzen Programm das Rückgrat ausgeschnitten, das er auf keine andre
Weise zu ersetzen imstande ist, zumal da er nun fehlgreift und die Bedeutung
nicht erkennt, welche das Landesfttrstentum für die Sache der Reformation
erhalten sollte, nachdem das Kaisertum sich ihr versagt hat. Die großartige
Perspektive eines erneuerten deutschen Staates schließt sich wieder, um erst in
unserm Jahrhundert sich nochmals zu öffnen. Das Ideal von Huttens Leben
war zerronnen.

Auf diesem Höhepunkte seiner Thätigkeit aber stand Hütten nicht allein,
sondern genoß den Schutz des Mannes, dessen Name immer zusammen mit dem


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[0030] Ulrich von Hütten. Trat Hütten ein für eine Reform des kirchlichen Systems aus nationalen Gründen, so war Luthers Vorgehen tiefer entsprungen und zielte daher auch weiter. Was diesen in den Kampf getrieben hatte, war der aus langen Seelen¬ kämpfen entsprungene notgedrungene Protest des deutschen Gewissens gegen die Entweihung der Religion. Es war nicht bloß das Verlangen nach Abstellung dieses oder jenes schreienden Mißbrauchs, wonach seit hundert Jahren der Ruf immer lauter geworden war; Luther wollte nicht bloß eine Verbesserung der kirchlichen Form, sondern eine Erneuerung des religiösen Inhalts, eine Wieder¬ erfassung des im Laufe der Jahrhunderte in den Formen fast verflüchtigten Kerns und Wesens des christlichen Gedankens. Drang so Hütten nicht vor bis zum springenden Punkte in Luthers Wesen, so standen anderseits diesem gerade die Bestrebungen, die Hütten das wichtigste blieben, fremdartig gegen¬ über. Der Ritter erstrebte eine Stärkung der kaiserlichen Macht eben im Zu¬ sammenhang und als Frucht der kirchlichen Verjüngung. Die Klöster sollten aufgehoben werden, und nicht mehr unfähige und unwürdige „Kurtisanen," sondern nur fromme und gelehrte Männer sollten die geistlichen Stellen er¬ halten, deren Zahl übrigens bedeutend vermindert werden sollte. Die geist¬ lichen Güter und die seither dem römischen Hofe aus Deutschland zufließenden Summen sollten den Zwecken des Reiches nutzbar gemacht werden. Denn nicht Landcsfürstenherrschaft sollte den Vorteil ziehen aus den bevorstehenden Änderungen, sondern das Kaisertum, das durch die flüssig werdenden wie durch die künftig im Lande bleibenden Gelder finanziell und durch ein eben mit diesen Mitteln zu errichtendes und zu unterhaltendes Reichsheer auch militärisch selbständig gemacht werden sollte. Ans diesem Grunde beruht Huttens Zu¬ versicht, der junge Kaiser werde sich auf gar keine andre Seite stellen können als auf die, welche durch eine zeitgemäße Umgestaltung des kirchlichen Systems eine Stärkung oder richtiger eine Wiederaufrichtung der monarchischen Einheit des Reichs allein in Aussicht stellte. Die Zeit, wo dieser Glaube noch uner- schüttert war, zeigt uns denn auch Hütten auf dem Höhepunkte seiner Thätig¬ keit, und der Augenblick, wo dieser Glaube in die Brüche gehen mußte, bildet den tragischen Wendepunkt in seinem Leben. Da Huttens ganze Hoffnung auf den Kaiser gerichtet ist, so wird mit dem Schluß des Wormser Reichstags seinem ganzen Programm das Rückgrat ausgeschnitten, das er auf keine andre Weise zu ersetzen imstande ist, zumal da er nun fehlgreift und die Bedeutung nicht erkennt, welche das Landesfttrstentum für die Sache der Reformation erhalten sollte, nachdem das Kaisertum sich ihr versagt hat. Die großartige Perspektive eines erneuerten deutschen Staates schließt sich wieder, um erst in unserm Jahrhundert sich nochmals zu öffnen. Das Ideal von Huttens Leben war zerronnen. Auf diesem Höhepunkte seiner Thätigkeit aber stand Hütten nicht allein, sondern genoß den Schutz des Mannes, dessen Name immer zusammen mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/30>, abgerufen am 01.09.2024.