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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Irland.

ein eignes irisches Parlament, eine eigne Regierung beansprucht. Beide Parteien
bilden je einen mächtigen Bund; im Norden überwiegen die Orcmgisten, in den
andern Teilen die Ribbonmen. Mir war es vergönnt, einen Einblick in die
Thätigkeit des erstem Bundes zu thun; als Protestant würde ich auch geradezu
genötigt gewesen sein, an den öffentlichen Versammlungen desselben teilzunehmen.

Am 12. Juli findet das große Jahresfest der Orangisten statt. Ich erinnere
mich besonders lebhaft des ersten, dem ich beiwohnte. Aus der ganzen Graf¬
schaft strömten die Orangisten zu Pferde, zu Wagen und zu Fuße, von Frauen
und Kindern begleitet, zum Versammlungsort, einem weithin das Land über¬
schauenden grünen Hügel. Die einzelnen Logen -- die Bundesmitglieder
schließen sich wie bei den Freimaurern in jedem Bezirke zu einer Loge zu¬
sammen -- zogen mit Fahnen und unter dem Klänge riesiger Trommeln herbei.
Die Fahnen, die Schärpen, die Kopftücher und Schürzen der Frauen, die
Satteldecken der Pferde, die Blumen, die die Männer im Knopfloche und die
Kinder in den Händen trugen -- meist unsre sogenannte Studentenblume -- alles
war zum Andenken an Wilhelm den Dritten von Oranien orangefarben. Oben
auf dem Hügel war eine Tribüne errichtet, die mit den Fahnen der einzelnen
Logen geschmückt und von den Logenvorständen und protestantischen Geistlichen
besetzt war. Einer der letztern eröffnete die Orangistenversammlung durch ein
kurzes Gebet. Dann hieß er seine Bundesbrüder willkommen und alle, die
von nah und fern herbeigeeilt seien, um den großen Tag würdig zu feiern.
Hoffentlich, fuhr er fort, sei kein Feind ihrer Partei nnter den Versammelten,
keiner, der an seinem Vaterlande und an seinem Glauben zum Verräter ge¬
worden sei. "Und wenn einer da ist, so lasse er sich jetzt warnen!" rief er,
und mit diesen Worten sprang er auf die grüne Fahne des katholischen Irlands
M, die mitten unter den orangefarbenen Schwestern wehte, hielt sie hoch empor
und schrie mit weithin gellender Stimme in die vieltausendzählige Versamm¬
lung hinein: "Was sollen wir mit diesen, Fetzen der Rebellen machen?" Ein
unbeschreibliches Hohn- und Wutgeschrei erhob sich, und plötzlich flog die grüne
Fahne Erins in hohem Bogen mitten in die Menge hinein, von der sie sofort
in tausend Stücke zerrissen und zertreten wurde. Noch nie hatte ich das Bild
eines Priesterfanatikers gesehen, hier sah ich ihn in der Person dieses prote¬
stantischen Geistlichen. In begeisterter Rede erinnerte er dann seine Mitbrüder
an die Bedeutung des Tages, an die unzähligen Greuelthaten der feindlichen
Partei, sagte ihnen, Krieg sei nach wie vor zwischen ihnen, ein Krieg auf Leben
und Tod, und schloß mit dem Spruche der Orangisten: "Jungens, vertraut
auf Gott und haltet euer Pulver trocken!" Auch in den übrigen Reden
wurde unter unendlichem Jubel der Anwesenden dieser Krieg gepredigt.

Nicht gerade sehr befriedigt kehrte ich heim. Wie erstaunt war ich aber,
als ich am nächsten Tage in einer Dubliner Abendzeitung einen Bericht über
dieses Meeting las, worin der Schreiber die Mäßigung der Versammlung pries.


Erinnerungen aus Irland.

ein eignes irisches Parlament, eine eigne Regierung beansprucht. Beide Parteien
bilden je einen mächtigen Bund; im Norden überwiegen die Orcmgisten, in den
andern Teilen die Ribbonmen. Mir war es vergönnt, einen Einblick in die
Thätigkeit des erstem Bundes zu thun; als Protestant würde ich auch geradezu
genötigt gewesen sein, an den öffentlichen Versammlungen desselben teilzunehmen.

Am 12. Juli findet das große Jahresfest der Orangisten statt. Ich erinnere
mich besonders lebhaft des ersten, dem ich beiwohnte. Aus der ganzen Graf¬
schaft strömten die Orangisten zu Pferde, zu Wagen und zu Fuße, von Frauen
und Kindern begleitet, zum Versammlungsort, einem weithin das Land über¬
schauenden grünen Hügel. Die einzelnen Logen — die Bundesmitglieder
schließen sich wie bei den Freimaurern in jedem Bezirke zu einer Loge zu¬
sammen — zogen mit Fahnen und unter dem Klänge riesiger Trommeln herbei.
Die Fahnen, die Schärpen, die Kopftücher und Schürzen der Frauen, die
Satteldecken der Pferde, die Blumen, die die Männer im Knopfloche und die
Kinder in den Händen trugen — meist unsre sogenannte Studentenblume — alles
war zum Andenken an Wilhelm den Dritten von Oranien orangefarben. Oben
auf dem Hügel war eine Tribüne errichtet, die mit den Fahnen der einzelnen
Logen geschmückt und von den Logenvorständen und protestantischen Geistlichen
besetzt war. Einer der letztern eröffnete die Orangistenversammlung durch ein
kurzes Gebet. Dann hieß er seine Bundesbrüder willkommen und alle, die
von nah und fern herbeigeeilt seien, um den großen Tag würdig zu feiern.
Hoffentlich, fuhr er fort, sei kein Feind ihrer Partei nnter den Versammelten,
keiner, der an seinem Vaterlande und an seinem Glauben zum Verräter ge¬
worden sei. „Und wenn einer da ist, so lasse er sich jetzt warnen!" rief er,
und mit diesen Worten sprang er auf die grüne Fahne des katholischen Irlands
M, die mitten unter den orangefarbenen Schwestern wehte, hielt sie hoch empor
und schrie mit weithin gellender Stimme in die vieltausendzählige Versamm¬
lung hinein: „Was sollen wir mit diesen, Fetzen der Rebellen machen?" Ein
unbeschreibliches Hohn- und Wutgeschrei erhob sich, und plötzlich flog die grüne
Fahne Erins in hohem Bogen mitten in die Menge hinein, von der sie sofort
in tausend Stücke zerrissen und zertreten wurde. Noch nie hatte ich das Bild
eines Priesterfanatikers gesehen, hier sah ich ihn in der Person dieses prote¬
stantischen Geistlichen. In begeisterter Rede erinnerte er dann seine Mitbrüder
an die Bedeutung des Tages, an die unzähligen Greuelthaten der feindlichen
Partei, sagte ihnen, Krieg sei nach wie vor zwischen ihnen, ein Krieg auf Leben
und Tod, und schloß mit dem Spruche der Orangisten: „Jungens, vertraut
auf Gott und haltet euer Pulver trocken!" Auch in den übrigen Reden
wurde unter unendlichem Jubel der Anwesenden dieser Krieg gepredigt.

Nicht gerade sehr befriedigt kehrte ich heim. Wie erstaunt war ich aber,
als ich am nächsten Tage in einer Dubliner Abendzeitung einen Bericht über
dieses Meeting las, worin der Schreiber die Mäßigung der Versammlung pries.


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[0291] Erinnerungen aus Irland. ein eignes irisches Parlament, eine eigne Regierung beansprucht. Beide Parteien bilden je einen mächtigen Bund; im Norden überwiegen die Orcmgisten, in den andern Teilen die Ribbonmen. Mir war es vergönnt, einen Einblick in die Thätigkeit des erstem Bundes zu thun; als Protestant würde ich auch geradezu genötigt gewesen sein, an den öffentlichen Versammlungen desselben teilzunehmen. Am 12. Juli findet das große Jahresfest der Orangisten statt. Ich erinnere mich besonders lebhaft des ersten, dem ich beiwohnte. Aus der ganzen Graf¬ schaft strömten die Orangisten zu Pferde, zu Wagen und zu Fuße, von Frauen und Kindern begleitet, zum Versammlungsort, einem weithin das Land über¬ schauenden grünen Hügel. Die einzelnen Logen — die Bundesmitglieder schließen sich wie bei den Freimaurern in jedem Bezirke zu einer Loge zu¬ sammen — zogen mit Fahnen und unter dem Klänge riesiger Trommeln herbei. Die Fahnen, die Schärpen, die Kopftücher und Schürzen der Frauen, die Satteldecken der Pferde, die Blumen, die die Männer im Knopfloche und die Kinder in den Händen trugen — meist unsre sogenannte Studentenblume — alles war zum Andenken an Wilhelm den Dritten von Oranien orangefarben. Oben auf dem Hügel war eine Tribüne errichtet, die mit den Fahnen der einzelnen Logen geschmückt und von den Logenvorständen und protestantischen Geistlichen besetzt war. Einer der letztern eröffnete die Orangistenversammlung durch ein kurzes Gebet. Dann hieß er seine Bundesbrüder willkommen und alle, die von nah und fern herbeigeeilt seien, um den großen Tag würdig zu feiern. Hoffentlich, fuhr er fort, sei kein Feind ihrer Partei nnter den Versammelten, keiner, der an seinem Vaterlande und an seinem Glauben zum Verräter ge¬ worden sei. „Und wenn einer da ist, so lasse er sich jetzt warnen!" rief er, und mit diesen Worten sprang er auf die grüne Fahne des katholischen Irlands M, die mitten unter den orangefarbenen Schwestern wehte, hielt sie hoch empor und schrie mit weithin gellender Stimme in die vieltausendzählige Versamm¬ lung hinein: „Was sollen wir mit diesen, Fetzen der Rebellen machen?" Ein unbeschreibliches Hohn- und Wutgeschrei erhob sich, und plötzlich flog die grüne Fahne Erins in hohem Bogen mitten in die Menge hinein, von der sie sofort in tausend Stücke zerrissen und zertreten wurde. Noch nie hatte ich das Bild eines Priesterfanatikers gesehen, hier sah ich ihn in der Person dieses prote¬ stantischen Geistlichen. In begeisterter Rede erinnerte er dann seine Mitbrüder an die Bedeutung des Tages, an die unzähligen Greuelthaten der feindlichen Partei, sagte ihnen, Krieg sei nach wie vor zwischen ihnen, ein Krieg auf Leben und Tod, und schloß mit dem Spruche der Orangisten: „Jungens, vertraut auf Gott und haltet euer Pulver trocken!" Auch in den übrigen Reden wurde unter unendlichem Jubel der Anwesenden dieser Krieg gepredigt. Nicht gerade sehr befriedigt kehrte ich heim. Wie erstaunt war ich aber, als ich am nächsten Tage in einer Dubliner Abendzeitung einen Bericht über dieses Meeting las, worin der Schreiber die Mäßigung der Versammlung pries.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/291>, abgerufen am 28.07.2024.