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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane.

dieser Handlung den Ausgang der Erzählung genommen und diese selbst in die
gedämpfte Tonart der Erinnerung getaucht, in das Abendlicht der Entsagung
und Überwindung gerückt, die mit dem mehr elegischen als tragischen Grund¬
charakter der Erzählung Harmoniren; er hätte auch die größte Sorgfalt auf
die Form gelegt, denu originell ist die Erfindung gerade nicht, und die innern
Kämpfe Minnas sind die Hauptsache. Die Fabel ist geeignet für eine Novelle,
aber nicht für den Roman, wie Spiclhagen meint. Leider hat er durch
seine redselige Erzählungsweise die Geschichte sehr langweilig dargestellt,
um gut die Hälfte zu breit ausgesponnen. Spielhagen selbst betont merk¬
würdigerweise mit Nachdruck, daß der Epiker das Reflektiren zu meiden habe;
aber wie viele lange Bogen hindurch Spielhagen im Namen seiner Gestalten
reflektirt, das kann kaum nachgezählt werden. Mit dieser Manier hat er auch
seinen letzten Roman "Was will das werden?" über Gebühr aufgebauscht
und ihm trotz des gelungenen ersten Bandes den Erfolg unmöglich gemacht.
Durch eine kürzere, sich auf das Nötigste beschränkende sprachliche Darstellung
wären alle die schönen Situationen und Charakterbilder von Uovlssss odli^o
zur gebührenden Geltung gelangt, während sie jetzt mit dem geschmacklos sen¬
timentalen Schlüsse in einem Meere von Worten untergehe". Dieser Schluß,
der den Hericourt umbringt, bringt auch die Pointe der Erzählung um. Minna
verzichtet jetzt nicht aus Gründen des unversöhnlichen nationalen Gegensatzes
auf den geliebten Franzosen, wie es die Idee des Dichters fordert, sondern
ein blöder Zufall entreißt ihr ihn. Vielleicht fühlte Spielhagen die Unmöglich¬
keit, Poesie mit politischer Stimmung zu vereinigen? Vielleicht fühlte er, daß
nach all den vorangegangenen Prüfungen seine Minna, ohne einen Verrat an
der nationalen Idee zu begehen, ihren Marquis wohl hätte heiraten dürfen?
Der Leser mit unbefangenen Instinkten dürfte in der That auch diese Forderung
stellen, die wohl zu erwecken, nicht aber zu befriedigen Spielhagen für passend
hielt. Der Dichter darf kein Opportunist sein, kein halber Mensch -- Spiel¬
hagen ist ein solcher. Für sich selbst hat er nicht die Konsequenz seiner Devise:
5s<M6S86 odli^s! zu ziehen den Mut gehabt, oder er hätte eine andre Fabel
erfinden müssen.

Da ist Julius Wolff ein ganz andrer Mann. In seiner "Heiratsgeschichte
aus dem Neckarthal": Das Recht der Hagestolze (Berlin, G. Grote, 1887)
tritt er weit anspruchsloser auf als Spielhageu. Er will keine großen sozialen
oder sittlichen Probleme aufstellen und lösen, er hat es sogar aufgegeben, mit
seiner altdeutschen Wissenschaft zu prunken, er bemüht sich, obgleich seine Ge¬
schichte im vierzehnten Jahrhundert spielt, gar nicht darum, ein Stück Kultur-
geschichte zu schreiben, er hat seine Sprache von archaistischem Beiwerk gesäubert,
er geht schnurgerade auf das einzige Ziel los: seine Leser oder vielmehr seine
lieben, schönen, jungen Leserinnen so gut zu unterhalten, als er vermag, und
man kann sagen, was man will: er schlägt alle kritisch-pedantischen Bedenken


Neue Romane.

dieser Handlung den Ausgang der Erzählung genommen und diese selbst in die
gedämpfte Tonart der Erinnerung getaucht, in das Abendlicht der Entsagung
und Überwindung gerückt, die mit dem mehr elegischen als tragischen Grund¬
charakter der Erzählung Harmoniren; er hätte auch die größte Sorgfalt auf
die Form gelegt, denu originell ist die Erfindung gerade nicht, und die innern
Kämpfe Minnas sind die Hauptsache. Die Fabel ist geeignet für eine Novelle,
aber nicht für den Roman, wie Spiclhagen meint. Leider hat er durch
seine redselige Erzählungsweise die Geschichte sehr langweilig dargestellt,
um gut die Hälfte zu breit ausgesponnen. Spielhagen selbst betont merk¬
würdigerweise mit Nachdruck, daß der Epiker das Reflektiren zu meiden habe;
aber wie viele lange Bogen hindurch Spielhagen im Namen seiner Gestalten
reflektirt, das kann kaum nachgezählt werden. Mit dieser Manier hat er auch
seinen letzten Roman „Was will das werden?" über Gebühr aufgebauscht
und ihm trotz des gelungenen ersten Bandes den Erfolg unmöglich gemacht.
Durch eine kürzere, sich auf das Nötigste beschränkende sprachliche Darstellung
wären alle die schönen Situationen und Charakterbilder von Uovlssss odli^o
zur gebührenden Geltung gelangt, während sie jetzt mit dem geschmacklos sen¬
timentalen Schlüsse in einem Meere von Worten untergehe». Dieser Schluß,
der den Hericourt umbringt, bringt auch die Pointe der Erzählung um. Minna
verzichtet jetzt nicht aus Gründen des unversöhnlichen nationalen Gegensatzes
auf den geliebten Franzosen, wie es die Idee des Dichters fordert, sondern
ein blöder Zufall entreißt ihr ihn. Vielleicht fühlte Spielhagen die Unmöglich¬
keit, Poesie mit politischer Stimmung zu vereinigen? Vielleicht fühlte er, daß
nach all den vorangegangenen Prüfungen seine Minna, ohne einen Verrat an
der nationalen Idee zu begehen, ihren Marquis wohl hätte heiraten dürfen?
Der Leser mit unbefangenen Instinkten dürfte in der That auch diese Forderung
stellen, die wohl zu erwecken, nicht aber zu befriedigen Spielhagen für passend
hielt. Der Dichter darf kein Opportunist sein, kein halber Mensch — Spiel¬
hagen ist ein solcher. Für sich selbst hat er nicht die Konsequenz seiner Devise:
5s<M6S86 odli^s! zu ziehen den Mut gehabt, oder er hätte eine andre Fabel
erfinden müssen.

Da ist Julius Wolff ein ganz andrer Mann. In seiner „Heiratsgeschichte
aus dem Neckarthal": Das Recht der Hagestolze (Berlin, G. Grote, 1887)
tritt er weit anspruchsloser auf als Spielhageu. Er will keine großen sozialen
oder sittlichen Probleme aufstellen und lösen, er hat es sogar aufgegeben, mit
seiner altdeutschen Wissenschaft zu prunken, er bemüht sich, obgleich seine Ge¬
schichte im vierzehnten Jahrhundert spielt, gar nicht darum, ein Stück Kultur-
geschichte zu schreiben, er hat seine Sprache von archaistischem Beiwerk gesäubert,
er geht schnurgerade auf das einzige Ziel los: seine Leser oder vielmehr seine
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man kann sagen, was man will: er schlägt alle kritisch-pedantischen Bedenken


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[0236] Neue Romane. dieser Handlung den Ausgang der Erzählung genommen und diese selbst in die gedämpfte Tonart der Erinnerung getaucht, in das Abendlicht der Entsagung und Überwindung gerückt, die mit dem mehr elegischen als tragischen Grund¬ charakter der Erzählung Harmoniren; er hätte auch die größte Sorgfalt auf die Form gelegt, denu originell ist die Erfindung gerade nicht, und die innern Kämpfe Minnas sind die Hauptsache. Die Fabel ist geeignet für eine Novelle, aber nicht für den Roman, wie Spiclhagen meint. Leider hat er durch seine redselige Erzählungsweise die Geschichte sehr langweilig dargestellt, um gut die Hälfte zu breit ausgesponnen. Spielhagen selbst betont merk¬ würdigerweise mit Nachdruck, daß der Epiker das Reflektiren zu meiden habe; aber wie viele lange Bogen hindurch Spielhagen im Namen seiner Gestalten reflektirt, das kann kaum nachgezählt werden. Mit dieser Manier hat er auch seinen letzten Roman „Was will das werden?" über Gebühr aufgebauscht und ihm trotz des gelungenen ersten Bandes den Erfolg unmöglich gemacht. Durch eine kürzere, sich auf das Nötigste beschränkende sprachliche Darstellung wären alle die schönen Situationen und Charakterbilder von Uovlssss odli^o zur gebührenden Geltung gelangt, während sie jetzt mit dem geschmacklos sen¬ timentalen Schlüsse in einem Meere von Worten untergehe». Dieser Schluß, der den Hericourt umbringt, bringt auch die Pointe der Erzählung um. Minna verzichtet jetzt nicht aus Gründen des unversöhnlichen nationalen Gegensatzes auf den geliebten Franzosen, wie es die Idee des Dichters fordert, sondern ein blöder Zufall entreißt ihr ihn. Vielleicht fühlte Spielhagen die Unmöglich¬ keit, Poesie mit politischer Stimmung zu vereinigen? Vielleicht fühlte er, daß nach all den vorangegangenen Prüfungen seine Minna, ohne einen Verrat an der nationalen Idee zu begehen, ihren Marquis wohl hätte heiraten dürfen? Der Leser mit unbefangenen Instinkten dürfte in der That auch diese Forderung stellen, die wohl zu erwecken, nicht aber zu befriedigen Spielhagen für passend hielt. Der Dichter darf kein Opportunist sein, kein halber Mensch — Spiel¬ hagen ist ein solcher. Für sich selbst hat er nicht die Konsequenz seiner Devise: 5s<M6S86 odli^s! zu ziehen den Mut gehabt, oder er hätte eine andre Fabel erfinden müssen. Da ist Julius Wolff ein ganz andrer Mann. In seiner „Heiratsgeschichte aus dem Neckarthal": Das Recht der Hagestolze (Berlin, G. Grote, 1887) tritt er weit anspruchsloser auf als Spielhageu. Er will keine großen sozialen oder sittlichen Probleme aufstellen und lösen, er hat es sogar aufgegeben, mit seiner altdeutschen Wissenschaft zu prunken, er bemüht sich, obgleich seine Ge¬ schichte im vierzehnten Jahrhundert spielt, gar nicht darum, ein Stück Kultur- geschichte zu schreiben, er hat seine Sprache von archaistischem Beiwerk gesäubert, er geht schnurgerade auf das einzige Ziel los: seine Leser oder vielmehr seine lieben, schönen, jungen Leserinnen so gut zu unterhalten, als er vermag, und man kann sagen, was man will: er schlägt alle kritisch-pedantischen Bedenken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/236>, abgerufen am 01.09.2024.