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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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verabschiedete Offiziere.

gehe -- er ist für ihn nicht mehr vorhanden. Mit einem male ist er frei,
kein Mensch will mehr etwas von ihm, fragt nach ihm, wie er seinerseits nach
niemand mehr etwas zu fragen hat.

Er weiß, daß er diese Freiheit nun behalten wird, vielleicht sein ganzes
Leben lang, jedenfalls bis ihn eine Mobilmachung wieder in Reih und Glied
ruft, wenn er bis dahin noch fähig ist, diesem Rufe Folge zu leisten; die Zeit,
wann dies geschehen wird, kann kein Mensch bestimmen -- in zehn Tagen oder
in zehn Jahren, wie wir aus unterrichtetster Quelle erfahren haben. Unter
Umständen also ist dies eine sehr lange Zeit, in der sich für den verabschiedeten
Kompagniechef viel ereignen kann. Was? Das hat in der Hauptsache er in
der Hand. Er kann nun selbst sein Leben gestalten, denn er ist nun unbe¬
schränkter Herr seiner Zeit wie seiner Handlungen.

Die Welt, der er bis jetzt angehört hat, bedarf seiner, wie sie nun einmal
ist, nicht mehr; sie hat ihn freigegeben. Soweit er nicht selbst innerlich ihr
noch angehört, ihre Anschauungen noch teilt und zur Richtschnur seiner Hand¬
lungen macht, haben ihre Grundsätze und Ansichten keine Verbindlichkeit mehr
für ihn. Sein seitheriger Stand kann noch einmal in Frage kommen, wenn
er die Standesehre verletzt und dies zur Kenntnis dieses Standes kommt; es kann
ihm dann das Recht zum Tragen der Uniform genommen werden, aber die
Pension muß ihm gelassen werden, sie ist ein ^'us g.oauisiwra.

Was wird er nun beginnen? Zunächst, für die ersten Tage, Wochen oder
auch Monate nach der Verabschiedung, wird wohl für jeden das Gefühl der Freiheit
das überwiegende sein, nach all den Widerwärtigkeiten und Aufregungen der
letzten Dienstzeit. In dieses Gefühl der Freiheit wird sich aber bald ein
Tropfen Bitterkeit mischen bei jedem, der sich über die gewöhnliche Alltäglichkeit
erhebt. Die Freiheit ist ja keine freiwillige, sondern eine sehr gegen seinen
Willen ihm aufgezwungene, jedenfalls ist sie kein otiuiu vuin äiZiütÄw; er hatte
ganz andre Dinge im Kopfe, als gerade dieser Art von Freiheit sich zu erfreuen.
Sein gesunder Sinn, die Erinnerung an seine seitherige Thätigkeit, die Leere
und Langeweile, die ihn umgebe" -- er ist zu alt, um zu genießen, zu jung,
um ohne Wunsch zu sein --, endlich der Blick seiner bürgerlichen Freunde, die
an ihm vorüber auf ihr Bureau, ihr Komtoir oder ihre Bank eilen, sagt ihm,
daß er im leistungsfähigen, ja im besten Mannesalter stehe, daß seine Lebens¬
arbeit erst oder noch nicht einmal zur Hälfte gethan sei und daß es schmählich
sei, bei gesundem Körper ohne Thätigkeit, ohne einen Beruf zu leben und sei
es ein selbstgeschaffener.

Aus diesem Gefühl, das, wenn es einmal aufgetaucht ist, je länger es an¬
dauert, desto stärker wird, bildet sich ein Stachel, eine dauernde Bitterkeit, die mit
ihm aufsteht und sich mit ihm niederlegt -- er -hat es eben doch trotz aller An¬
strengungen zu nichts gebracht, und er fängt an, seine bürgerlichen Freunde zu
beneiden; die Bezirksbeamtcn in ihren schönen Amtswohmmgen, die Richter und


verabschiedete Offiziere.

gehe — er ist für ihn nicht mehr vorhanden. Mit einem male ist er frei,
kein Mensch will mehr etwas von ihm, fragt nach ihm, wie er seinerseits nach
niemand mehr etwas zu fragen hat.

Er weiß, daß er diese Freiheit nun behalten wird, vielleicht sein ganzes
Leben lang, jedenfalls bis ihn eine Mobilmachung wieder in Reih und Glied
ruft, wenn er bis dahin noch fähig ist, diesem Rufe Folge zu leisten; die Zeit,
wann dies geschehen wird, kann kein Mensch bestimmen — in zehn Tagen oder
in zehn Jahren, wie wir aus unterrichtetster Quelle erfahren haben. Unter
Umständen also ist dies eine sehr lange Zeit, in der sich für den verabschiedeten
Kompagniechef viel ereignen kann. Was? Das hat in der Hauptsache er in
der Hand. Er kann nun selbst sein Leben gestalten, denn er ist nun unbe¬
schränkter Herr seiner Zeit wie seiner Handlungen.

Die Welt, der er bis jetzt angehört hat, bedarf seiner, wie sie nun einmal
ist, nicht mehr; sie hat ihn freigegeben. Soweit er nicht selbst innerlich ihr
noch angehört, ihre Anschauungen noch teilt und zur Richtschnur seiner Hand¬
lungen macht, haben ihre Grundsätze und Ansichten keine Verbindlichkeit mehr
für ihn. Sein seitheriger Stand kann noch einmal in Frage kommen, wenn
er die Standesehre verletzt und dies zur Kenntnis dieses Standes kommt; es kann
ihm dann das Recht zum Tragen der Uniform genommen werden, aber die
Pension muß ihm gelassen werden, sie ist ein ^'us g.oauisiwra.

Was wird er nun beginnen? Zunächst, für die ersten Tage, Wochen oder
auch Monate nach der Verabschiedung, wird wohl für jeden das Gefühl der Freiheit
das überwiegende sein, nach all den Widerwärtigkeiten und Aufregungen der
letzten Dienstzeit. In dieses Gefühl der Freiheit wird sich aber bald ein
Tropfen Bitterkeit mischen bei jedem, der sich über die gewöhnliche Alltäglichkeit
erhebt. Die Freiheit ist ja keine freiwillige, sondern eine sehr gegen seinen
Willen ihm aufgezwungene, jedenfalls ist sie kein otiuiu vuin äiZiütÄw; er hatte
ganz andre Dinge im Kopfe, als gerade dieser Art von Freiheit sich zu erfreuen.
Sein gesunder Sinn, die Erinnerung an seine seitherige Thätigkeit, die Leere
und Langeweile, die ihn umgebe» — er ist zu alt, um zu genießen, zu jung,
um ohne Wunsch zu sein —, endlich der Blick seiner bürgerlichen Freunde, die
an ihm vorüber auf ihr Bureau, ihr Komtoir oder ihre Bank eilen, sagt ihm,
daß er im leistungsfähigen, ja im besten Mannesalter stehe, daß seine Lebens¬
arbeit erst oder noch nicht einmal zur Hälfte gethan sei und daß es schmählich
sei, bei gesundem Körper ohne Thätigkeit, ohne einen Beruf zu leben und sei
es ein selbstgeschaffener.

Aus diesem Gefühl, das, wenn es einmal aufgetaucht ist, je länger es an¬
dauert, desto stärker wird, bildet sich ein Stachel, eine dauernde Bitterkeit, die mit
ihm aufsteht und sich mit ihm niederlegt — er -hat es eben doch trotz aller An¬
strengungen zu nichts gebracht, und er fängt an, seine bürgerlichen Freunde zu
beneiden; die Bezirksbeamtcn in ihren schönen Amtswohmmgen, die Richter und


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[0022] verabschiedete Offiziere. gehe — er ist für ihn nicht mehr vorhanden. Mit einem male ist er frei, kein Mensch will mehr etwas von ihm, fragt nach ihm, wie er seinerseits nach niemand mehr etwas zu fragen hat. Er weiß, daß er diese Freiheit nun behalten wird, vielleicht sein ganzes Leben lang, jedenfalls bis ihn eine Mobilmachung wieder in Reih und Glied ruft, wenn er bis dahin noch fähig ist, diesem Rufe Folge zu leisten; die Zeit, wann dies geschehen wird, kann kein Mensch bestimmen — in zehn Tagen oder in zehn Jahren, wie wir aus unterrichtetster Quelle erfahren haben. Unter Umständen also ist dies eine sehr lange Zeit, in der sich für den verabschiedeten Kompagniechef viel ereignen kann. Was? Das hat in der Hauptsache er in der Hand. Er kann nun selbst sein Leben gestalten, denn er ist nun unbe¬ schränkter Herr seiner Zeit wie seiner Handlungen. Die Welt, der er bis jetzt angehört hat, bedarf seiner, wie sie nun einmal ist, nicht mehr; sie hat ihn freigegeben. Soweit er nicht selbst innerlich ihr noch angehört, ihre Anschauungen noch teilt und zur Richtschnur seiner Hand¬ lungen macht, haben ihre Grundsätze und Ansichten keine Verbindlichkeit mehr für ihn. Sein seitheriger Stand kann noch einmal in Frage kommen, wenn er die Standesehre verletzt und dies zur Kenntnis dieses Standes kommt; es kann ihm dann das Recht zum Tragen der Uniform genommen werden, aber die Pension muß ihm gelassen werden, sie ist ein ^'us g.oauisiwra. Was wird er nun beginnen? Zunächst, für die ersten Tage, Wochen oder auch Monate nach der Verabschiedung, wird wohl für jeden das Gefühl der Freiheit das überwiegende sein, nach all den Widerwärtigkeiten und Aufregungen der letzten Dienstzeit. In dieses Gefühl der Freiheit wird sich aber bald ein Tropfen Bitterkeit mischen bei jedem, der sich über die gewöhnliche Alltäglichkeit erhebt. Die Freiheit ist ja keine freiwillige, sondern eine sehr gegen seinen Willen ihm aufgezwungene, jedenfalls ist sie kein otiuiu vuin äiZiütÄw; er hatte ganz andre Dinge im Kopfe, als gerade dieser Art von Freiheit sich zu erfreuen. Sein gesunder Sinn, die Erinnerung an seine seitherige Thätigkeit, die Leere und Langeweile, die ihn umgebe» — er ist zu alt, um zu genießen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein —, endlich der Blick seiner bürgerlichen Freunde, die an ihm vorüber auf ihr Bureau, ihr Komtoir oder ihre Bank eilen, sagt ihm, daß er im leistungsfähigen, ja im besten Mannesalter stehe, daß seine Lebens¬ arbeit erst oder noch nicht einmal zur Hälfte gethan sei und daß es schmählich sei, bei gesundem Körper ohne Thätigkeit, ohne einen Beruf zu leben und sei es ein selbstgeschaffener. Aus diesem Gefühl, das, wenn es einmal aufgetaucht ist, je länger es an¬ dauert, desto stärker wird, bildet sich ein Stachel, eine dauernde Bitterkeit, die mit ihm aufsteht und sich mit ihm niederlegt — er -hat es eben doch trotz aller An¬ strengungen zu nichts gebracht, und er fängt an, seine bürgerlichen Freunde zu beneiden; die Bezirksbeamtcn in ihren schönen Amtswohmmgen, die Richter und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/22>, abgerufen am 01.09.2024.