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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zwei Vorreden,

Vermeiden, daß sich das Orchester mit schneidigen Widerspruche zwischen die
Arie und das Rezitativ in den Gesangsvortrag eindränge" und Langhaus redet
gar von dem "üblichen Zwischenspiel zwischen Rezitativ und Arie, welches dem
Sinne der Dichtung widerspreche und die Kraft und Wärme der Handlung
aufhebe." und daher "unter allen Umständen zu vermeiden" sei. "Unter allen
Umständen" hat hier Herr Langhaus den Meister seine Anschauung schroffer
aussprechen lassen, als dieser es in der That gethan hat. Uns aber scheint,
daß er sogar den Vorredner zur "Alceste" in den schroffsten Widerspruch zum
Schöpfer dieser Oper gebracht hat, denn ein Blick in die Partitur zeigt, daß
Gluck es keineswegs unter allen Umständen vermied, Arie und Rezitativ durch
ein Orchestcrzwischcnspicl zu verbinden. Gluck hat aber auch gar nicht gegen
übliche Zwischenspiele, gegen "einen zu großen Zwischenraum zwischen Arie
und Rezitativ" u. dergl. sich ausgesprochen, sondern gegen quel t^liövtö üivario,
das heißt doch wohl "jene schroffe Verschiedenheit" und bezieht sich nach unserm
Dafürhalten auf den grellen Abstand zwischen dem ssooo behandelten Rezitativ
und der vom vollen Orchester begleiteten Arie der alten Oper, jenen auffälligen
Unterschied in der Ausdrucksweise, der in der That den Gang der Rede wider¬
sinnig durchschnitt und Kraft wie Feuer der Handlung zu ungelegener Zeit
unterbrach. Gluck eifert an dieser Stelle gegen jenen Mangel an stilistischer
Einheit, dem er in seinen reformatorischen Werken, vom "Orpheus" an, durch
eine reichere instrumentale Ausgestaltung der Nezitative abzuhelfen suchte. Es
wäre auch in der That seltsam, wenn der große Reformator "die Verarbeitung
des Nezitativs aus dem alten sseo" in die dramatisch fortschreitende musikalische
Aktion," welche ihm von allen Biographen und Historikern als eine der gewich¬
tigsten Neuerungen hoch angerechnet wird, in jener streitbaren, seine Grundsätze
darlegenden Vorrede zu erwähnen vergessen hätte.

Waren dies Übersetzungsfehler, welche das Verständnis dieser wichtigsten
Urkunde über Glucks Opernreform empfindlich beeinträchtigen mußten, so bietet
dagegen der Schlußabschnitt der Übertragung Anton Schmids und seiner Nach¬
schreiber einen Zusatz, der streng genommen als eine, wenn auch wahrscheinlich
unbewußte, litterarische Fälschung bezeichnet werden muß. "Als der berühmte
Verfasser der Alceste, Herr von Calzabigi, meinen Plan eines lyrischen Dramas
durchführte," läßt Schmid seinen Helden schreiben und sich damit den Ruhm
sichern, als erster die Notwendigkeit einer Umgestaltung der alten italienischen
Oper erkannt zu haben. Allein dagegen sprechen nicht nur Calzabigis spätere
Aussagen, sondern vor allem auch Glucks eigne Worte in seinem Briefe an
den Nervure as Kranes vom Februar 1773, worin geradezu dem Textdichter das
Hauptverdienst zuerkannt wird, da er allein es war, der es Gluck ermöglichte, die
Quellen seiner Kunst strömen zu lassen. In Wirklichkeit hat der große Meister
der Töne die obigen Worte auch gar nicht geschrieben, sondern der bekannte turor
dioZraxnious eines seiner Verehrer hat sie in die Vorrede eingeschmuggelt.


Grenzboten II. 1388. SS
Zwei Vorreden,

Vermeiden, daß sich das Orchester mit schneidigen Widerspruche zwischen die
Arie und das Rezitativ in den Gesangsvortrag eindränge" und Langhaus redet
gar von dem „üblichen Zwischenspiel zwischen Rezitativ und Arie, welches dem
Sinne der Dichtung widerspreche und die Kraft und Wärme der Handlung
aufhebe." und daher „unter allen Umständen zu vermeiden" sei. „Unter allen
Umständen" hat hier Herr Langhaus den Meister seine Anschauung schroffer
aussprechen lassen, als dieser es in der That gethan hat. Uns aber scheint,
daß er sogar den Vorredner zur „Alceste" in den schroffsten Widerspruch zum
Schöpfer dieser Oper gebracht hat, denn ein Blick in die Partitur zeigt, daß
Gluck es keineswegs unter allen Umständen vermied, Arie und Rezitativ durch
ein Orchestcrzwischcnspicl zu verbinden. Gluck hat aber auch gar nicht gegen
übliche Zwischenspiele, gegen „einen zu großen Zwischenraum zwischen Arie
und Rezitativ" u. dergl. sich ausgesprochen, sondern gegen quel t^liövtö üivario,
das heißt doch wohl „jene schroffe Verschiedenheit" und bezieht sich nach unserm
Dafürhalten auf den grellen Abstand zwischen dem ssooo behandelten Rezitativ
und der vom vollen Orchester begleiteten Arie der alten Oper, jenen auffälligen
Unterschied in der Ausdrucksweise, der in der That den Gang der Rede wider¬
sinnig durchschnitt und Kraft wie Feuer der Handlung zu ungelegener Zeit
unterbrach. Gluck eifert an dieser Stelle gegen jenen Mangel an stilistischer
Einheit, dem er in seinen reformatorischen Werken, vom „Orpheus" an, durch
eine reichere instrumentale Ausgestaltung der Nezitative abzuhelfen suchte. Es
wäre auch in der That seltsam, wenn der große Reformator „die Verarbeitung
des Nezitativs aus dem alten sseo» in die dramatisch fortschreitende musikalische
Aktion," welche ihm von allen Biographen und Historikern als eine der gewich¬
tigsten Neuerungen hoch angerechnet wird, in jener streitbaren, seine Grundsätze
darlegenden Vorrede zu erwähnen vergessen hätte.

Waren dies Übersetzungsfehler, welche das Verständnis dieser wichtigsten
Urkunde über Glucks Opernreform empfindlich beeinträchtigen mußten, so bietet
dagegen der Schlußabschnitt der Übertragung Anton Schmids und seiner Nach¬
schreiber einen Zusatz, der streng genommen als eine, wenn auch wahrscheinlich
unbewußte, litterarische Fälschung bezeichnet werden muß. „Als der berühmte
Verfasser der Alceste, Herr von Calzabigi, meinen Plan eines lyrischen Dramas
durchführte," läßt Schmid seinen Helden schreiben und sich damit den Ruhm
sichern, als erster die Notwendigkeit einer Umgestaltung der alten italienischen
Oper erkannt zu haben. Allein dagegen sprechen nicht nur Calzabigis spätere
Aussagen, sondern vor allem auch Glucks eigne Worte in seinem Briefe an
den Nervure as Kranes vom Februar 1773, worin geradezu dem Textdichter das
Hauptverdienst zuerkannt wird, da er allein es war, der es Gluck ermöglichte, die
Quellen seiner Kunst strömen zu lassen. In Wirklichkeit hat der große Meister
der Töne die obigen Worte auch gar nicht geschrieben, sondern der bekannte turor
dioZraxnious eines seiner Verehrer hat sie in die Vorrede eingeschmuggelt.


Grenzboten II. 1388. SS
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[0281] Zwei Vorreden, Vermeiden, daß sich das Orchester mit schneidigen Widerspruche zwischen die Arie und das Rezitativ in den Gesangsvortrag eindränge" und Langhaus redet gar von dem „üblichen Zwischenspiel zwischen Rezitativ und Arie, welches dem Sinne der Dichtung widerspreche und die Kraft und Wärme der Handlung aufhebe." und daher „unter allen Umständen zu vermeiden" sei. „Unter allen Umständen" hat hier Herr Langhaus den Meister seine Anschauung schroffer aussprechen lassen, als dieser es in der That gethan hat. Uns aber scheint, daß er sogar den Vorredner zur „Alceste" in den schroffsten Widerspruch zum Schöpfer dieser Oper gebracht hat, denn ein Blick in die Partitur zeigt, daß Gluck es keineswegs unter allen Umständen vermied, Arie und Rezitativ durch ein Orchestcrzwischcnspicl zu verbinden. Gluck hat aber auch gar nicht gegen übliche Zwischenspiele, gegen „einen zu großen Zwischenraum zwischen Arie und Rezitativ" u. dergl. sich ausgesprochen, sondern gegen quel t^liövtö üivario, das heißt doch wohl „jene schroffe Verschiedenheit" und bezieht sich nach unserm Dafürhalten auf den grellen Abstand zwischen dem ssooo behandelten Rezitativ und der vom vollen Orchester begleiteten Arie der alten Oper, jenen auffälligen Unterschied in der Ausdrucksweise, der in der That den Gang der Rede wider¬ sinnig durchschnitt und Kraft wie Feuer der Handlung zu ungelegener Zeit unterbrach. Gluck eifert an dieser Stelle gegen jenen Mangel an stilistischer Einheit, dem er in seinen reformatorischen Werken, vom „Orpheus" an, durch eine reichere instrumentale Ausgestaltung der Nezitative abzuhelfen suchte. Es wäre auch in der That seltsam, wenn der große Reformator „die Verarbeitung des Nezitativs aus dem alten sseo» in die dramatisch fortschreitende musikalische Aktion," welche ihm von allen Biographen und Historikern als eine der gewich¬ tigsten Neuerungen hoch angerechnet wird, in jener streitbaren, seine Grundsätze darlegenden Vorrede zu erwähnen vergessen hätte. Waren dies Übersetzungsfehler, welche das Verständnis dieser wichtigsten Urkunde über Glucks Opernreform empfindlich beeinträchtigen mußten, so bietet dagegen der Schlußabschnitt der Übertragung Anton Schmids und seiner Nach¬ schreiber einen Zusatz, der streng genommen als eine, wenn auch wahrscheinlich unbewußte, litterarische Fälschung bezeichnet werden muß. „Als der berühmte Verfasser der Alceste, Herr von Calzabigi, meinen Plan eines lyrischen Dramas durchführte," läßt Schmid seinen Helden schreiben und sich damit den Ruhm sichern, als erster die Notwendigkeit einer Umgestaltung der alten italienischen Oper erkannt zu haben. Allein dagegen sprechen nicht nur Calzabigis spätere Aussagen, sondern vor allem auch Glucks eigne Worte in seinem Briefe an den Nervure as Kranes vom Februar 1773, worin geradezu dem Textdichter das Hauptverdienst zuerkannt wird, da er allein es war, der es Gluck ermöglichte, die Quellen seiner Kunst strömen zu lassen. In Wirklichkeit hat der große Meister der Töne die obigen Worte auch gar nicht geschrieben, sondern der bekannte turor dioZraxnious eines seiner Verehrer hat sie in die Vorrede eingeschmuggelt. Grenzboten II. 1388. SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/281>, abgerufen am 01.09.2024.