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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Irland.

die sich damit begnügt hatte, einigen mißliebigen Personen die Fenster einzu¬
werfen und ein paar Zäune zu zertreten, während solche Feste anderswo selten
ohne Blutvergießen ablaufen. Gegen Ende des betreffenden Aufsatzes las ich:
"Der Erzieher der Söhne unsers Logenmeisters, Sir N. N., ein Deutscher
namens W,, hat unserm Meeting beigewohnt und kann seiner großen protestan¬
tischen Nation daheim sagen, daß Irland siegreich aus dem Kampfe gegen den
Katholizismus hervorgehen wird." Ich entledige mich hiermit des mir ge¬
wordenen Auftrages, da ich schwerlich eine bessere Gelegenheit dazu finden werde.

Der Leser wolle nicht annehmen, daß ich mit jenem Fanatiker im Talar
die ganze irische protestantische Geistlichkeit zeichnen will. Ich habe nnter ihnen
eine große Anzahl wahrhaft duldsamer, über dem wüsten Parteitreiben erhabener,
echt christlicher, fein gebildeter Männer kennen lernen, die das herausfordernde
Auftreten ihrer Genossen vom Orangistenbunde aufs entschiedenste verurteilten.
Populär freilich waren diese Geistlichen nicht.

Der unselige Klassenhaß, der sich im letzten Jahrzehnt so sehr verschärft
hat, ist ohne Zweifel zum größten Teile die verhängnisvolle Wirkung der Unter¬
drückung Irlands durch seinen mächtigen Nachbar, eine Unterdrückung, die nur
umso rücksichtsloser und unbarmherziger war, je öfter und je leidenschaftlicher sich
die Wut des irischen Volkes an seinen Zwingherren zu rächen suchte. Die
Spuren jenes alten Kampfes sind noch nicht verwischt. Allenthalben findet man
Ruinen von Abteien und Edelsitzen, ja von ganzen Ortschaften, die unter Cromwell,
Wilhelm dem Dritten oder noch später zerstört worden sind, findet Kreuze
und Denksteine, die die Stätte bezeichnen, wo einst Hunderte von Protestanten
von ihren katholischen Landsleuten überfallen und getötet worden sind. Und
auch jetzt noch wird dieser Klassen- und Glaubenshaß mit allem Eifer in der
rechten Glut erhalten. Wie das durch Orangisten geschieht, habe ich schon
erwähnt, aber mehr noch leistet die niedere katholische Geistlichkeit in dieser
Beziehung. Mit Hohn werden die zur Verträglichkeit und zur Achtung vor
der bestehenden Ordnung mahnenden Hirtenbriefe ihrer geistlichen Vorgesetzten
von diesen fanatischen Priestern behandelt. "Mag doch der heilige Vater,
mögen doch die irischen Bischöfe sich um die Kirche kümmern und nicht auch
noch in unsre Politik, in unsre sozialen Bestrebungen hineinreden wollen! Wenn
sie es trotzdem thun, nun so thun sie es auf die Gefahr hin, den letzten Rest
ihres Ansehens zu verlieren." Solche Äußerungen konnte man zur Blütezeit
der Landliga in vielen irischen Zeitungen von Geistlichen unterzeichnet finden:
und wie viele katholische Priester sind auf der Rednertribüne verhaftet worden,
weil sie offen predigten: "Verweigert euern Grundbesitzern, den englischen Blut¬
saugern, die Pachtzahlung, nötigenfalls auch mit Gewalt, boycottet sie und alle,
die sich von euerm Schweiße nähren wollen!" In den letzten beiden Jahren
scheint es insofern etwas besser geworden zu sein, als die katholische Geistlichkeit
nicht mehr so offen am Kampfe teilgenommen, häufig sogar blutige Zusammen-


Erinnerungen aus Irland.

die sich damit begnügt hatte, einigen mißliebigen Personen die Fenster einzu¬
werfen und ein paar Zäune zu zertreten, während solche Feste anderswo selten
ohne Blutvergießen ablaufen. Gegen Ende des betreffenden Aufsatzes las ich:
„Der Erzieher der Söhne unsers Logenmeisters, Sir N. N., ein Deutscher
namens W,, hat unserm Meeting beigewohnt und kann seiner großen protestan¬
tischen Nation daheim sagen, daß Irland siegreich aus dem Kampfe gegen den
Katholizismus hervorgehen wird." Ich entledige mich hiermit des mir ge¬
wordenen Auftrages, da ich schwerlich eine bessere Gelegenheit dazu finden werde.

Der Leser wolle nicht annehmen, daß ich mit jenem Fanatiker im Talar
die ganze irische protestantische Geistlichkeit zeichnen will. Ich habe nnter ihnen
eine große Anzahl wahrhaft duldsamer, über dem wüsten Parteitreiben erhabener,
echt christlicher, fein gebildeter Männer kennen lernen, die das herausfordernde
Auftreten ihrer Genossen vom Orangistenbunde aufs entschiedenste verurteilten.
Populär freilich waren diese Geistlichen nicht.

Der unselige Klassenhaß, der sich im letzten Jahrzehnt so sehr verschärft
hat, ist ohne Zweifel zum größten Teile die verhängnisvolle Wirkung der Unter¬
drückung Irlands durch seinen mächtigen Nachbar, eine Unterdrückung, die nur
umso rücksichtsloser und unbarmherziger war, je öfter und je leidenschaftlicher sich
die Wut des irischen Volkes an seinen Zwingherren zu rächen suchte. Die
Spuren jenes alten Kampfes sind noch nicht verwischt. Allenthalben findet man
Ruinen von Abteien und Edelsitzen, ja von ganzen Ortschaften, die unter Cromwell,
Wilhelm dem Dritten oder noch später zerstört worden sind, findet Kreuze
und Denksteine, die die Stätte bezeichnen, wo einst Hunderte von Protestanten
von ihren katholischen Landsleuten überfallen und getötet worden sind. Und
auch jetzt noch wird dieser Klassen- und Glaubenshaß mit allem Eifer in der
rechten Glut erhalten. Wie das durch Orangisten geschieht, habe ich schon
erwähnt, aber mehr noch leistet die niedere katholische Geistlichkeit in dieser
Beziehung. Mit Hohn werden die zur Verträglichkeit und zur Achtung vor
der bestehenden Ordnung mahnenden Hirtenbriefe ihrer geistlichen Vorgesetzten
von diesen fanatischen Priestern behandelt. „Mag doch der heilige Vater,
mögen doch die irischen Bischöfe sich um die Kirche kümmern und nicht auch
noch in unsre Politik, in unsre sozialen Bestrebungen hineinreden wollen! Wenn
sie es trotzdem thun, nun so thun sie es auf die Gefahr hin, den letzten Rest
ihres Ansehens zu verlieren." Solche Äußerungen konnte man zur Blütezeit
der Landliga in vielen irischen Zeitungen von Geistlichen unterzeichnet finden:
und wie viele katholische Priester sind auf der Rednertribüne verhaftet worden,
weil sie offen predigten: „Verweigert euern Grundbesitzern, den englischen Blut¬
saugern, die Pachtzahlung, nötigenfalls auch mit Gewalt, boycottet sie und alle,
die sich von euerm Schweiße nähren wollen!" In den letzten beiden Jahren
scheint es insofern etwas besser geworden zu sein, als die katholische Geistlichkeit
nicht mehr so offen am Kampfe teilgenommen, häufig sogar blutige Zusammen-


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[0292] Erinnerungen aus Irland. die sich damit begnügt hatte, einigen mißliebigen Personen die Fenster einzu¬ werfen und ein paar Zäune zu zertreten, während solche Feste anderswo selten ohne Blutvergießen ablaufen. Gegen Ende des betreffenden Aufsatzes las ich: „Der Erzieher der Söhne unsers Logenmeisters, Sir N. N., ein Deutscher namens W,, hat unserm Meeting beigewohnt und kann seiner großen protestan¬ tischen Nation daheim sagen, daß Irland siegreich aus dem Kampfe gegen den Katholizismus hervorgehen wird." Ich entledige mich hiermit des mir ge¬ wordenen Auftrages, da ich schwerlich eine bessere Gelegenheit dazu finden werde. Der Leser wolle nicht annehmen, daß ich mit jenem Fanatiker im Talar die ganze irische protestantische Geistlichkeit zeichnen will. Ich habe nnter ihnen eine große Anzahl wahrhaft duldsamer, über dem wüsten Parteitreiben erhabener, echt christlicher, fein gebildeter Männer kennen lernen, die das herausfordernde Auftreten ihrer Genossen vom Orangistenbunde aufs entschiedenste verurteilten. Populär freilich waren diese Geistlichen nicht. Der unselige Klassenhaß, der sich im letzten Jahrzehnt so sehr verschärft hat, ist ohne Zweifel zum größten Teile die verhängnisvolle Wirkung der Unter¬ drückung Irlands durch seinen mächtigen Nachbar, eine Unterdrückung, die nur umso rücksichtsloser und unbarmherziger war, je öfter und je leidenschaftlicher sich die Wut des irischen Volkes an seinen Zwingherren zu rächen suchte. Die Spuren jenes alten Kampfes sind noch nicht verwischt. Allenthalben findet man Ruinen von Abteien und Edelsitzen, ja von ganzen Ortschaften, die unter Cromwell, Wilhelm dem Dritten oder noch später zerstört worden sind, findet Kreuze und Denksteine, die die Stätte bezeichnen, wo einst Hunderte von Protestanten von ihren katholischen Landsleuten überfallen und getötet worden sind. Und auch jetzt noch wird dieser Klassen- und Glaubenshaß mit allem Eifer in der rechten Glut erhalten. Wie das durch Orangisten geschieht, habe ich schon erwähnt, aber mehr noch leistet die niedere katholische Geistlichkeit in dieser Beziehung. Mit Hohn werden die zur Verträglichkeit und zur Achtung vor der bestehenden Ordnung mahnenden Hirtenbriefe ihrer geistlichen Vorgesetzten von diesen fanatischen Priestern behandelt. „Mag doch der heilige Vater, mögen doch die irischen Bischöfe sich um die Kirche kümmern und nicht auch noch in unsre Politik, in unsre sozialen Bestrebungen hineinreden wollen! Wenn sie es trotzdem thun, nun so thun sie es auf die Gefahr hin, den letzten Rest ihres Ansehens zu verlieren." Solche Äußerungen konnte man zur Blütezeit der Landliga in vielen irischen Zeitungen von Geistlichen unterzeichnet finden: und wie viele katholische Priester sind auf der Rednertribüne verhaftet worden, weil sie offen predigten: „Verweigert euern Grundbesitzern, den englischen Blut¬ saugern, die Pachtzahlung, nötigenfalls auch mit Gewalt, boycottet sie und alle, die sich von euerm Schweiße nähren wollen!" In den letzten beiden Jahren scheint es insofern etwas besser geworden zu sein, als die katholische Geistlichkeit nicht mehr so offen am Kampfe teilgenommen, häufig sogar blutige Zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/292>, abgerufen am 28.07.2024.