Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Verfassungsrevision in Frankreich,

gespaltene monarchistische Mehrheit der verfassunggebenden Versammlung sich
verständigte, der Konstitution eine Klausel einzufügen, welche erlaubte, sie auf
Verlange" des Senates oder der Deputirtenkammer zu revidiren, und die Be¬
fugnis zur Umgestaltung einer Abstimmung für sie von zwei Dritteln der zu
einem Kongreß zu vereinigenden beiden Körperschaften übertrug. Es herrschte
damals in weiten Kreisen Frankreichs die Hoffnung, daß man bald einen König
zu begrüßen haben werde, wobei die einen an den Grafen von Chcimbord, der
endlich einmal in Betreff der Frage, ob weiße Fahne oder Trikolore, Vernunft
annehmen werde, die andre an den Grafen von Paris, den Erben des kinder¬
losen alten Herrn, dachten. Wenn diese gute Zeit herankäme, so würde, meinte
man, das grundgesetzlich ausgesprochene und gesicherte Recht zur Revision der
Verfassung die Royalisten in den Stand setzen, den von ihnen ersehnten Über¬
gang von der Republik zum Königtum" rasch und glatt herbeizuführen. Seit
dieser Zeit sind die beiden Gruppen der Monarchisten und ihre bedingten
Bundesgenossen, die Imperialisten, stets mehr oder minder laute Freunde der
Revision gewesen. Nach einigen Jahren, als die republikanische Staatsform sich
mehr befestigt hatte, erhob sich auch im Lager der Republikaner, und zwar in
den Gezelten der Radikalen, der Ruf nach Verfassungsänderung, der aber hier
hauptsächlich Abschaffung des Senats bedeutete, welcher vielfach gegen die fran¬
zösischen demokratischen Theorien sündigt und durch seine bloße Existenz als
indirekt gewühlte Körperschaft, deren Mitglieder neun Jahre ihre Mandate be¬
halten, schon gegen den Grundgedanken dieser Weisheit verstößt. General Bou-
langer kommt nun als Dritter hinzu. Er hat mit einer Schlauheit, die ihm
oder seinen Ratgebern, vom politischen Standpunkte zu urteilen, viel Ehre
macht, alle diese gleichsam lose umherschwimmenden und zusammenhangslosen
Meinungen und Wünsche in Betreff einer Umgestaltung der Verfassung zusammen¬
gerafft und ist im Begriffe, sie seinen eignen Absichten anzupassen und nach
Möglichkeit dienstbar zu machen. Er ist jetzt der Hauptvorkämpfcr in der An¬
gelegenheit. Die reaktionären Parteien werden es nicht besonders schwierig finden,
sich seiner Agitation anzuschließen, aber die mit der gegenwärtigen Konstitution
unzufriedenen Radikalen befinden sich ihm gegenüber sicherlich in keiner behag¬
lichen Lage. Nachdem sie bestehende Einrichtungen, wie die Natur des Senates,
lange Zeit und oft mit Ungestüm beklagt und geschmäht haben, wird es ihnen
schwer fallen und schlecht zu Gesichte stehe", sie jetzt zu verteidigen, und doch wird
es, wenn sie die vom Exgeneral befürwortete Änderung durch ihr Votum unter¬
stütze", aussehen, als ob sie einer emporstrebenden Diktatur auf die Beine helfen
wollten. Dann ist darauf hinzuweisen, daß die von Boulanger vertretene Nevisions-
idee gründlicher zu Werke geht als irgend eine, die wir bisher auf einem Pro¬
gramm der französischen Parteien ausgesprochen sahen. Er will Recht und Pflicht
der Abänderung nicht dem jetzigen Senate und der heutigen Deputirtenkammer
übertragen, sondern einer neuen, eigens zu den: Zwecke vom Volke zu wühlenden


Die Verfassungsrevision in Frankreich,

gespaltene monarchistische Mehrheit der verfassunggebenden Versammlung sich
verständigte, der Konstitution eine Klausel einzufügen, welche erlaubte, sie auf
Verlange» des Senates oder der Deputirtenkammer zu revidiren, und die Be¬
fugnis zur Umgestaltung einer Abstimmung für sie von zwei Dritteln der zu
einem Kongreß zu vereinigenden beiden Körperschaften übertrug. Es herrschte
damals in weiten Kreisen Frankreichs die Hoffnung, daß man bald einen König
zu begrüßen haben werde, wobei die einen an den Grafen von Chcimbord, der
endlich einmal in Betreff der Frage, ob weiße Fahne oder Trikolore, Vernunft
annehmen werde, die andre an den Grafen von Paris, den Erben des kinder¬
losen alten Herrn, dachten. Wenn diese gute Zeit herankäme, so würde, meinte
man, das grundgesetzlich ausgesprochene und gesicherte Recht zur Revision der
Verfassung die Royalisten in den Stand setzen, den von ihnen ersehnten Über¬
gang von der Republik zum Königtum« rasch und glatt herbeizuführen. Seit
dieser Zeit sind die beiden Gruppen der Monarchisten und ihre bedingten
Bundesgenossen, die Imperialisten, stets mehr oder minder laute Freunde der
Revision gewesen. Nach einigen Jahren, als die republikanische Staatsform sich
mehr befestigt hatte, erhob sich auch im Lager der Republikaner, und zwar in
den Gezelten der Radikalen, der Ruf nach Verfassungsänderung, der aber hier
hauptsächlich Abschaffung des Senats bedeutete, welcher vielfach gegen die fran¬
zösischen demokratischen Theorien sündigt und durch seine bloße Existenz als
indirekt gewühlte Körperschaft, deren Mitglieder neun Jahre ihre Mandate be¬
halten, schon gegen den Grundgedanken dieser Weisheit verstößt. General Bou-
langer kommt nun als Dritter hinzu. Er hat mit einer Schlauheit, die ihm
oder seinen Ratgebern, vom politischen Standpunkte zu urteilen, viel Ehre
macht, alle diese gleichsam lose umherschwimmenden und zusammenhangslosen
Meinungen und Wünsche in Betreff einer Umgestaltung der Verfassung zusammen¬
gerafft und ist im Begriffe, sie seinen eignen Absichten anzupassen und nach
Möglichkeit dienstbar zu machen. Er ist jetzt der Hauptvorkämpfcr in der An¬
gelegenheit. Die reaktionären Parteien werden es nicht besonders schwierig finden,
sich seiner Agitation anzuschließen, aber die mit der gegenwärtigen Konstitution
unzufriedenen Radikalen befinden sich ihm gegenüber sicherlich in keiner behag¬
lichen Lage. Nachdem sie bestehende Einrichtungen, wie die Natur des Senates,
lange Zeit und oft mit Ungestüm beklagt und geschmäht haben, wird es ihnen
schwer fallen und schlecht zu Gesichte stehe», sie jetzt zu verteidigen, und doch wird
es, wenn sie die vom Exgeneral befürwortete Änderung durch ihr Votum unter¬
stütze», aussehen, als ob sie einer emporstrebenden Diktatur auf die Beine helfen
wollten. Dann ist darauf hinzuweisen, daß die von Boulanger vertretene Nevisions-
idee gründlicher zu Werke geht als irgend eine, die wir bisher auf einem Pro¬
gramm der französischen Parteien ausgesprochen sahen. Er will Recht und Pflicht
der Abänderung nicht dem jetzigen Senate und der heutigen Deputirtenkammer
übertragen, sondern einer neuen, eigens zu den: Zwecke vom Volke zu wühlenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203035"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Verfassungsrevision in Frankreich,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_861" prev="#ID_860" next="#ID_862"> gespaltene monarchistische Mehrheit der verfassunggebenden Versammlung sich<lb/>
verständigte, der Konstitution eine Klausel einzufügen, welche erlaubte, sie auf<lb/>
Verlange» des Senates oder der Deputirtenkammer zu revidiren, und die Be¬<lb/>
fugnis zur Umgestaltung einer Abstimmung für sie von zwei Dritteln der zu<lb/>
einem Kongreß zu vereinigenden beiden Körperschaften übertrug. Es herrschte<lb/>
damals in weiten Kreisen Frankreichs die Hoffnung, daß man bald einen König<lb/>
zu begrüßen haben werde, wobei die einen an den Grafen von Chcimbord, der<lb/>
endlich einmal in Betreff der Frage, ob weiße Fahne oder Trikolore, Vernunft<lb/>
annehmen werde, die andre an den Grafen von Paris, den Erben des kinder¬<lb/>
losen alten Herrn, dachten. Wenn diese gute Zeit herankäme, so würde, meinte<lb/>
man, das grundgesetzlich ausgesprochene und gesicherte Recht zur Revision der<lb/>
Verfassung die Royalisten in den Stand setzen, den von ihnen ersehnten Über¬<lb/>
gang von der Republik zum Königtum« rasch und glatt herbeizuführen. Seit<lb/>
dieser Zeit sind die beiden Gruppen der Monarchisten und ihre bedingten<lb/>
Bundesgenossen, die Imperialisten, stets mehr oder minder laute Freunde der<lb/>
Revision gewesen. Nach einigen Jahren, als die republikanische Staatsform sich<lb/>
mehr befestigt hatte, erhob sich auch im Lager der Republikaner, und zwar in<lb/>
den Gezelten der Radikalen, der Ruf nach Verfassungsänderung, der aber hier<lb/>
hauptsächlich Abschaffung des Senats bedeutete, welcher vielfach gegen die fran¬<lb/>
zösischen demokratischen Theorien sündigt und durch seine bloße Existenz als<lb/>
indirekt gewühlte Körperschaft, deren Mitglieder neun Jahre ihre Mandate be¬<lb/>
halten, schon gegen den Grundgedanken dieser Weisheit verstößt. General Bou-<lb/>
langer kommt nun als Dritter hinzu. Er hat mit einer Schlauheit, die ihm<lb/>
oder seinen Ratgebern, vom politischen Standpunkte zu urteilen, viel Ehre<lb/>
macht, alle diese gleichsam lose umherschwimmenden und zusammenhangslosen<lb/>
Meinungen und Wünsche in Betreff einer Umgestaltung der Verfassung zusammen¬<lb/>
gerafft und ist im Begriffe, sie seinen eignen Absichten anzupassen und nach<lb/>
Möglichkeit dienstbar zu machen. Er ist jetzt der Hauptvorkämpfcr in der An¬<lb/>
gelegenheit. Die reaktionären Parteien werden es nicht besonders schwierig finden,<lb/>
sich seiner Agitation anzuschließen, aber die mit der gegenwärtigen Konstitution<lb/>
unzufriedenen Radikalen befinden sich ihm gegenüber sicherlich in keiner behag¬<lb/>
lichen Lage. Nachdem sie bestehende Einrichtungen, wie die Natur des Senates,<lb/>
lange Zeit und oft mit Ungestüm beklagt und geschmäht haben, wird es ihnen<lb/>
schwer fallen und schlecht zu Gesichte stehe», sie jetzt zu verteidigen, und doch wird<lb/>
es, wenn sie die vom Exgeneral befürwortete Änderung durch ihr Votum unter¬<lb/>
stütze», aussehen, als ob sie einer emporstrebenden Diktatur auf die Beine helfen<lb/>
wollten. Dann ist darauf hinzuweisen, daß die von Boulanger vertretene Nevisions-<lb/>
idee gründlicher zu Werke geht als irgend eine, die wir bisher auf einem Pro¬<lb/>
gramm der französischen Parteien ausgesprochen sahen. Er will Recht und Pflicht<lb/>
der Abänderung nicht dem jetzigen Senate und der heutigen Deputirtenkammer<lb/>
übertragen, sondern einer neuen, eigens zu den: Zwecke vom Volke zu wühlenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] Die Verfassungsrevision in Frankreich, gespaltene monarchistische Mehrheit der verfassunggebenden Versammlung sich verständigte, der Konstitution eine Klausel einzufügen, welche erlaubte, sie auf Verlange» des Senates oder der Deputirtenkammer zu revidiren, und die Be¬ fugnis zur Umgestaltung einer Abstimmung für sie von zwei Dritteln der zu einem Kongreß zu vereinigenden beiden Körperschaften übertrug. Es herrschte damals in weiten Kreisen Frankreichs die Hoffnung, daß man bald einen König zu begrüßen haben werde, wobei die einen an den Grafen von Chcimbord, der endlich einmal in Betreff der Frage, ob weiße Fahne oder Trikolore, Vernunft annehmen werde, die andre an den Grafen von Paris, den Erben des kinder¬ losen alten Herrn, dachten. Wenn diese gute Zeit herankäme, so würde, meinte man, das grundgesetzlich ausgesprochene und gesicherte Recht zur Revision der Verfassung die Royalisten in den Stand setzen, den von ihnen ersehnten Über¬ gang von der Republik zum Königtum« rasch und glatt herbeizuführen. Seit dieser Zeit sind die beiden Gruppen der Monarchisten und ihre bedingten Bundesgenossen, die Imperialisten, stets mehr oder minder laute Freunde der Revision gewesen. Nach einigen Jahren, als die republikanische Staatsform sich mehr befestigt hatte, erhob sich auch im Lager der Republikaner, und zwar in den Gezelten der Radikalen, der Ruf nach Verfassungsänderung, der aber hier hauptsächlich Abschaffung des Senats bedeutete, welcher vielfach gegen die fran¬ zösischen demokratischen Theorien sündigt und durch seine bloße Existenz als indirekt gewühlte Körperschaft, deren Mitglieder neun Jahre ihre Mandate be¬ halten, schon gegen den Grundgedanken dieser Weisheit verstößt. General Bou- langer kommt nun als Dritter hinzu. Er hat mit einer Schlauheit, die ihm oder seinen Ratgebern, vom politischen Standpunkte zu urteilen, viel Ehre macht, alle diese gleichsam lose umherschwimmenden und zusammenhangslosen Meinungen und Wünsche in Betreff einer Umgestaltung der Verfassung zusammen¬ gerafft und ist im Begriffe, sie seinen eignen Absichten anzupassen und nach Möglichkeit dienstbar zu machen. Er ist jetzt der Hauptvorkämpfcr in der An¬ gelegenheit. Die reaktionären Parteien werden es nicht besonders schwierig finden, sich seiner Agitation anzuschließen, aber die mit der gegenwärtigen Konstitution unzufriedenen Radikalen befinden sich ihm gegenüber sicherlich in keiner behag¬ lichen Lage. Nachdem sie bestehende Einrichtungen, wie die Natur des Senates, lange Zeit und oft mit Ungestüm beklagt und geschmäht haben, wird es ihnen schwer fallen und schlecht zu Gesichte stehe», sie jetzt zu verteidigen, und doch wird es, wenn sie die vom Exgeneral befürwortete Änderung durch ihr Votum unter¬ stütze», aussehen, als ob sie einer emporstrebenden Diktatur auf die Beine helfen wollten. Dann ist darauf hinzuweisen, daß die von Boulanger vertretene Nevisions- idee gründlicher zu Werke geht als irgend eine, die wir bisher auf einem Pro¬ gramm der französischen Parteien ausgesprochen sahen. Er will Recht und Pflicht der Abänderung nicht dem jetzigen Senate und der heutigen Deputirtenkammer übertragen, sondern einer neuen, eigens zu den: Zwecke vom Volke zu wühlenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/258>, abgerufen am 01.09.2024.