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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

am eignen Herd sich nicht erfüllen, da das Mädchen, an das er gedacht hatte,
eine Frankfurter Patriziertochter, anderweitig vermählt wurde, und selbst sein
bescheidener Schlußwunsch sollte sich nur zur Hälfte erfüllen. Wurde so nichts
aus dem erhofften glücklichen Familienleben, so trieben ihn bald gerade seine
litterarischen Arbeiten aus dem Studirzimmer hinaus in die großen Kämpfe der
Zeit, deren ganze Tragweite sich ihm jetzt erst erschloß, und Ruhe sollte ihm erst
wieder winken auf einer stillen Insel fern der Heimat, im Arm des Todes.

Wie hätte auch eine Natur wie die seinige sich jetzt einspinnen können in ein
friedfertiges Gelehrtenleben, dessen schönste Stunden schulmäßige Versemacherei
ausgefüllt hätte, während draußen der Name Luther in ganz Deutschland
tausendfach wiederhallte I Hütten begriff die Einzigkeit des großen Augenblicks,
in welchen ihn das Schicksal nicht bloß gestellt hatte, um mit verschränkten
Armen den sich drängenden Ereignissen gleichgiltig zuzusehen. Luthers Sache
war ihm jetzt nicht mehr bloß ein müßiges Mönchsgezänk, wie es deren schon
manche gegeben hatte, sondern seit 1520 war Hütten klar geworden, daß Luther
der Mann sei, den großen Geisterkampf siegreich durchzuführen, zu dem schon
so mancher Anlauf genommen worden war. Jetzt erst erfüllte sein ganzes Wesen
das Bewußtsein des herrlichen Vorzugs, gerade in dieser Zeit geboren zu sein,
denn nun war ja in ganz anderm, von Hütten nicht geahnten Sinne wahr
geworden, was er zwei Jahre früher an den Nürnberger Patrizier Wilibald
Pirkheimer geschrieben hatte: "Es ist eine Freude zu leben, wenn auch noch
nicht sich zur Ruhe zu setzen; es blühen die Studien, die Geister regen sich."

Durch Melanchthon trat Hütten in Verbindung mit Luther. Zwischen den
Beweggründen wie zwischen den Zielen der beiden Männer besteht ein tief¬
greifender Unterschied, der zu wesentlich ist, als daß er nicht von vornherein
festgestellt werden müßte, obwohl er oft übersehen oder doch wenigstens nicht
scharf genug festgehalten wird. Man darf die Absichten beider nicht ohne
weiteres gleichstelle". Von verschiednen Ausgangspunkten ausgehend, hat jeder
von beiden sich sein Ziel in einer Hinsicht weiter und in andrer doch wieder
enger gesteckt als der andre; sie haben wohl denselben Gegner, aber jeder aus
einer andern Ursache und mit andrer Absicht, und so kämpfen sie mehr neben
einander als mit einander. Denn so wenig der Theologe Luther mit den weit¬
gehenden politischen Plänen des kühnen Ritters etwas zu thun hat, die er in
ihrer ganzen Bedeutung gar nicht erfaßt, so wenig ist der Humanist Hütten
bis zu dem hindurchgedrungen, was Luthers Seele im Innersten beschwerte,
bis zu der Wurzel, aus welcher des Reformators unerschütterliche Überzeugung
hervorgewachsen war. Es blieb in jedem von beiden ein dem andern sich nicht
erschließender Kern, und so läßt sich Huttens und Luthers Lebensthätigkeit in
ihrem gegenseitigen Verhältnis zwei sich schneidenden Kreisen vergleichen, die
wohl zu einem bedeutenden Teil gemeinschaftliche Fläche bedecken, deren Mittel¬
punkte aber außerhalb dieses gemeinschaftlichen Teiles liegen.


Ulrich von Hütten.

am eignen Herd sich nicht erfüllen, da das Mädchen, an das er gedacht hatte,
eine Frankfurter Patriziertochter, anderweitig vermählt wurde, und selbst sein
bescheidener Schlußwunsch sollte sich nur zur Hälfte erfüllen. Wurde so nichts
aus dem erhofften glücklichen Familienleben, so trieben ihn bald gerade seine
litterarischen Arbeiten aus dem Studirzimmer hinaus in die großen Kämpfe der
Zeit, deren ganze Tragweite sich ihm jetzt erst erschloß, und Ruhe sollte ihm erst
wieder winken auf einer stillen Insel fern der Heimat, im Arm des Todes.

Wie hätte auch eine Natur wie die seinige sich jetzt einspinnen können in ein
friedfertiges Gelehrtenleben, dessen schönste Stunden schulmäßige Versemacherei
ausgefüllt hätte, während draußen der Name Luther in ganz Deutschland
tausendfach wiederhallte I Hütten begriff die Einzigkeit des großen Augenblicks,
in welchen ihn das Schicksal nicht bloß gestellt hatte, um mit verschränkten
Armen den sich drängenden Ereignissen gleichgiltig zuzusehen. Luthers Sache
war ihm jetzt nicht mehr bloß ein müßiges Mönchsgezänk, wie es deren schon
manche gegeben hatte, sondern seit 1520 war Hütten klar geworden, daß Luther
der Mann sei, den großen Geisterkampf siegreich durchzuführen, zu dem schon
so mancher Anlauf genommen worden war. Jetzt erst erfüllte sein ganzes Wesen
das Bewußtsein des herrlichen Vorzugs, gerade in dieser Zeit geboren zu sein,
denn nun war ja in ganz anderm, von Hütten nicht geahnten Sinne wahr
geworden, was er zwei Jahre früher an den Nürnberger Patrizier Wilibald
Pirkheimer geschrieben hatte: „Es ist eine Freude zu leben, wenn auch noch
nicht sich zur Ruhe zu setzen; es blühen die Studien, die Geister regen sich."

Durch Melanchthon trat Hütten in Verbindung mit Luther. Zwischen den
Beweggründen wie zwischen den Zielen der beiden Männer besteht ein tief¬
greifender Unterschied, der zu wesentlich ist, als daß er nicht von vornherein
festgestellt werden müßte, obwohl er oft übersehen oder doch wenigstens nicht
scharf genug festgehalten wird. Man darf die Absichten beider nicht ohne
weiteres gleichstelle». Von verschiednen Ausgangspunkten ausgehend, hat jeder
von beiden sich sein Ziel in einer Hinsicht weiter und in andrer doch wieder
enger gesteckt als der andre; sie haben wohl denselben Gegner, aber jeder aus
einer andern Ursache und mit andrer Absicht, und so kämpfen sie mehr neben
einander als mit einander. Denn so wenig der Theologe Luther mit den weit¬
gehenden politischen Plänen des kühnen Ritters etwas zu thun hat, die er in
ihrer ganzen Bedeutung gar nicht erfaßt, so wenig ist der Humanist Hütten
bis zu dem hindurchgedrungen, was Luthers Seele im Innersten beschwerte,
bis zu der Wurzel, aus welcher des Reformators unerschütterliche Überzeugung
hervorgewachsen war. Es blieb in jedem von beiden ein dem andern sich nicht
erschließender Kern, und so läßt sich Huttens und Luthers Lebensthätigkeit in
ihrem gegenseitigen Verhältnis zwei sich schneidenden Kreisen vergleichen, die
wohl zu einem bedeutenden Teil gemeinschaftliche Fläche bedecken, deren Mittel¬
punkte aber außerhalb dieses gemeinschaftlichen Teiles liegen.


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[0029] Ulrich von Hütten. am eignen Herd sich nicht erfüllen, da das Mädchen, an das er gedacht hatte, eine Frankfurter Patriziertochter, anderweitig vermählt wurde, und selbst sein bescheidener Schlußwunsch sollte sich nur zur Hälfte erfüllen. Wurde so nichts aus dem erhofften glücklichen Familienleben, so trieben ihn bald gerade seine litterarischen Arbeiten aus dem Studirzimmer hinaus in die großen Kämpfe der Zeit, deren ganze Tragweite sich ihm jetzt erst erschloß, und Ruhe sollte ihm erst wieder winken auf einer stillen Insel fern der Heimat, im Arm des Todes. Wie hätte auch eine Natur wie die seinige sich jetzt einspinnen können in ein friedfertiges Gelehrtenleben, dessen schönste Stunden schulmäßige Versemacherei ausgefüllt hätte, während draußen der Name Luther in ganz Deutschland tausendfach wiederhallte I Hütten begriff die Einzigkeit des großen Augenblicks, in welchen ihn das Schicksal nicht bloß gestellt hatte, um mit verschränkten Armen den sich drängenden Ereignissen gleichgiltig zuzusehen. Luthers Sache war ihm jetzt nicht mehr bloß ein müßiges Mönchsgezänk, wie es deren schon manche gegeben hatte, sondern seit 1520 war Hütten klar geworden, daß Luther der Mann sei, den großen Geisterkampf siegreich durchzuführen, zu dem schon so mancher Anlauf genommen worden war. Jetzt erst erfüllte sein ganzes Wesen das Bewußtsein des herrlichen Vorzugs, gerade in dieser Zeit geboren zu sein, denn nun war ja in ganz anderm, von Hütten nicht geahnten Sinne wahr geworden, was er zwei Jahre früher an den Nürnberger Patrizier Wilibald Pirkheimer geschrieben hatte: „Es ist eine Freude zu leben, wenn auch noch nicht sich zur Ruhe zu setzen; es blühen die Studien, die Geister regen sich." Durch Melanchthon trat Hütten in Verbindung mit Luther. Zwischen den Beweggründen wie zwischen den Zielen der beiden Männer besteht ein tief¬ greifender Unterschied, der zu wesentlich ist, als daß er nicht von vornherein festgestellt werden müßte, obwohl er oft übersehen oder doch wenigstens nicht scharf genug festgehalten wird. Man darf die Absichten beider nicht ohne weiteres gleichstelle». Von verschiednen Ausgangspunkten ausgehend, hat jeder von beiden sich sein Ziel in einer Hinsicht weiter und in andrer doch wieder enger gesteckt als der andre; sie haben wohl denselben Gegner, aber jeder aus einer andern Ursache und mit andrer Absicht, und so kämpfen sie mehr neben einander als mit einander. Denn so wenig der Theologe Luther mit den weit¬ gehenden politischen Plänen des kühnen Ritters etwas zu thun hat, die er in ihrer ganzen Bedeutung gar nicht erfaßt, so wenig ist der Humanist Hütten bis zu dem hindurchgedrungen, was Luthers Seele im Innersten beschwerte, bis zu der Wurzel, aus welcher des Reformators unerschütterliche Überzeugung hervorgewachsen war. Es blieb in jedem von beiden ein dem andern sich nicht erschließender Kern, und so läßt sich Huttens und Luthers Lebensthätigkeit in ihrem gegenseitigen Verhältnis zwei sich schneidenden Kreisen vergleichen, die wohl zu einem bedeutenden Teil gemeinschaftliche Fläche bedecken, deren Mittel¬ punkte aber außerhalb dieses gemeinschaftlichen Teiles liegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/29>, abgerufen am 01.09.2024.