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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das juristische Studium.

Schule mit dem betreffenden Fache mehr oder minder vertraut gemacht worden.
Nicht so der Jurist, und das ist ein Punkt, der bei einer Beurteilung der
Studirenden dieser Fakultät wohl zu beachten ist! Schon die Wahl seiner
Vorlesungen an sich fällt dem Juristen weit schwerer als dem Studirenden
irgend einer andern Fakultät. Leider giebt es auf unsern deutschen Universitäten
-- zum Glück nicht auf allen, da einige allerdings eine rühmliche Ausnahme
bilden -- keine gedruckten Anleitungen zur Auswahl der zu belegenden Vor¬
lesungen, geordnet nach den einzelnen Semestern. Und doch würde daraus ein
unberechenbarer Nutzen entspringen, denn dann würden jene Klagen verstummen,
die man jetzt so oft hören muß: Hätte mir nur jemand gesagt, was ich in dem
ersten Semester belegen sollte! Seine Professoren wagt der eben von der
Schule gekommene meist noch nicht zu fragen. Er wendet sich also an seine
Kommilitonen. Und wie verschieden sind da die Ansichten, die er hört! Was
der eine empfiehlt, verwirft der andre; nur selten wird er übereinstimmende An¬
sichten hören.

Hat der junge Jurist die für ihn passenden Vorlesungen endlich gefunden
-- in den meisten Fällen dürften dies, wenigstens nach dem jetzigen Gebrauche,
römisches Recht und römische Rechtsgeschichte, an größern Universitäten auch
noch deutsche Rechtsgeschichte sein, falls sie gerade gelesen wird --, hat er
also diese Vorlesungen belegt, so kommen neue Schwierigkeiten. Da hört er
von dem Gesetze der zwölf Tafeln, von ihrer Entstehung, ihrem Wirken u. s. w.;
er hört von Scheinmanipulationen der alten Römer, die ihm ebenso umständlich
wie unnötig erscheinen, und die vielleicht nur deshalb interessant sind, weil sie
vor ein paar Jahrtausenden in Übung waren; er hört ferner von dem römischen
servus und der römischen auciUa, einer Sache, die für unsre Zeit, welche keine
servi kennt, auch nicht sehr wichtig erscheint: kurz und gut, er, der sich gefreut
hat, die Schule verlassen zu haben und sich nun endlich mit praktischeren Sachen
zu beschäftigen wünscht, oder doch erwartet hatte, Kenntnisse zu erwerben, die
er nachher auch wirklich im Leben verwerten könnte, sieht sich jetzt plötzlich zu
einem Studium verurteilt, das noch viel trockner ist, als es irgend ein Fach
auf der Schule sein konnte.

Es kommt aber noch eins hinzu, das ist die Art und Weise des Vortmges
des Dozenten. Es ist eine eigne Sache, gründlich wissenschaftlich und doch
auch wieder fesselnd vorzutragen, sodaß der junge Student, der ohnehin mit
dieser Art des Vortrages völlig unbekannt ist, nicht ermüdet. Es kann jemand
ein recht tüchtiger Gelehrter sein und doch keinen guten Vortrag haben. Auch
dies ist sehr mit in Betracht zu ziehen, und darum meine ich auch, daß wenigstens
an den größern und bedeutendern Universitäten außer den wissenschaftlichen
Autoritäten auch noch mindestens ein guter Dozent, der die Stoffe leicht und
faßlich vorzutragen versteht, anzustellen sei. Auch ließe sich hier vielleicht ein
Wörtchen über das Alter der einzelnen Professoren sagen und über Aufstellung


Das juristische Studium.

Schule mit dem betreffenden Fache mehr oder minder vertraut gemacht worden.
Nicht so der Jurist, und das ist ein Punkt, der bei einer Beurteilung der
Studirenden dieser Fakultät wohl zu beachten ist! Schon die Wahl seiner
Vorlesungen an sich fällt dem Juristen weit schwerer als dem Studirenden
irgend einer andern Fakultät. Leider giebt es auf unsern deutschen Universitäten
— zum Glück nicht auf allen, da einige allerdings eine rühmliche Ausnahme
bilden — keine gedruckten Anleitungen zur Auswahl der zu belegenden Vor¬
lesungen, geordnet nach den einzelnen Semestern. Und doch würde daraus ein
unberechenbarer Nutzen entspringen, denn dann würden jene Klagen verstummen,
die man jetzt so oft hören muß: Hätte mir nur jemand gesagt, was ich in dem
ersten Semester belegen sollte! Seine Professoren wagt der eben von der
Schule gekommene meist noch nicht zu fragen. Er wendet sich also an seine
Kommilitonen. Und wie verschieden sind da die Ansichten, die er hört! Was
der eine empfiehlt, verwirft der andre; nur selten wird er übereinstimmende An¬
sichten hören.

Hat der junge Jurist die für ihn passenden Vorlesungen endlich gefunden
— in den meisten Fällen dürften dies, wenigstens nach dem jetzigen Gebrauche,
römisches Recht und römische Rechtsgeschichte, an größern Universitäten auch
noch deutsche Rechtsgeschichte sein, falls sie gerade gelesen wird —, hat er
also diese Vorlesungen belegt, so kommen neue Schwierigkeiten. Da hört er
von dem Gesetze der zwölf Tafeln, von ihrer Entstehung, ihrem Wirken u. s. w.;
er hört von Scheinmanipulationen der alten Römer, die ihm ebenso umständlich
wie unnötig erscheinen, und die vielleicht nur deshalb interessant sind, weil sie
vor ein paar Jahrtausenden in Übung waren; er hört ferner von dem römischen
servus und der römischen auciUa, einer Sache, die für unsre Zeit, welche keine
servi kennt, auch nicht sehr wichtig erscheint: kurz und gut, er, der sich gefreut
hat, die Schule verlassen zu haben und sich nun endlich mit praktischeren Sachen
zu beschäftigen wünscht, oder doch erwartet hatte, Kenntnisse zu erwerben, die
er nachher auch wirklich im Leben verwerten könnte, sieht sich jetzt plötzlich zu
einem Studium verurteilt, das noch viel trockner ist, als es irgend ein Fach
auf der Schule sein konnte.

Es kommt aber noch eins hinzu, das ist die Art und Weise des Vortmges
des Dozenten. Es ist eine eigne Sache, gründlich wissenschaftlich und doch
auch wieder fesselnd vorzutragen, sodaß der junge Student, der ohnehin mit
dieser Art des Vortrages völlig unbekannt ist, nicht ermüdet. Es kann jemand
ein recht tüchtiger Gelehrter sein und doch keinen guten Vortrag haben. Auch
dies ist sehr mit in Betracht zu ziehen, und darum meine ich auch, daß wenigstens
an den größern und bedeutendern Universitäten außer den wissenschaftlichen
Autoritäten auch noch mindestens ein guter Dozent, der die Stoffe leicht und
faßlich vorzutragen versteht, anzustellen sei. Auch ließe sich hier vielleicht ein
Wörtchen über das Alter der einzelnen Professoren sagen und über Aufstellung


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[0220] Das juristische Studium. Schule mit dem betreffenden Fache mehr oder minder vertraut gemacht worden. Nicht so der Jurist, und das ist ein Punkt, der bei einer Beurteilung der Studirenden dieser Fakultät wohl zu beachten ist! Schon die Wahl seiner Vorlesungen an sich fällt dem Juristen weit schwerer als dem Studirenden irgend einer andern Fakultät. Leider giebt es auf unsern deutschen Universitäten — zum Glück nicht auf allen, da einige allerdings eine rühmliche Ausnahme bilden — keine gedruckten Anleitungen zur Auswahl der zu belegenden Vor¬ lesungen, geordnet nach den einzelnen Semestern. Und doch würde daraus ein unberechenbarer Nutzen entspringen, denn dann würden jene Klagen verstummen, die man jetzt so oft hören muß: Hätte mir nur jemand gesagt, was ich in dem ersten Semester belegen sollte! Seine Professoren wagt der eben von der Schule gekommene meist noch nicht zu fragen. Er wendet sich also an seine Kommilitonen. Und wie verschieden sind da die Ansichten, die er hört! Was der eine empfiehlt, verwirft der andre; nur selten wird er übereinstimmende An¬ sichten hören. Hat der junge Jurist die für ihn passenden Vorlesungen endlich gefunden — in den meisten Fällen dürften dies, wenigstens nach dem jetzigen Gebrauche, römisches Recht und römische Rechtsgeschichte, an größern Universitäten auch noch deutsche Rechtsgeschichte sein, falls sie gerade gelesen wird —, hat er also diese Vorlesungen belegt, so kommen neue Schwierigkeiten. Da hört er von dem Gesetze der zwölf Tafeln, von ihrer Entstehung, ihrem Wirken u. s. w.; er hört von Scheinmanipulationen der alten Römer, die ihm ebenso umständlich wie unnötig erscheinen, und die vielleicht nur deshalb interessant sind, weil sie vor ein paar Jahrtausenden in Übung waren; er hört ferner von dem römischen servus und der römischen auciUa, einer Sache, die für unsre Zeit, welche keine servi kennt, auch nicht sehr wichtig erscheint: kurz und gut, er, der sich gefreut hat, die Schule verlassen zu haben und sich nun endlich mit praktischeren Sachen zu beschäftigen wünscht, oder doch erwartet hatte, Kenntnisse zu erwerben, die er nachher auch wirklich im Leben verwerten könnte, sieht sich jetzt plötzlich zu einem Studium verurteilt, das noch viel trockner ist, als es irgend ein Fach auf der Schule sein konnte. Es kommt aber noch eins hinzu, das ist die Art und Weise des Vortmges des Dozenten. Es ist eine eigne Sache, gründlich wissenschaftlich und doch auch wieder fesselnd vorzutragen, sodaß der junge Student, der ohnehin mit dieser Art des Vortrages völlig unbekannt ist, nicht ermüdet. Es kann jemand ein recht tüchtiger Gelehrter sein und doch keinen guten Vortrag haben. Auch dies ist sehr mit in Betracht zu ziehen, und darum meine ich auch, daß wenigstens an den größern und bedeutendern Universitäten außer den wissenschaftlichen Autoritäten auch noch mindestens ein guter Dozent, der die Stoffe leicht und faßlich vorzutragen versteht, anzustellen sei. Auch ließe sich hier vielleicht ein Wörtchen über das Alter der einzelnen Professoren sagen und über Aufstellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/220>, abgerufen am 01.09.2024.