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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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verabschiedete Offiziere.

Zivilbeamten in ihren unantastbaren Stellungen, die Kaufleute und Bankiers,
die es zu etwas bringen, seine frühern Kameraden, die ihn überholt haben, wenn
sie auch bei einer Begegnung mit ihm denken mögen: heute dir, morgen mir --
sie alle sind besser dran als er, denn sie alle arbeiten getrost und freudig an
der Verbesserung ihrer Lage.

Er hat nun die Wahl, diesen Stachel, der sein Begleiter bleiben wird, zu
übertäuben oder ihn herauszuziehen; das letztere ist nur möglich durch strenge
Berufsarbeit oder doch durch strenge, wie ein Beruf geübte Arbeit. Ein Beruf
aber ist schwer zu finden, und einer wissenschaftlichen oder schriftstellerischen
Beschäftigung ist seine seitherige Laufbahn als Offizier nicht sehr günstig,
es müßte denn sein, daß er längere Zeit auf einem militärischen Bureau
gewesen wäre und dort die Befähigung zu schriftstellerischer Arbeit sich ange¬
eignet hätte.

Gehört der Pensionär den gut gestellten und zugleich von Haus aus den
höher stehenden Gesellschafskreisen an, so wird er mit diesen in einem mehr
oder weniger verfeinerten, mehr oder weniger unschädlichen, immerhin seinen
Fähigkeiten keineswegs entsprechenden Genußleben sich zu übertäuben und für
die eingebüßte Stellung schadlos zu halten suchen, allenfalls dem Jagdsport
huldigen -- sie winen adsuwo äoeixioizuö äisin --, wenn er nicht aus seiner
Dienstzeit andre, damals noch im Zaum gehaltene, minder unschädliche Neigungen
herübergebracht hat, die nun während der Jnaktivitätszeit mit ihrer unbe¬
schränkten Freiheit, ihrer Erbitterung, ihrem Pessimismus ihm bald über den
Kopf wachsen und mit ihm aufräumen werden.

Ist er aber unbemittelt und will er nicht das, was er hat, aufbrauchen,
hat er dabei für den Unterhalt der Familie, für eine ausreichende Erziehung
seiner Kinder zu sorgen, damit diese einmal auf eignen Füßen stehen können,
oder ist er soweit bei Mitteln, wünscht aber um jeden Preis eine äußere Ver¬
wendung, eine seinen Fähigkeiten entsprechende und sie in Anspruch nehmende
äußere Thätigkeit, so eröffnen sich ihm, wenigstens in denjenigen deutschen
Staaten, in welchen eine Übernahme inaktiver Offiziere in aktive Zivilstellen,
wie solche in Preußen eingeführt sind, nicht besteht, nur einige wenige Gebiete.
Diese führen ihn meist in Gesellschaftsklassen, mit denen er vorher entweder
gar nicht oder als gern gesehener Gast bei Mahlzeiten, Bällen, Jagden und
dergleichen verkehrt, die er also nur von der Seite des Vergnügens kennen
gelernt hat. In deren Dienst sucht er nun jetzt Beschäftigung -- Stellung
kann man wohl nicht sagen -- und Verbesserung seiner notleidenden ökonomischen
Lage, sei es als Agent für Versicherungsanstalten oder kaufmännische Artikel,
als Vorstand eines größern Fabrikpersonals, als Verwalter auf einem größern
Gute, oder endlich als Dirigent eines größern gewerblichen Etablissements, eines
Hotels, Bades u. s. w. Er mag aber unterkommen, wo er will, so wird das
erste, was er zu thun hat, sein, daß er alle ihm bis jetzt sorgsam beigebrachten


verabschiedete Offiziere.

Zivilbeamten in ihren unantastbaren Stellungen, die Kaufleute und Bankiers,
die es zu etwas bringen, seine frühern Kameraden, die ihn überholt haben, wenn
sie auch bei einer Begegnung mit ihm denken mögen: heute dir, morgen mir —
sie alle sind besser dran als er, denn sie alle arbeiten getrost und freudig an
der Verbesserung ihrer Lage.

Er hat nun die Wahl, diesen Stachel, der sein Begleiter bleiben wird, zu
übertäuben oder ihn herauszuziehen; das letztere ist nur möglich durch strenge
Berufsarbeit oder doch durch strenge, wie ein Beruf geübte Arbeit. Ein Beruf
aber ist schwer zu finden, und einer wissenschaftlichen oder schriftstellerischen
Beschäftigung ist seine seitherige Laufbahn als Offizier nicht sehr günstig,
es müßte denn sein, daß er längere Zeit auf einem militärischen Bureau
gewesen wäre und dort die Befähigung zu schriftstellerischer Arbeit sich ange¬
eignet hätte.

Gehört der Pensionär den gut gestellten und zugleich von Haus aus den
höher stehenden Gesellschafskreisen an, so wird er mit diesen in einem mehr
oder weniger verfeinerten, mehr oder weniger unschädlichen, immerhin seinen
Fähigkeiten keineswegs entsprechenden Genußleben sich zu übertäuben und für
die eingebüßte Stellung schadlos zu halten suchen, allenfalls dem Jagdsport
huldigen — sie winen adsuwo äoeixioizuö äisin —, wenn er nicht aus seiner
Dienstzeit andre, damals noch im Zaum gehaltene, minder unschädliche Neigungen
herübergebracht hat, die nun während der Jnaktivitätszeit mit ihrer unbe¬
schränkten Freiheit, ihrer Erbitterung, ihrem Pessimismus ihm bald über den
Kopf wachsen und mit ihm aufräumen werden.

Ist er aber unbemittelt und will er nicht das, was er hat, aufbrauchen,
hat er dabei für den Unterhalt der Familie, für eine ausreichende Erziehung
seiner Kinder zu sorgen, damit diese einmal auf eignen Füßen stehen können,
oder ist er soweit bei Mitteln, wünscht aber um jeden Preis eine äußere Ver¬
wendung, eine seinen Fähigkeiten entsprechende und sie in Anspruch nehmende
äußere Thätigkeit, so eröffnen sich ihm, wenigstens in denjenigen deutschen
Staaten, in welchen eine Übernahme inaktiver Offiziere in aktive Zivilstellen,
wie solche in Preußen eingeführt sind, nicht besteht, nur einige wenige Gebiete.
Diese führen ihn meist in Gesellschaftsklassen, mit denen er vorher entweder
gar nicht oder als gern gesehener Gast bei Mahlzeiten, Bällen, Jagden und
dergleichen verkehrt, die er also nur von der Seite des Vergnügens kennen
gelernt hat. In deren Dienst sucht er nun jetzt Beschäftigung — Stellung
kann man wohl nicht sagen — und Verbesserung seiner notleidenden ökonomischen
Lage, sei es als Agent für Versicherungsanstalten oder kaufmännische Artikel,
als Vorstand eines größern Fabrikpersonals, als Verwalter auf einem größern
Gute, oder endlich als Dirigent eines größern gewerblichen Etablissements, eines
Hotels, Bades u. s. w. Er mag aber unterkommen, wo er will, so wird das
erste, was er zu thun hat, sein, daß er alle ihm bis jetzt sorgsam beigebrachten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/23>, abgerufen am 01.09.2024.