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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

äußerm Leben; freilich freute er sich der Wahl, an welcher das ihm stets zur
Seite stehende Vertrauen der Natsmitglieder fast gleichen Anteil wie der Zufall
hatte, und verehrte es als eine glückliche Fügung, daß die seinem Großvater
zu teil gewordene Berufung der Stadt zum ersten Syndikus jetzt gleichsam die
würdigste Weihe empfangen hatte.

Wenn dem im Verhältnis zu seiner hohen Stellung wenig bemittelten
Schultheißen die Versorgung seiner vier Töchter Sorge machte, so traf es sich
glücklich, daß der ans einer Handwerkerfamilie stammende Dr. Goethe sich um
die Hand seiner ältesten, volle einundzwanzig Jahre jüngern Tochter bewarb.
Da er ein Mann von geradem, tüchtigem Sinne, fester Lebensanschauung und
ausreichendem Vermögen war, so schien diese Verbindung Textor umso weniger
bedenklich, als des Bräutigams Mutter vorläufig noch den Haushalt besorgen
sollte, sodaß Elisabeth zu weiterer Ausbildung Zeit behielt. Er selbst hatte
in noch höhern Jahren ein noch jüngeres Mädchen heimgeführt, und seine Ehe
war glücklich geworden. Schon am 20. August 1748 ward die Ehe geschlossen und
ein Jahr später, am 28. August 1749, mit einem Sohne gesegnet, der die Welt mit
seinem Ruhm erfüllen sollte. Der Stadtschultheiß, dessen beide Namen sein erster
Enkel erhielt, war der einzige Zeuge bei der tags darauf in dem Hause auf dem
großen Hirschgrabcu vollzogenen Taufe. Dem Sohne folgte am 7. Dezember 1750
eine Tochter, Cornelia Friederica Christian", die ihre Vornamen von den Paten
erhielt, Goethes Mutter Cornelia und dem Hessen-darmstädtischen Oberstleutnant
Friedrich Christian Hoffmann. Der bisher unbekannte Pate Corneliens war wohl
einunddieselbe Person mit dem Generalmajor von Hoffmann, dem Wolfgang auf
den Wunsch seines Vaters im Jahre 1767 ein französisches Trauergedicht auf
den Tod seiner Gattin widmen mußte. In ähnlicher Weise mußte der junge
Lessing auf den Wunsch des Vaters ein deutsches Dankgcdicht an seinen Gönner,
den Oberstleutnant von Carlowitz, richten. Von den bis zum Juni 1760 ge¬
borenen Kindern Goethes, Hermann Jakob, dessen Pate der Bruder des Herrn
Rat war, Katharina Elisabeth, Johanna Maria und Georg Adolf (nach der
Mutter, der Schwester und deren Gatten benannt) gelangte nur der erste zum
achten Lebensjahre, die übrigen starben während des siebenjährigen Krieges, der
viele Krankheiten mit sich brachte, im ersten bis zum dritten Jahre, sodaß am
1. Februar 1761 nur noch Wolfgang und Coruelie übrig waren.

Unterdessen hatte Textors zweite Tochter Johanna Maria den acht Jahre
ältern Handelsmann Georg Adolf Mekher geheiratet. Mekher (der Name heißt
im Volksmunde, aber auch zuweilen amtlich und selbst im ersten Drucke von
"Dichtung und Wahrheit," Melbert, wörtlich Mehlhändler) war im Besitze der
Materialienhandlung "Mekher (meist Melbert) L Wagner" und der dazu gehörigen
beiden Häuser (jetzt Droguenhcmdlung I. M. Andreä) I,. 123. 124, Ecke des
Hühnermarktes und der Neugasse (hinter dem Lämmchen 2 und Ncugasse 1a).
Falsch berichtet war G. von Loeper, wenn er (und seine sichere Behauptung


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

äußerm Leben; freilich freute er sich der Wahl, an welcher das ihm stets zur
Seite stehende Vertrauen der Natsmitglieder fast gleichen Anteil wie der Zufall
hatte, und verehrte es als eine glückliche Fügung, daß die seinem Großvater
zu teil gewordene Berufung der Stadt zum ersten Syndikus jetzt gleichsam die
würdigste Weihe empfangen hatte.

Wenn dem im Verhältnis zu seiner hohen Stellung wenig bemittelten
Schultheißen die Versorgung seiner vier Töchter Sorge machte, so traf es sich
glücklich, daß der ans einer Handwerkerfamilie stammende Dr. Goethe sich um
die Hand seiner ältesten, volle einundzwanzig Jahre jüngern Tochter bewarb.
Da er ein Mann von geradem, tüchtigem Sinne, fester Lebensanschauung und
ausreichendem Vermögen war, so schien diese Verbindung Textor umso weniger
bedenklich, als des Bräutigams Mutter vorläufig noch den Haushalt besorgen
sollte, sodaß Elisabeth zu weiterer Ausbildung Zeit behielt. Er selbst hatte
in noch höhern Jahren ein noch jüngeres Mädchen heimgeführt, und seine Ehe
war glücklich geworden. Schon am 20. August 1748 ward die Ehe geschlossen und
ein Jahr später, am 28. August 1749, mit einem Sohne gesegnet, der die Welt mit
seinem Ruhm erfüllen sollte. Der Stadtschultheiß, dessen beide Namen sein erster
Enkel erhielt, war der einzige Zeuge bei der tags darauf in dem Hause auf dem
großen Hirschgrabcu vollzogenen Taufe. Dem Sohne folgte am 7. Dezember 1750
eine Tochter, Cornelia Friederica Christian«, die ihre Vornamen von den Paten
erhielt, Goethes Mutter Cornelia und dem Hessen-darmstädtischen Oberstleutnant
Friedrich Christian Hoffmann. Der bisher unbekannte Pate Corneliens war wohl
einunddieselbe Person mit dem Generalmajor von Hoffmann, dem Wolfgang auf
den Wunsch seines Vaters im Jahre 1767 ein französisches Trauergedicht auf
den Tod seiner Gattin widmen mußte. In ähnlicher Weise mußte der junge
Lessing auf den Wunsch des Vaters ein deutsches Dankgcdicht an seinen Gönner,
den Oberstleutnant von Carlowitz, richten. Von den bis zum Juni 1760 ge¬
borenen Kindern Goethes, Hermann Jakob, dessen Pate der Bruder des Herrn
Rat war, Katharina Elisabeth, Johanna Maria und Georg Adolf (nach der
Mutter, der Schwester und deren Gatten benannt) gelangte nur der erste zum
achten Lebensjahre, die übrigen starben während des siebenjährigen Krieges, der
viele Krankheiten mit sich brachte, im ersten bis zum dritten Jahre, sodaß am
1. Februar 1761 nur noch Wolfgang und Coruelie übrig waren.

Unterdessen hatte Textors zweite Tochter Johanna Maria den acht Jahre
ältern Handelsmann Georg Adolf Mekher geheiratet. Mekher (der Name heißt
im Volksmunde, aber auch zuweilen amtlich und selbst im ersten Drucke von
„Dichtung und Wahrheit," Melbert, wörtlich Mehlhändler) war im Besitze der
Materialienhandlung „Mekher (meist Melbert) L Wagner" und der dazu gehörigen
beiden Häuser (jetzt Droguenhcmdlung I. M. Andreä) I,. 123. 124, Ecke des
Hühnermarktes und der Neugasse (hinter dem Lämmchen 2 und Ncugasse 1a).
Falsch berichtet war G. von Loeper, wenn er (und seine sichere Behauptung


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[0274] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. äußerm Leben; freilich freute er sich der Wahl, an welcher das ihm stets zur Seite stehende Vertrauen der Natsmitglieder fast gleichen Anteil wie der Zufall hatte, und verehrte es als eine glückliche Fügung, daß die seinem Großvater zu teil gewordene Berufung der Stadt zum ersten Syndikus jetzt gleichsam die würdigste Weihe empfangen hatte. Wenn dem im Verhältnis zu seiner hohen Stellung wenig bemittelten Schultheißen die Versorgung seiner vier Töchter Sorge machte, so traf es sich glücklich, daß der ans einer Handwerkerfamilie stammende Dr. Goethe sich um die Hand seiner ältesten, volle einundzwanzig Jahre jüngern Tochter bewarb. Da er ein Mann von geradem, tüchtigem Sinne, fester Lebensanschauung und ausreichendem Vermögen war, so schien diese Verbindung Textor umso weniger bedenklich, als des Bräutigams Mutter vorläufig noch den Haushalt besorgen sollte, sodaß Elisabeth zu weiterer Ausbildung Zeit behielt. Er selbst hatte in noch höhern Jahren ein noch jüngeres Mädchen heimgeführt, und seine Ehe war glücklich geworden. Schon am 20. August 1748 ward die Ehe geschlossen und ein Jahr später, am 28. August 1749, mit einem Sohne gesegnet, der die Welt mit seinem Ruhm erfüllen sollte. Der Stadtschultheiß, dessen beide Namen sein erster Enkel erhielt, war der einzige Zeuge bei der tags darauf in dem Hause auf dem großen Hirschgrabcu vollzogenen Taufe. Dem Sohne folgte am 7. Dezember 1750 eine Tochter, Cornelia Friederica Christian«, die ihre Vornamen von den Paten erhielt, Goethes Mutter Cornelia und dem Hessen-darmstädtischen Oberstleutnant Friedrich Christian Hoffmann. Der bisher unbekannte Pate Corneliens war wohl einunddieselbe Person mit dem Generalmajor von Hoffmann, dem Wolfgang auf den Wunsch seines Vaters im Jahre 1767 ein französisches Trauergedicht auf den Tod seiner Gattin widmen mußte. In ähnlicher Weise mußte der junge Lessing auf den Wunsch des Vaters ein deutsches Dankgcdicht an seinen Gönner, den Oberstleutnant von Carlowitz, richten. Von den bis zum Juni 1760 ge¬ borenen Kindern Goethes, Hermann Jakob, dessen Pate der Bruder des Herrn Rat war, Katharina Elisabeth, Johanna Maria und Georg Adolf (nach der Mutter, der Schwester und deren Gatten benannt) gelangte nur der erste zum achten Lebensjahre, die übrigen starben während des siebenjährigen Krieges, der viele Krankheiten mit sich brachte, im ersten bis zum dritten Jahre, sodaß am 1. Februar 1761 nur noch Wolfgang und Coruelie übrig waren. Unterdessen hatte Textors zweite Tochter Johanna Maria den acht Jahre ältern Handelsmann Georg Adolf Mekher geheiratet. Mekher (der Name heißt im Volksmunde, aber auch zuweilen amtlich und selbst im ersten Drucke von „Dichtung und Wahrheit," Melbert, wörtlich Mehlhändler) war im Besitze der Materialienhandlung „Mekher (meist Melbert) L Wagner" und der dazu gehörigen beiden Häuser (jetzt Droguenhcmdlung I. M. Andreä) I,. 123. 124, Ecke des Hühnermarktes und der Neugasse (hinter dem Lämmchen 2 und Ncugasse 1a). Falsch berichtet war G. von Loeper, wenn er (und seine sichere Behauptung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/274>, abgerufen am 28.07.2024.