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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.
I. P. Jacob sen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

o weit war Ricks noch nicht gekommen. Wohl hatte er in
gläubigem Sinne Jesum auf dessen Erdenwanderung begleitet;
aber die Thatsache, daß dieser sich stets dem Vater unterordnete,
so machtlos einherging und so menschlich litt, hatte für ihn die
Göttlichkeit beeinträchtigt; er hatte in ihm nur den gesehen, der
den Willen des Vaters that, nur den Sohn Gottes, nicht Gott selber; und
darum hatte er auch zu Gott dem Vater gebetet, und nun hatte Gott der Vater
ihn in seiner bittern Not im Stich gelassen. Aber hatte sich Gott von ihm
gewandt, so konnte auch er sich von Gott wenden. Hatte Gott kein Ohr, so
hatte auch er keine Lippen, hatte Gott keine Gnade, so hatte auch er keine
Gottesverehrung mehr. Und er trotzte und stieß Gott aus seinem Herzen.

An dem Tage, an welchem Edele begraben ward, stampfte er jedesmal,
wenn der Prediger den Namen des Herrn nannte, verächtlich mit dem Fuße
in die Erde des Grabes, und wenn er seitdem aus den Namen Gottes in Büchern
oder im Munde andrer traf, so runzelte er voll Empörung die Kinderstirn.
Legte er sich am Abend schlafen, so überkam ihn ein wunderbares Gefühl ver¬
lassener Größe, wenn er daran dachte, daß sie nun alle, Kinder wie Erwachsene,
zu Gott beteten und ihre Augen in seinem Namen schlössen, während er allein
seine Hände nicht faltete, während er allein Gott seine Huldigung verweigerte.
Er war ausgeschlossen aus dem Schutze des Himmels, kein Engel wachte an
seiner Seite, allein und unbeschützt trieb er umher auf den seltsam murmelnden
Wassern, und die Einsamkeit senkte sich auf ihr, herab und verbreitete sich, von
seinem Lager ausgehend, in immer weiter und weiter werdenden Kreisen; aber




Ricks Lyhne.
I. P. Jacob sen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

o weit war Ricks noch nicht gekommen. Wohl hatte er in
gläubigem Sinne Jesum auf dessen Erdenwanderung begleitet;
aber die Thatsache, daß dieser sich stets dem Vater unterordnete,
so machtlos einherging und so menschlich litt, hatte für ihn die
Göttlichkeit beeinträchtigt; er hatte in ihm nur den gesehen, der
den Willen des Vaters that, nur den Sohn Gottes, nicht Gott selber; und
darum hatte er auch zu Gott dem Vater gebetet, und nun hatte Gott der Vater
ihn in seiner bittern Not im Stich gelassen. Aber hatte sich Gott von ihm
gewandt, so konnte auch er sich von Gott wenden. Hatte Gott kein Ohr, so
hatte auch er keine Lippen, hatte Gott keine Gnade, so hatte auch er keine
Gottesverehrung mehr. Und er trotzte und stieß Gott aus seinem Herzen.

An dem Tage, an welchem Edele begraben ward, stampfte er jedesmal,
wenn der Prediger den Namen des Herrn nannte, verächtlich mit dem Fuße
in die Erde des Grabes, und wenn er seitdem aus den Namen Gottes in Büchern
oder im Munde andrer traf, so runzelte er voll Empörung die Kinderstirn.
Legte er sich am Abend schlafen, so überkam ihn ein wunderbares Gefühl ver¬
lassener Größe, wenn er daran dachte, daß sie nun alle, Kinder wie Erwachsene,
zu Gott beteten und ihre Augen in seinem Namen schlössen, während er allein
seine Hände nicht faltete, während er allein Gott seine Huldigung verweigerte.
Er war ausgeschlossen aus dem Schutze des Himmels, kein Engel wachte an
seiner Seite, allein und unbeschützt trieb er umher auf den seltsam murmelnden
Wassern, und die Einsamkeit senkte sich auf ihr, herab und verbreitete sich, von
seinem Lager ausgehend, in immer weiter und weiter werdenden Kreisen; aber


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[0295] [Abbildung] Ricks Lyhne. I. P. Jacob sen. Roman von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) o weit war Ricks noch nicht gekommen. Wohl hatte er in gläubigem Sinne Jesum auf dessen Erdenwanderung begleitet; aber die Thatsache, daß dieser sich stets dem Vater unterordnete, so machtlos einherging und so menschlich litt, hatte für ihn die Göttlichkeit beeinträchtigt; er hatte in ihm nur den gesehen, der den Willen des Vaters that, nur den Sohn Gottes, nicht Gott selber; und darum hatte er auch zu Gott dem Vater gebetet, und nun hatte Gott der Vater ihn in seiner bittern Not im Stich gelassen. Aber hatte sich Gott von ihm gewandt, so konnte auch er sich von Gott wenden. Hatte Gott kein Ohr, so hatte auch er keine Lippen, hatte Gott keine Gnade, so hatte auch er keine Gottesverehrung mehr. Und er trotzte und stieß Gott aus seinem Herzen. An dem Tage, an welchem Edele begraben ward, stampfte er jedesmal, wenn der Prediger den Namen des Herrn nannte, verächtlich mit dem Fuße in die Erde des Grabes, und wenn er seitdem aus den Namen Gottes in Büchern oder im Munde andrer traf, so runzelte er voll Empörung die Kinderstirn. Legte er sich am Abend schlafen, so überkam ihn ein wunderbares Gefühl ver¬ lassener Größe, wenn er daran dachte, daß sie nun alle, Kinder wie Erwachsene, zu Gott beteten und ihre Augen in seinem Namen schlössen, während er allein seine Hände nicht faltete, während er allein Gott seine Huldigung verweigerte. Er war ausgeschlossen aus dem Schutze des Himmels, kein Engel wachte an seiner Seite, allein und unbeschützt trieb er umher auf den seltsam murmelnden Wassern, und die Einsamkeit senkte sich auf ihr, herab und verbreitete sich, von seinem Lager ausgehend, in immer weiter und weiter werdenden Kreisen; aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/295>, abgerufen am 13.11.2024.