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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Aas Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

Festlichkeiten zu Ehren des neuen Kaisers teil, der, wie österreichisch auch die gute
Stadt Frankfurt gesinnt war, doch durch seine Leutseligkeit und seine edle Er¬
scheinung aller Herzen gewann. Doch schon zwei Tage nach der Krönung fiel
seine Hauptstadt in die Hände der Österreicher, sodaß die Krönung der Kaiserin
am 8. März in sehr gedrückter Stimmung erfolgte. Nur auf kurze Zeit wurde
München den Feinden entrissen, und da auch Regensburg von diesen besetzt
war, sah Karl VII. sich gezwungen, in Frankfurt zu bleiben und dorthin auch
die Reichsstände zu berufen. Textor wurde zum Reichstage als Vertreter der
Stadt gewühlt. Auch als am 8. Oktober München wieder gewonnen war, hielt
der Kaiser es nicht sür geraten, in seine Erdtaube zurückzukehren, er beschloß
den Winter in der gastlichen Krönungsstadt zu bleiben. Für das Jahr 1743
wurde Textor zum zweiten male als älterer Bürgermeister erwühlt. Als solcher
hatte er die Majestät zum neuen Jahre zu beglückwünschen und jeden Abend
von ihm die Parole für den nächsten Tag einzuholen, wodurch er mit dem durch
sein Unglück noch milder gestimmten Kaiser in nächste Berührung kam. Dieser,
der schwer an der Gicht litt, hatte auch das Mißgeschick, im März zwei Töchter
an den Blattern zu verliere". Textor mußte ihm, und er konnte es aus vollem
Herzen, das Beileid von ganz Frankfurt aussprechen. Infolge der Fortschritte
der feindlichen Heere fühlte sich aber der Kaiser so bedroht, daß er am Mitt¬
woch vor Ostern den Reichsständen erklärte, er wolle nach den Festtagen in
seine Erdtaube zurückkehren. Der so gute, schöne und liebenswürdige, geistig
und körperlich leidende Monarch wurde allgemein bedauert, besonders auch von
Textor, dem er sich so gnädig erwies, dessen ganze junge Familie mit schwärme¬
rischer Verehrung an ihm hing; denn trotz aller phantastischen Ausschmückungen
Bettinens darf es kaum bezweifelt werden, daß seine beiden ältern Töchter von
Begeisterung für den Kaiser glühten. Der 17. April, an welchem er von
Frankfurt schied, war für sie ein Tag bitterster Trauer. Aber der Kaiser, dem
man mit Recht den Namen des Unglücklichen gegeben hatte, sah sich schon nach
neun Wochen genötigt, noch einmal nach Frankfurt seine Zuflucht zu nehmen.
Seinen kaiserlichen Dank bezeigte er der Krönungsstadt dadurch, daß er am
6. August auf ewige Zeiten die sieben ältesten Schöffen und den ältesten Syndikus
zu wirkliche" kaiserlichen Räten ernannte, wodurch Textor den blendenden Titel
Exzellenz erhielt. Auch Dr. Johann Kaspar Goethe, der sich vom Dienste
der Stadt, weil er sich verletzt glaubte, zurückgezogen hatte, verschaffte sich diese
Auszeichnung. Es geht die Sage, Karl VII. habe Textor den Adel angetragen,
dieser aber die Gnade aus dem Grunde abgelehnt, weil die Verheiratung seiner
Töchter dadurch erschwert werden würde, da der Adel Bürgerliche, sein geringes
Vermögen Adliche von der Bewerbung abhalten müsse. Noch eine Tochter
wurde ihm bescheert, die bei der Taufe am 23. Oktober 1743 die Namen Anna
Christine erhielt. Der Kaiser gewann infolge der am 22. Mai 1744 in Frank¬
furt geschlossenen Union seine Erdtaube wieder, aber nach seinem Einzuge in


Aas Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

Festlichkeiten zu Ehren des neuen Kaisers teil, der, wie österreichisch auch die gute
Stadt Frankfurt gesinnt war, doch durch seine Leutseligkeit und seine edle Er¬
scheinung aller Herzen gewann. Doch schon zwei Tage nach der Krönung fiel
seine Hauptstadt in die Hände der Österreicher, sodaß die Krönung der Kaiserin
am 8. März in sehr gedrückter Stimmung erfolgte. Nur auf kurze Zeit wurde
München den Feinden entrissen, und da auch Regensburg von diesen besetzt
war, sah Karl VII. sich gezwungen, in Frankfurt zu bleiben und dorthin auch
die Reichsstände zu berufen. Textor wurde zum Reichstage als Vertreter der
Stadt gewühlt. Auch als am 8. Oktober München wieder gewonnen war, hielt
der Kaiser es nicht sür geraten, in seine Erdtaube zurückzukehren, er beschloß
den Winter in der gastlichen Krönungsstadt zu bleiben. Für das Jahr 1743
wurde Textor zum zweiten male als älterer Bürgermeister erwühlt. Als solcher
hatte er die Majestät zum neuen Jahre zu beglückwünschen und jeden Abend
von ihm die Parole für den nächsten Tag einzuholen, wodurch er mit dem durch
sein Unglück noch milder gestimmten Kaiser in nächste Berührung kam. Dieser,
der schwer an der Gicht litt, hatte auch das Mißgeschick, im März zwei Töchter
an den Blattern zu verliere». Textor mußte ihm, und er konnte es aus vollem
Herzen, das Beileid von ganz Frankfurt aussprechen. Infolge der Fortschritte
der feindlichen Heere fühlte sich aber der Kaiser so bedroht, daß er am Mitt¬
woch vor Ostern den Reichsständen erklärte, er wolle nach den Festtagen in
seine Erdtaube zurückkehren. Der so gute, schöne und liebenswürdige, geistig
und körperlich leidende Monarch wurde allgemein bedauert, besonders auch von
Textor, dem er sich so gnädig erwies, dessen ganze junge Familie mit schwärme¬
rischer Verehrung an ihm hing; denn trotz aller phantastischen Ausschmückungen
Bettinens darf es kaum bezweifelt werden, daß seine beiden ältern Töchter von
Begeisterung für den Kaiser glühten. Der 17. April, an welchem er von
Frankfurt schied, war für sie ein Tag bitterster Trauer. Aber der Kaiser, dem
man mit Recht den Namen des Unglücklichen gegeben hatte, sah sich schon nach
neun Wochen genötigt, noch einmal nach Frankfurt seine Zuflucht zu nehmen.
Seinen kaiserlichen Dank bezeigte er der Krönungsstadt dadurch, daß er am
6. August auf ewige Zeiten die sieben ältesten Schöffen und den ältesten Syndikus
zu wirkliche» kaiserlichen Räten ernannte, wodurch Textor den blendenden Titel
Exzellenz erhielt. Auch Dr. Johann Kaspar Goethe, der sich vom Dienste
der Stadt, weil er sich verletzt glaubte, zurückgezogen hatte, verschaffte sich diese
Auszeichnung. Es geht die Sage, Karl VII. habe Textor den Adel angetragen,
dieser aber die Gnade aus dem Grunde abgelehnt, weil die Verheiratung seiner
Töchter dadurch erschwert werden würde, da der Adel Bürgerliche, sein geringes
Vermögen Adliche von der Bewerbung abhalten müsse. Noch eine Tochter
wurde ihm bescheert, die bei der Taufe am 23. Oktober 1743 die Namen Anna
Christine erhielt. Der Kaiser gewann infolge der am 22. Mai 1744 in Frank¬
furt geschlossenen Union seine Erdtaube wieder, aber nach seinem Einzuge in


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[0272] Aas Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. Festlichkeiten zu Ehren des neuen Kaisers teil, der, wie österreichisch auch die gute Stadt Frankfurt gesinnt war, doch durch seine Leutseligkeit und seine edle Er¬ scheinung aller Herzen gewann. Doch schon zwei Tage nach der Krönung fiel seine Hauptstadt in die Hände der Österreicher, sodaß die Krönung der Kaiserin am 8. März in sehr gedrückter Stimmung erfolgte. Nur auf kurze Zeit wurde München den Feinden entrissen, und da auch Regensburg von diesen besetzt war, sah Karl VII. sich gezwungen, in Frankfurt zu bleiben und dorthin auch die Reichsstände zu berufen. Textor wurde zum Reichstage als Vertreter der Stadt gewühlt. Auch als am 8. Oktober München wieder gewonnen war, hielt der Kaiser es nicht sür geraten, in seine Erdtaube zurückzukehren, er beschloß den Winter in der gastlichen Krönungsstadt zu bleiben. Für das Jahr 1743 wurde Textor zum zweiten male als älterer Bürgermeister erwühlt. Als solcher hatte er die Majestät zum neuen Jahre zu beglückwünschen und jeden Abend von ihm die Parole für den nächsten Tag einzuholen, wodurch er mit dem durch sein Unglück noch milder gestimmten Kaiser in nächste Berührung kam. Dieser, der schwer an der Gicht litt, hatte auch das Mißgeschick, im März zwei Töchter an den Blattern zu verliere». Textor mußte ihm, und er konnte es aus vollem Herzen, das Beileid von ganz Frankfurt aussprechen. Infolge der Fortschritte der feindlichen Heere fühlte sich aber der Kaiser so bedroht, daß er am Mitt¬ woch vor Ostern den Reichsständen erklärte, er wolle nach den Festtagen in seine Erdtaube zurückkehren. Der so gute, schöne und liebenswürdige, geistig und körperlich leidende Monarch wurde allgemein bedauert, besonders auch von Textor, dem er sich so gnädig erwies, dessen ganze junge Familie mit schwärme¬ rischer Verehrung an ihm hing; denn trotz aller phantastischen Ausschmückungen Bettinens darf es kaum bezweifelt werden, daß seine beiden ältern Töchter von Begeisterung für den Kaiser glühten. Der 17. April, an welchem er von Frankfurt schied, war für sie ein Tag bitterster Trauer. Aber der Kaiser, dem man mit Recht den Namen des Unglücklichen gegeben hatte, sah sich schon nach neun Wochen genötigt, noch einmal nach Frankfurt seine Zuflucht zu nehmen. Seinen kaiserlichen Dank bezeigte er der Krönungsstadt dadurch, daß er am 6. August auf ewige Zeiten die sieben ältesten Schöffen und den ältesten Syndikus zu wirkliche» kaiserlichen Räten ernannte, wodurch Textor den blendenden Titel Exzellenz erhielt. Auch Dr. Johann Kaspar Goethe, der sich vom Dienste der Stadt, weil er sich verletzt glaubte, zurückgezogen hatte, verschaffte sich diese Auszeichnung. Es geht die Sage, Karl VII. habe Textor den Adel angetragen, dieser aber die Gnade aus dem Grunde abgelehnt, weil die Verheiratung seiner Töchter dadurch erschwert werden würde, da der Adel Bürgerliche, sein geringes Vermögen Adliche von der Bewerbung abhalten müsse. Noch eine Tochter wurde ihm bescheert, die bei der Taufe am 23. Oktober 1743 die Namen Anna Christine erhielt. Der Kaiser gewann infolge der am 22. Mai 1744 in Frank¬ furt geschlossenen Union seine Erdtaube wieder, aber nach seinem Einzuge in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/272>, abgerufen am 28.07.2024.