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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das juristische Studium.

gefochtene Prozesse, an schwebende Tagesfragen an, und der Erfolg wird nicht
ausbleiben. Noch vor kurzem erklärte mir ein Student, seine schönsten Vor¬
lesungen seien die Pandekten gewesen. Warum? Einzig und allein aus dem
Grunde, weil er die Pandekten sozusagen in praxi gehört hatte.

Doch woraus soll man entnehmen, daß der junge Jurist nun auch wirklich
arbeite und seine Pflicht erfülle? Nirgends ist die Kontrole so schwer wie hier,
ja sie ist auf großem Universitäten geradezu undurchführbar. Da hat man
um manche Vorschläge gemacht. Die einen wollen Einführung einer Zwischen¬
prüfung, andre dringen auf Verschärfung der Referendarprüfung, andre wollen
wieder etwas andres. Was die Prüfungen, so wie sie bei uns abgehalten werden,
betrifft, so halte ich sie sür alles andre als für unbedingt richtige Wertmesser
der Fähigkeiten der einzelnen Studenten. Meiner Ansicht nach ist es geradezu
eine Unmöglichkeit, einem Studenten auf Grund einer kaum einstündiger Prü¬
fung das Zeugnis der Reife zu geben. Man wird sagen, umso wichtiger sei
für die Beurteilung des Studenten seine schriftliche Prüfungsarbeit. Ich halte
aber auch diese nur für ein sehr unsicheres Auskunftsmittel. Der Jurist kann
sich im allgemeinen das Fach wählen, aus dem er die Aufgabe zu haben wünscht,
und hat sechs Wochen Zeit zur Bearbeitung. Nun thut aber gerade hier bei
der Wahl der Aufgabe der Zufall sehr viel. Selbst der Beste kann da leicht
eine Arbeit bekommen, die er trotz aller Bemühungen nicht recht befriedigend zu
lösen vermag. Außerdem läßt eine Frist von sechs Wochen kaum eine ein¬
gehendere Bearbeitung zu. Dennoch möchte ich hier nicht zu Änderungen raten,
da zu einer gründlicheren Arbeit mindestens sechs Monate gehören würden.
Ich möchte einen andern Vorschlag machen, durch den man nicht nur für die
Prüfung ein wichtiges Hilfsmittel bekäme, sondern auch zugleich die beste Kon¬
trole gewänne über Fleiß oder Unfleiß in den Studienjahren. Ich meine
nämlich, das sicherste Hilfsmittel sei, mehr schriftliche Arbeiten von dem Stu¬
denten zur Prüfung zu fordern. Doch müßten diese Arbeiten nicht erst zur
Prüfung zu machen sein, sondern schon früher. Am Schlüsse jedes Semesters
müßte sich der Student ein Fach aus den eben gehörten Vorlesungen auswählen,
um hieraus die Aufgabe zu einer schriftlichen Arbeit zu erhalten. Anzufertigen
wäre diese Arbeit dann in den Ferien selber und am Schlüsse derselben auf
der Quästur der zuletzt besuchten Universität niederzulegen. Hat dann der
Student seine Studienzeit beendet und will seine Referendarprüfung machen,
so müßten dann von jeder der Universitäten, die er besucht hat, die schriftlichen
Arbeiten zuvor eingeschickt werden. Natürlich müßte auf dem Titelblatte jeder
Arbeit die Versicherung an Eidesstatt abgegeben werden, daß der Betreffende
die Arbeit durchaus selbständig angefertigt habe. Hierdurch würde man erstens
erlangen, daß der Student schon im ersten Semester mittelbar genötigt würde,
zu arbeiten. Zweitens hätte der Student auch während der Ferien Beschäftigung.
Drittens würde dadurch dem Treiben der oben geschilderten beiden ersten Gruppen


Das juristische Studium.

gefochtene Prozesse, an schwebende Tagesfragen an, und der Erfolg wird nicht
ausbleiben. Noch vor kurzem erklärte mir ein Student, seine schönsten Vor¬
lesungen seien die Pandekten gewesen. Warum? Einzig und allein aus dem
Grunde, weil er die Pandekten sozusagen in praxi gehört hatte.

Doch woraus soll man entnehmen, daß der junge Jurist nun auch wirklich
arbeite und seine Pflicht erfülle? Nirgends ist die Kontrole so schwer wie hier,
ja sie ist auf großem Universitäten geradezu undurchführbar. Da hat man
um manche Vorschläge gemacht. Die einen wollen Einführung einer Zwischen¬
prüfung, andre dringen auf Verschärfung der Referendarprüfung, andre wollen
wieder etwas andres. Was die Prüfungen, so wie sie bei uns abgehalten werden,
betrifft, so halte ich sie sür alles andre als für unbedingt richtige Wertmesser
der Fähigkeiten der einzelnen Studenten. Meiner Ansicht nach ist es geradezu
eine Unmöglichkeit, einem Studenten auf Grund einer kaum einstündiger Prü¬
fung das Zeugnis der Reife zu geben. Man wird sagen, umso wichtiger sei
für die Beurteilung des Studenten seine schriftliche Prüfungsarbeit. Ich halte
aber auch diese nur für ein sehr unsicheres Auskunftsmittel. Der Jurist kann
sich im allgemeinen das Fach wählen, aus dem er die Aufgabe zu haben wünscht,
und hat sechs Wochen Zeit zur Bearbeitung. Nun thut aber gerade hier bei
der Wahl der Aufgabe der Zufall sehr viel. Selbst der Beste kann da leicht
eine Arbeit bekommen, die er trotz aller Bemühungen nicht recht befriedigend zu
lösen vermag. Außerdem läßt eine Frist von sechs Wochen kaum eine ein¬
gehendere Bearbeitung zu. Dennoch möchte ich hier nicht zu Änderungen raten,
da zu einer gründlicheren Arbeit mindestens sechs Monate gehören würden.
Ich möchte einen andern Vorschlag machen, durch den man nicht nur für die
Prüfung ein wichtiges Hilfsmittel bekäme, sondern auch zugleich die beste Kon¬
trole gewänne über Fleiß oder Unfleiß in den Studienjahren. Ich meine
nämlich, das sicherste Hilfsmittel sei, mehr schriftliche Arbeiten von dem Stu¬
denten zur Prüfung zu fordern. Doch müßten diese Arbeiten nicht erst zur
Prüfung zu machen sein, sondern schon früher. Am Schlüsse jedes Semesters
müßte sich der Student ein Fach aus den eben gehörten Vorlesungen auswählen,
um hieraus die Aufgabe zu einer schriftlichen Arbeit zu erhalten. Anzufertigen
wäre diese Arbeit dann in den Ferien selber und am Schlüsse derselben auf
der Quästur der zuletzt besuchten Universität niederzulegen. Hat dann der
Student seine Studienzeit beendet und will seine Referendarprüfung machen,
so müßten dann von jeder der Universitäten, die er besucht hat, die schriftlichen
Arbeiten zuvor eingeschickt werden. Natürlich müßte auf dem Titelblatte jeder
Arbeit die Versicherung an Eidesstatt abgegeben werden, daß der Betreffende
die Arbeit durchaus selbständig angefertigt habe. Hierdurch würde man erstens
erlangen, daß der Student schon im ersten Semester mittelbar genötigt würde,
zu arbeiten. Zweitens hätte der Student auch während der Ferien Beschäftigung.
Drittens würde dadurch dem Treiben der oben geschilderten beiden ersten Gruppen


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[0223] Das juristische Studium. gefochtene Prozesse, an schwebende Tagesfragen an, und der Erfolg wird nicht ausbleiben. Noch vor kurzem erklärte mir ein Student, seine schönsten Vor¬ lesungen seien die Pandekten gewesen. Warum? Einzig und allein aus dem Grunde, weil er die Pandekten sozusagen in praxi gehört hatte. Doch woraus soll man entnehmen, daß der junge Jurist nun auch wirklich arbeite und seine Pflicht erfülle? Nirgends ist die Kontrole so schwer wie hier, ja sie ist auf großem Universitäten geradezu undurchführbar. Da hat man um manche Vorschläge gemacht. Die einen wollen Einführung einer Zwischen¬ prüfung, andre dringen auf Verschärfung der Referendarprüfung, andre wollen wieder etwas andres. Was die Prüfungen, so wie sie bei uns abgehalten werden, betrifft, so halte ich sie sür alles andre als für unbedingt richtige Wertmesser der Fähigkeiten der einzelnen Studenten. Meiner Ansicht nach ist es geradezu eine Unmöglichkeit, einem Studenten auf Grund einer kaum einstündiger Prü¬ fung das Zeugnis der Reife zu geben. Man wird sagen, umso wichtiger sei für die Beurteilung des Studenten seine schriftliche Prüfungsarbeit. Ich halte aber auch diese nur für ein sehr unsicheres Auskunftsmittel. Der Jurist kann sich im allgemeinen das Fach wählen, aus dem er die Aufgabe zu haben wünscht, und hat sechs Wochen Zeit zur Bearbeitung. Nun thut aber gerade hier bei der Wahl der Aufgabe der Zufall sehr viel. Selbst der Beste kann da leicht eine Arbeit bekommen, die er trotz aller Bemühungen nicht recht befriedigend zu lösen vermag. Außerdem läßt eine Frist von sechs Wochen kaum eine ein¬ gehendere Bearbeitung zu. Dennoch möchte ich hier nicht zu Änderungen raten, da zu einer gründlicheren Arbeit mindestens sechs Monate gehören würden. Ich möchte einen andern Vorschlag machen, durch den man nicht nur für die Prüfung ein wichtiges Hilfsmittel bekäme, sondern auch zugleich die beste Kon¬ trole gewänne über Fleiß oder Unfleiß in den Studienjahren. Ich meine nämlich, das sicherste Hilfsmittel sei, mehr schriftliche Arbeiten von dem Stu¬ denten zur Prüfung zu fordern. Doch müßten diese Arbeiten nicht erst zur Prüfung zu machen sein, sondern schon früher. Am Schlüsse jedes Semesters müßte sich der Student ein Fach aus den eben gehörten Vorlesungen auswählen, um hieraus die Aufgabe zu einer schriftlichen Arbeit zu erhalten. Anzufertigen wäre diese Arbeit dann in den Ferien selber und am Schlüsse derselben auf der Quästur der zuletzt besuchten Universität niederzulegen. Hat dann der Student seine Studienzeit beendet und will seine Referendarprüfung machen, so müßten dann von jeder der Universitäten, die er besucht hat, die schriftlichen Arbeiten zuvor eingeschickt werden. Natürlich müßte auf dem Titelblatte jeder Arbeit die Versicherung an Eidesstatt abgegeben werden, daß der Betreffende die Arbeit durchaus selbständig angefertigt habe. Hierdurch würde man erstens erlangen, daß der Student schon im ersten Semester mittelbar genötigt würde, zu arbeiten. Zweitens hätte der Student auch während der Ferien Beschäftigung. Drittens würde dadurch dem Treiben der oben geschilderten beiden ersten Gruppen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/223>, abgerufen am 01.09.2024.