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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das juristische Studium.

einer gewissen Altersgrenze, bei deren Erreichung die Versetzung derselben in
den Ruhestand zulässig sein müßte, wenn sie auch nicht unbedingt schon er¬
folgen müßt.

Aber kehren wir zu unserm jungen Juristen zurück. Im zweiten und
dritten Semester hat er die Pandekten zu hören, wiederum ein Stoff, der
zwar höchst interessant gemacht werden kann, bei dem es aber auch wieder ganz
auf die Beschaffenheit des Vortrages ankommt, wenn er fesseln soll. Kurz,
während der ersten zwei oder drei Semester muß sich der Jurist förmlich hin¬
durcharbeiten durch den gesamten Rechtsstoff, um einen Überblick zu be¬
kommen und so zu erfahren, weshalb das Studium des römischen Rechtes
vielleicht doch nötiger war, als er dachte. Sich aber zwei bis drei Semester
durch das römische Recht hindurchzuarbeiten, um zu einem klaren Verständnis
des Ganzen zu gelangen, ist keine Kleinigkeit, und gar mancher sonst tüchtige
Student wankt oder fällt dabei.

Zu diesem ihm vorläufig noch höchst langweilig erscheinenden Studium
des römischen Rechtes gesellt sich aber noch eine zweite größere Gefahr von
außen her: der plötzliche Wechsel der Verhältnisse. Noch vor wenigen Wochen
war der jetzige Student auf der Schule, war er unter der strengen Aufsicht
und Zucht seiner Lehrer. So gebunden er damals war, so ungebunden ist er
jetzt. Gewiß, der Student ist kein Kind mehr, er ist erwachsen und kann selb¬
ständig seinen Weg gehen. Aber die plötzliche Freiheit hat doch auch ihre
großen Gefahren. Der Übergang ist zu unvermittelt. Der junge Jurist sieht
Kommilitonen genug, die zwar auch einmal ihre Prüfungen bestehen wollen,
aber doch nie ein Kolleg besuchen, während er selber sich bewußt ist, redlich
seine Pflicht zu thun. Dennoch sieht er keinen Unterschied zwischen jenen und
sich. Sie sind beide, besonders auf größern Universitäten, den Professoren
völlig unbekannt; keiner hat vor dem andern irgend welchen Vorzug; keiner
hat irgend wie bessere Aussichten bei dem Dozenten. Mit andern Worten:
der junge Student sehnt sich nach irgend welcher Anerkennung seines Strebens
und findet keine; er fühlt sich unbefriedigt, denn noch zu frisch haftet jene Zeit
in seinem Gedächtnis, wo er ganz unter den Augen des Lehrers arbeitete.
Daß er nach drei Jahren vielleicht besser dastehen wird als jener, ist für ihn
vorläufig noch ein ziemlich geringer Trost, zumal da es nachher bei der Prüfung
nach unsern jetzigen Einrichtungen oft genug auf den günstigen Zufall ankommt
trotz alles Strebens. Weil er sich dies aber sagt, wird er, der ohnehin durch
den vorläufig noch so wenig interessanten Stoff entmutigt worden ist, nur umso
leichter im Eifer nachlassen. Er ist keineswegs absichtlich von vornherein nach¬
lässig gewesen; wenn er es wirklich wird, so wird er es durch die Umstände, die
zusammenwirken.

Um dem jungen Juristen gleich von vornherein mehr Interesse an seinem
Studium einzuflößen, hat man vorgeschlagen, jene römisch-rechtlichen Vorlesungen


Das juristische Studium.

einer gewissen Altersgrenze, bei deren Erreichung die Versetzung derselben in
den Ruhestand zulässig sein müßte, wenn sie auch nicht unbedingt schon er¬
folgen müßt.

Aber kehren wir zu unserm jungen Juristen zurück. Im zweiten und
dritten Semester hat er die Pandekten zu hören, wiederum ein Stoff, der
zwar höchst interessant gemacht werden kann, bei dem es aber auch wieder ganz
auf die Beschaffenheit des Vortrages ankommt, wenn er fesseln soll. Kurz,
während der ersten zwei oder drei Semester muß sich der Jurist förmlich hin¬
durcharbeiten durch den gesamten Rechtsstoff, um einen Überblick zu be¬
kommen und so zu erfahren, weshalb das Studium des römischen Rechtes
vielleicht doch nötiger war, als er dachte. Sich aber zwei bis drei Semester
durch das römische Recht hindurchzuarbeiten, um zu einem klaren Verständnis
des Ganzen zu gelangen, ist keine Kleinigkeit, und gar mancher sonst tüchtige
Student wankt oder fällt dabei.

Zu diesem ihm vorläufig noch höchst langweilig erscheinenden Studium
des römischen Rechtes gesellt sich aber noch eine zweite größere Gefahr von
außen her: der plötzliche Wechsel der Verhältnisse. Noch vor wenigen Wochen
war der jetzige Student auf der Schule, war er unter der strengen Aufsicht
und Zucht seiner Lehrer. So gebunden er damals war, so ungebunden ist er
jetzt. Gewiß, der Student ist kein Kind mehr, er ist erwachsen und kann selb¬
ständig seinen Weg gehen. Aber die plötzliche Freiheit hat doch auch ihre
großen Gefahren. Der Übergang ist zu unvermittelt. Der junge Jurist sieht
Kommilitonen genug, die zwar auch einmal ihre Prüfungen bestehen wollen,
aber doch nie ein Kolleg besuchen, während er selber sich bewußt ist, redlich
seine Pflicht zu thun. Dennoch sieht er keinen Unterschied zwischen jenen und
sich. Sie sind beide, besonders auf größern Universitäten, den Professoren
völlig unbekannt; keiner hat vor dem andern irgend welchen Vorzug; keiner
hat irgend wie bessere Aussichten bei dem Dozenten. Mit andern Worten:
der junge Student sehnt sich nach irgend welcher Anerkennung seines Strebens
und findet keine; er fühlt sich unbefriedigt, denn noch zu frisch haftet jene Zeit
in seinem Gedächtnis, wo er ganz unter den Augen des Lehrers arbeitete.
Daß er nach drei Jahren vielleicht besser dastehen wird als jener, ist für ihn
vorläufig noch ein ziemlich geringer Trost, zumal da es nachher bei der Prüfung
nach unsern jetzigen Einrichtungen oft genug auf den günstigen Zufall ankommt
trotz alles Strebens. Weil er sich dies aber sagt, wird er, der ohnehin durch
den vorläufig noch so wenig interessanten Stoff entmutigt worden ist, nur umso
leichter im Eifer nachlassen. Er ist keineswegs absichtlich von vornherein nach¬
lässig gewesen; wenn er es wirklich wird, so wird er es durch die Umstände, die
zusammenwirken.

Um dem jungen Juristen gleich von vornherein mehr Interesse an seinem
Studium einzuflößen, hat man vorgeschlagen, jene römisch-rechtlichen Vorlesungen


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[0221] Das juristische Studium. einer gewissen Altersgrenze, bei deren Erreichung die Versetzung derselben in den Ruhestand zulässig sein müßte, wenn sie auch nicht unbedingt schon er¬ folgen müßt. Aber kehren wir zu unserm jungen Juristen zurück. Im zweiten und dritten Semester hat er die Pandekten zu hören, wiederum ein Stoff, der zwar höchst interessant gemacht werden kann, bei dem es aber auch wieder ganz auf die Beschaffenheit des Vortrages ankommt, wenn er fesseln soll. Kurz, während der ersten zwei oder drei Semester muß sich der Jurist förmlich hin¬ durcharbeiten durch den gesamten Rechtsstoff, um einen Überblick zu be¬ kommen und so zu erfahren, weshalb das Studium des römischen Rechtes vielleicht doch nötiger war, als er dachte. Sich aber zwei bis drei Semester durch das römische Recht hindurchzuarbeiten, um zu einem klaren Verständnis des Ganzen zu gelangen, ist keine Kleinigkeit, und gar mancher sonst tüchtige Student wankt oder fällt dabei. Zu diesem ihm vorläufig noch höchst langweilig erscheinenden Studium des römischen Rechtes gesellt sich aber noch eine zweite größere Gefahr von außen her: der plötzliche Wechsel der Verhältnisse. Noch vor wenigen Wochen war der jetzige Student auf der Schule, war er unter der strengen Aufsicht und Zucht seiner Lehrer. So gebunden er damals war, so ungebunden ist er jetzt. Gewiß, der Student ist kein Kind mehr, er ist erwachsen und kann selb¬ ständig seinen Weg gehen. Aber die plötzliche Freiheit hat doch auch ihre großen Gefahren. Der Übergang ist zu unvermittelt. Der junge Jurist sieht Kommilitonen genug, die zwar auch einmal ihre Prüfungen bestehen wollen, aber doch nie ein Kolleg besuchen, während er selber sich bewußt ist, redlich seine Pflicht zu thun. Dennoch sieht er keinen Unterschied zwischen jenen und sich. Sie sind beide, besonders auf größern Universitäten, den Professoren völlig unbekannt; keiner hat vor dem andern irgend welchen Vorzug; keiner hat irgend wie bessere Aussichten bei dem Dozenten. Mit andern Worten: der junge Student sehnt sich nach irgend welcher Anerkennung seines Strebens und findet keine; er fühlt sich unbefriedigt, denn noch zu frisch haftet jene Zeit in seinem Gedächtnis, wo er ganz unter den Augen des Lehrers arbeitete. Daß er nach drei Jahren vielleicht besser dastehen wird als jener, ist für ihn vorläufig noch ein ziemlich geringer Trost, zumal da es nachher bei der Prüfung nach unsern jetzigen Einrichtungen oft genug auf den günstigen Zufall ankommt trotz alles Strebens. Weil er sich dies aber sagt, wird er, der ohnehin durch den vorläufig noch so wenig interessanten Stoff entmutigt worden ist, nur umso leichter im Eifer nachlassen. Er ist keineswegs absichtlich von vornherein nach¬ lässig gewesen; wenn er es wirklich wird, so wird er es durch die Umstände, die zusammenwirken. Um dem jungen Juristen gleich von vornherein mehr Interesse an seinem Studium einzuflößen, hat man vorgeschlagen, jene römisch-rechtlichen Vorlesungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/221>, abgerufen am 01.09.2024.