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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Caravaggio ihn entzückte, denn dem Lieblicher in der Kunst können die jüngern
noch keinen Geschmack abgewinnen. Der anmutvollste Miniaturmaler hat seine
Laufbahn in Buonarottis Spur begonnen, der sanfteste Lyriker unternahm seine
erste Fahrt mit schwarzem Segel auf dem Blute der Tragödie.

Aber bis jetzt war ihm diese Beschäftigung mit der Kunst nur noch ein
Spiel, kaum besser als die andern Spiele, und er war nicht stolzer über einen
mit Erfolg modellirten Kopf oder ein geschickt ausgeschnittenes Pferd, als über
einen gewandten Wurf, der die Wetterfahne an der Kirche streifte, oder über die
Großthat, nach Sönderhagen hinaus und wieder zurück geschwommen zu sein,
ohne Ruhepause dazwischen; denn er liebte solche Spiele, bei denen es auf
Leibesübung, auf Stärke und Ausdauer, auf eine sichere Hand und ein geübtes
Auge ankam, nicht Spiele, wie die von Ricks und Frithjof, wo die Phantasie
die Hauptrolle spielte und wo sowohl die Handlung wie der Held nur einge¬
bildet waren. Die beiden verließen jedoch bald ihren alten Zeitvertreib, um
Erik zu folgen. Die Romanbücher wurden beiseite gelegt, die endlose Ge¬
schichte erhielt in einer letzten, heimlichen Zusammenkunft auf dem Heuboden
einen etwas gewaltsamen Schluß, und tiefes Schweigen lagerte über dem hastig
zugeschütteten Grabe, denn sie mochten mit Erik nicht darüber sprechen. Schon
nach einer Bekanntschaft von wenigen Tagen fühlten sie, daß er sich über sie
wie über ihre Geschichte lustig macheu, daß er sie in ihren eignen Augen herab¬
setzen und sie dahin bringen würde, sich gründlich zu schämen. Diese Macht
besaß er nämlich, denn er war frei von allem, was Träumerei, Exaltation oder
Phantasterei heißt. Und da seine klare, praktische Knabenvernunft in ihrer
makellosen Gesundheit geistigen Gebrechen gegenüber ebenso schonungslos Ver¬
suhr, wie Kinder den körperlichen gegenüber zu thun pflegen, so fürchteten sich
Ricks und Frithjof vor ihm, sie richteten sich nach ihm, verleugneten vieles
und verbargen noch mehr. Ricks namentlich war schnell bei der Hand, alles
das bei sich zu unterdrücken, was nicht mit Eriks Denkart übereinstimmte, ja
mit der brennenden Schmähsucht eines Renegaten verspottete er Frithjof und
machte den Freund lächerlich, dessen langsamere, treuere Natur nicht so auf
einmal das Alte um des Neuen willen vergessen konnte. Was aber Ricks
hauptsächlich zu diesem lieblosen Gebahren veranlaßte, war Eifersucht, denn
gleich am ersten Tage hatte er sich in Erik verliebt, der, scheu und zurückhaltend,
nur mit Widerstreben und halbem Spott es duldete, daß man ihn liebte.

Giebt es wohl unter allen Gefühlsverhältnissen des Lebens etwas, das
zarter, edler und herzlicher wäre als die leidenschaftliche und doch so schüchterne
Verliebtheit eines Knaben in einen andern? Eine Liebe, die nie redet, die sich
niemals in Liebkosungen, Blicken oder Worten Luft zu machen wagt, eine sehende
Liebe, die über jeden Fehler, über jede UnVollkommenheit, welche sie bei dem
Geliebten entdeckt, schmerzlich klagt, die Sehnsucht ist und Bewunderung und
Selbstvergessen, die Stolz ist und Demut und ruhig atmendes Glück?


Ricks Lyhne.

Caravaggio ihn entzückte, denn dem Lieblicher in der Kunst können die jüngern
noch keinen Geschmack abgewinnen. Der anmutvollste Miniaturmaler hat seine
Laufbahn in Buonarottis Spur begonnen, der sanfteste Lyriker unternahm seine
erste Fahrt mit schwarzem Segel auf dem Blute der Tragödie.

Aber bis jetzt war ihm diese Beschäftigung mit der Kunst nur noch ein
Spiel, kaum besser als die andern Spiele, und er war nicht stolzer über einen
mit Erfolg modellirten Kopf oder ein geschickt ausgeschnittenes Pferd, als über
einen gewandten Wurf, der die Wetterfahne an der Kirche streifte, oder über die
Großthat, nach Sönderhagen hinaus und wieder zurück geschwommen zu sein,
ohne Ruhepause dazwischen; denn er liebte solche Spiele, bei denen es auf
Leibesübung, auf Stärke und Ausdauer, auf eine sichere Hand und ein geübtes
Auge ankam, nicht Spiele, wie die von Ricks und Frithjof, wo die Phantasie
die Hauptrolle spielte und wo sowohl die Handlung wie der Held nur einge¬
bildet waren. Die beiden verließen jedoch bald ihren alten Zeitvertreib, um
Erik zu folgen. Die Romanbücher wurden beiseite gelegt, die endlose Ge¬
schichte erhielt in einer letzten, heimlichen Zusammenkunft auf dem Heuboden
einen etwas gewaltsamen Schluß, und tiefes Schweigen lagerte über dem hastig
zugeschütteten Grabe, denn sie mochten mit Erik nicht darüber sprechen. Schon
nach einer Bekanntschaft von wenigen Tagen fühlten sie, daß er sich über sie
wie über ihre Geschichte lustig macheu, daß er sie in ihren eignen Augen herab¬
setzen und sie dahin bringen würde, sich gründlich zu schämen. Diese Macht
besaß er nämlich, denn er war frei von allem, was Träumerei, Exaltation oder
Phantasterei heißt. Und da seine klare, praktische Knabenvernunft in ihrer
makellosen Gesundheit geistigen Gebrechen gegenüber ebenso schonungslos Ver¬
suhr, wie Kinder den körperlichen gegenüber zu thun pflegen, so fürchteten sich
Ricks und Frithjof vor ihm, sie richteten sich nach ihm, verleugneten vieles
und verbargen noch mehr. Ricks namentlich war schnell bei der Hand, alles
das bei sich zu unterdrücken, was nicht mit Eriks Denkart übereinstimmte, ja
mit der brennenden Schmähsucht eines Renegaten verspottete er Frithjof und
machte den Freund lächerlich, dessen langsamere, treuere Natur nicht so auf
einmal das Alte um des Neuen willen vergessen konnte. Was aber Ricks
hauptsächlich zu diesem lieblosen Gebahren veranlaßte, war Eifersucht, denn
gleich am ersten Tage hatte er sich in Erik verliebt, der, scheu und zurückhaltend,
nur mit Widerstreben und halbem Spott es duldete, daß man ihn liebte.

Giebt es wohl unter allen Gefühlsverhältnissen des Lebens etwas, das
zarter, edler und herzlicher wäre als die leidenschaftliche und doch so schüchterne
Verliebtheit eines Knaben in einen andern? Eine Liebe, die nie redet, die sich
niemals in Liebkosungen, Blicken oder Worten Luft zu machen wagt, eine sehende
Liebe, die über jeden Fehler, über jede UnVollkommenheit, welche sie bei dem
Geliebten entdeckt, schmerzlich klagt, die Sehnsucht ist und Bewunderung und
Selbstvergessen, die Stolz ist und Demut und ruhig atmendes Glück?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/299>, abgerufen am 27.07.2024.