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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.
Z. P. Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

Mle thun mir Unrecht, Herr Bigum, versetzte Edcle und erhob
sich -- Biguin erhob sich gleichfalls --, ich lache nicht; Sie fragen
mich, ob Sie die geringste Hoffnung haben, und ich antworte
Ihnen: Nein, Sie haben nicht die geringste Hoffnung; zum
Lachen ist das aber ganz und gar nicht. Doch will ich Ihnen
noch etwas sagen: von dem ersten Augenblicke an, als Sie anfingen, an mich
zu denken, hätten Sie wissen können, wie meine Antwort ausfallen würde, und
Sie haben es auch gewußt, nicht wahr, Sie haben es die ganze Zeit hindurch
gewußt, und doch haben Sie alle Ihre Gedanken und Wünsche dem Ziele ent¬
gegengetrieben, von dem Sie wußten, daß Sie es nicht erreichen konnten. Ihre
Liebe beleidigt mich keineswegs, Herr Biguin, aber ich verurteile sie. Sie
haben gethan, was so viele andre thun! Wir schließen unsre Augen vor dem
wirklichen Leben, wir wollen das Nein, welches das Leben unsern Wünschen ent¬
gegenruft, nicht hören, wir wollen den tiefen Abgrund, den es uns zeigt, ver-
vergesfen, den Abgrund, der sich zwischen unsrer Sehnsucht und dem Gegenstände
derselben befindet. Wir wollen unsern Traum verwirklichen. Das Leben aber
rechnet nicht mit Träumen, mich nicht das geringste Hindernis läßt sich aus
dem Leben hinwegtrüumcn, und so liegen wir denn schließlich jammernd am
Abgrunde, der sich nicht verändert hat, der noch immer so ist, wie er von
Anfang an gewesen war, nur wir selbst sind verändert, wir haben alle unsre Ge¬
danken durch die Träume erregt, wir haben unsre Sehnsucht zu übermenschlicher
Spannung hinaufgeschraubt. Der Abgrund aber ist nicht schmaler geworden,
und alles in uns sehnt sich schmerzlich darnach, hinüber zu gelangen. Aber




Ricks Lyhne.
Z. P. Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

Mle thun mir Unrecht, Herr Bigum, versetzte Edcle und erhob
sich — Biguin erhob sich gleichfalls —, ich lache nicht; Sie fragen
mich, ob Sie die geringste Hoffnung haben, und ich antworte
Ihnen: Nein, Sie haben nicht die geringste Hoffnung; zum
Lachen ist das aber ganz und gar nicht. Doch will ich Ihnen
noch etwas sagen: von dem ersten Augenblicke an, als Sie anfingen, an mich
zu denken, hätten Sie wissen können, wie meine Antwort ausfallen würde, und
Sie haben es auch gewußt, nicht wahr, Sie haben es die ganze Zeit hindurch
gewußt, und doch haben Sie alle Ihre Gedanken und Wünsche dem Ziele ent¬
gegengetrieben, von dem Sie wußten, daß Sie es nicht erreichen konnten. Ihre
Liebe beleidigt mich keineswegs, Herr Biguin, aber ich verurteile sie. Sie
haben gethan, was so viele andre thun! Wir schließen unsre Augen vor dem
wirklichen Leben, wir wollen das Nein, welches das Leben unsern Wünschen ent¬
gegenruft, nicht hören, wir wollen den tiefen Abgrund, den es uns zeigt, ver-
vergesfen, den Abgrund, der sich zwischen unsrer Sehnsucht und dem Gegenstände
derselben befindet. Wir wollen unsern Traum verwirklichen. Das Leben aber
rechnet nicht mit Träumen, mich nicht das geringste Hindernis läßt sich aus
dem Leben hinwegtrüumcn, und so liegen wir denn schließlich jammernd am
Abgrunde, der sich nicht verändert hat, der noch immer so ist, wie er von
Anfang an gewesen war, nur wir selbst sind verändert, wir haben alle unsre Ge¬
danken durch die Träume erregt, wir haben unsre Sehnsucht zu übermenschlicher
Spannung hinaufgeschraubt. Der Abgrund aber ist nicht schmaler geworden,
und alles in uns sehnt sich schmerzlich darnach, hinüber zu gelangen. Aber


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[0245] [Abbildung] Ricks Lyhne. Z. P. Jacobsen. Roman von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) Mle thun mir Unrecht, Herr Bigum, versetzte Edcle und erhob sich — Biguin erhob sich gleichfalls —, ich lache nicht; Sie fragen mich, ob Sie die geringste Hoffnung haben, und ich antworte Ihnen: Nein, Sie haben nicht die geringste Hoffnung; zum Lachen ist das aber ganz und gar nicht. Doch will ich Ihnen noch etwas sagen: von dem ersten Augenblicke an, als Sie anfingen, an mich zu denken, hätten Sie wissen können, wie meine Antwort ausfallen würde, und Sie haben es auch gewußt, nicht wahr, Sie haben es die ganze Zeit hindurch gewußt, und doch haben Sie alle Ihre Gedanken und Wünsche dem Ziele ent¬ gegengetrieben, von dem Sie wußten, daß Sie es nicht erreichen konnten. Ihre Liebe beleidigt mich keineswegs, Herr Biguin, aber ich verurteile sie. Sie haben gethan, was so viele andre thun! Wir schließen unsre Augen vor dem wirklichen Leben, wir wollen das Nein, welches das Leben unsern Wünschen ent¬ gegenruft, nicht hören, wir wollen den tiefen Abgrund, den es uns zeigt, ver- vergesfen, den Abgrund, der sich zwischen unsrer Sehnsucht und dem Gegenstände derselben befindet. Wir wollen unsern Traum verwirklichen. Das Leben aber rechnet nicht mit Träumen, mich nicht das geringste Hindernis läßt sich aus dem Leben hinwegtrüumcn, und so liegen wir denn schließlich jammernd am Abgrunde, der sich nicht verändert hat, der noch immer so ist, wie er von Anfang an gewesen war, nur wir selbst sind verändert, wir haben alle unsre Ge¬ danken durch die Träume erregt, wir haben unsre Sehnsucht zu übermenschlicher Spannung hinaufgeschraubt. Der Abgrund aber ist nicht schmaler geworden, und alles in uns sehnt sich schmerzlich darnach, hinüber zu gelangen. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/245>, abgerufen am 01.09.2024.