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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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das Nützliche im Feld- und Gartenbau Herdorgesucht wurde. Überall zeigt sich
die innigste Wechselbeziehung zwischen Naturempfindung und Volkscharakter.
Dieser wird nicht allein durch die Natureindrücke bestimmt, sondern der durch
ursprüngliche Anlagen und Schicksale entwickelte Volkscharakter bestimmt auch
den Ausdruck unsers Naturgefühls in der Kunst.




Das Geschlecht Textor,
Goethes mütterlicher Stammbaum.
von H. T> nutz er. (Fortsetzung.)

in frühesten Morgen des 19. Februar 1731 wurde Textor seine
Tochter Katharina Elisabeth geboren, welche die Mutter von
Deutschlands größtem Dichter werden sollte. Paten waren die
beiden Großmütter Maria Katharina Textor und die abwesende
Katharina Elisabeth Juliane Lindhcimer, deren beide erste Namen
das Kind erhielt. Gelaufe wurde sie an demselben Tage von dem befreun¬
deten Pfarrer Schleiffer. In demselben Jahre rückte Textor auf die aus
vierzehn Mitgliedern meist älterer Frankfurter Geschlechter bestehende Schöffen¬
bank. Daß er uuter den drei Gewählten sich befinden und die goldne Kugel
für ihn entscheiden werde, hatte ihm am Morgen des Wahltages ein Traum
offenbart; er hatte vier Kugeln gesehen, von denen eine in der Mitte geteilt war,
was er später darauf deutete, daß bei der ersten Umfrage Stimmengleichheit
zwischen ihm und einem andern Ratsherrn stattgefunden hatte. Ein dritter, An¬
fang 1733 geborner Sohn, Heinrich David Wolfgang, starb, wie die beiden
ersten Söhne (David Wolfgang und Johann Wolfgang) bald nach der Geburt.
Im Jahre 1732 war der zwischen dem Rate und der Bürgerschaft lange be¬
stehende Streit durch einen kaiserlichen Erlaß notdürftig beigelegt worden, der
einen beständigen Ausschuß von einundfünfzig Bürgern einsetzte. Die im Mai
1734 von dem französischen Heere der Stadt drohende Gefahr zog glücklich
vorüber; ein sehr merkwürdiger Traum hatte dies dem besorgten Schöffen
vorher verkündet, der "Gott dankte," daß er eingetroffen war. In der Nacht
vor dem Eintreffen der Aufforderung des französischen Intendanten, die Stadt
solle wegen einer Kriegskontribution Abgeordnete nach dem Lager im Elsaß
senden, sah er die Grundsäulen des Römers sich lebhaft bewegen, kurz darauf
aber wieder feststehen. Ju demselben Jahre war seine Familie durch eine zweite


das Nützliche im Feld- und Gartenbau Herdorgesucht wurde. Überall zeigt sich
die innigste Wechselbeziehung zwischen Naturempfindung und Volkscharakter.
Dieser wird nicht allein durch die Natureindrücke bestimmt, sondern der durch
ursprüngliche Anlagen und Schicksale entwickelte Volkscharakter bestimmt auch
den Ausdruck unsers Naturgefühls in der Kunst.




Das Geschlecht Textor,
Goethes mütterlicher Stammbaum.
von H. T> nutz er. (Fortsetzung.)

in frühesten Morgen des 19. Februar 1731 wurde Textor seine
Tochter Katharina Elisabeth geboren, welche die Mutter von
Deutschlands größtem Dichter werden sollte. Paten waren die
beiden Großmütter Maria Katharina Textor und die abwesende
Katharina Elisabeth Juliane Lindhcimer, deren beide erste Namen
das Kind erhielt. Gelaufe wurde sie an demselben Tage von dem befreun¬
deten Pfarrer Schleiffer. In demselben Jahre rückte Textor auf die aus
vierzehn Mitgliedern meist älterer Frankfurter Geschlechter bestehende Schöffen¬
bank. Daß er uuter den drei Gewählten sich befinden und die goldne Kugel
für ihn entscheiden werde, hatte ihm am Morgen des Wahltages ein Traum
offenbart; er hatte vier Kugeln gesehen, von denen eine in der Mitte geteilt war,
was er später darauf deutete, daß bei der ersten Umfrage Stimmengleichheit
zwischen ihm und einem andern Ratsherrn stattgefunden hatte. Ein dritter, An¬
fang 1733 geborner Sohn, Heinrich David Wolfgang, starb, wie die beiden
ersten Söhne (David Wolfgang und Johann Wolfgang) bald nach der Geburt.
Im Jahre 1732 war der zwischen dem Rate und der Bürgerschaft lange be¬
stehende Streit durch einen kaiserlichen Erlaß notdürftig beigelegt worden, der
einen beständigen Ausschuß von einundfünfzig Bürgern einsetzte. Die im Mai
1734 von dem französischen Heere der Stadt drohende Gefahr zog glücklich
vorüber; ein sehr merkwürdiger Traum hatte dies dem besorgten Schöffen
vorher verkündet, der „Gott dankte," daß er eingetroffen war. In der Nacht
vor dem Eintreffen der Aufforderung des französischen Intendanten, die Stadt
solle wegen einer Kriegskontribution Abgeordnete nach dem Lager im Elsaß
senden, sah er die Grundsäulen des Römers sich lebhaft bewegen, kurz darauf
aber wieder feststehen. Ju demselben Jahre war seine Familie durch eine zweite


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[0270] das Nützliche im Feld- und Gartenbau Herdorgesucht wurde. Überall zeigt sich die innigste Wechselbeziehung zwischen Naturempfindung und Volkscharakter. Dieser wird nicht allein durch die Natureindrücke bestimmt, sondern der durch ursprüngliche Anlagen und Schicksale entwickelte Volkscharakter bestimmt auch den Ausdruck unsers Naturgefühls in der Kunst. Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. von H. T> nutz er. (Fortsetzung.) in frühesten Morgen des 19. Februar 1731 wurde Textor seine Tochter Katharina Elisabeth geboren, welche die Mutter von Deutschlands größtem Dichter werden sollte. Paten waren die beiden Großmütter Maria Katharina Textor und die abwesende Katharina Elisabeth Juliane Lindhcimer, deren beide erste Namen das Kind erhielt. Gelaufe wurde sie an demselben Tage von dem befreun¬ deten Pfarrer Schleiffer. In demselben Jahre rückte Textor auf die aus vierzehn Mitgliedern meist älterer Frankfurter Geschlechter bestehende Schöffen¬ bank. Daß er uuter den drei Gewählten sich befinden und die goldne Kugel für ihn entscheiden werde, hatte ihm am Morgen des Wahltages ein Traum offenbart; er hatte vier Kugeln gesehen, von denen eine in der Mitte geteilt war, was er später darauf deutete, daß bei der ersten Umfrage Stimmengleichheit zwischen ihm und einem andern Ratsherrn stattgefunden hatte. Ein dritter, An¬ fang 1733 geborner Sohn, Heinrich David Wolfgang, starb, wie die beiden ersten Söhne (David Wolfgang und Johann Wolfgang) bald nach der Geburt. Im Jahre 1732 war der zwischen dem Rate und der Bürgerschaft lange be¬ stehende Streit durch einen kaiserlichen Erlaß notdürftig beigelegt worden, der einen beständigen Ausschuß von einundfünfzig Bürgern einsetzte. Die im Mai 1734 von dem französischen Heere der Stadt drohende Gefahr zog glücklich vorüber; ein sehr merkwürdiger Traum hatte dies dem besorgten Schöffen vorher verkündet, der „Gott dankte," daß er eingetroffen war. In der Nacht vor dem Eintreffen der Aufforderung des französischen Intendanten, die Stadt solle wegen einer Kriegskontribution Abgeordnete nach dem Lager im Elsaß senden, sah er die Grundsäulen des Römers sich lebhaft bewegen, kurz darauf aber wieder feststehen. Ju demselben Jahre war seine Familie durch eine zweite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/270>, abgerufen am 28.07.2024.