Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Lage der französischen Republik.

le Geschichte der dritten französischen Republik hat mit der in
voriger Woche erfolgten Wahl Boulangers zum Vertreter des
Departements du Nord, wie es scheint, eine neue Wendung ge¬
nommen, jedenfalls kommt mit ihm ein neues Element in die
Deputirtenkammer, ein Mitglied derselben, welches sich zu der
Aufgabe und Absicht bekennt, diese Körperschaft in ihrer jetzigen Gestalt und
Natur zu bekämpfen und womöglich zu beseitigen. Ob er neben diesem nega¬
tiven Programm auch ein positives hat und welches, ist Gegenstand bloßer
Vermutung, aber das negative hat genügt, ihm eine Partei zu sammeln, welche
wir in den letzten Monaten trotz seiner Mängel und Fehler, die ihn anderswo
als in Frankreich zu einer politischen Rolle unfähig machen würden, täglich
an Zahl und Selbstgefühl wachsen sahen. Der Exgeneral hat einen unleugbar
geschickten Schachzug gethan, als er sich zum Ausdruck und Vertreter der fast
allgemeinen Unzufriedenheit mit der Unfähigkeit machte, welche die Republik
bekundet hat, sich auf parlamentarischem Wege mit Erfolg zu regieren. Sie hat,
abgesehen von der Wiederherstellung der Kriegsmacht, wenig dankenswertes ge¬
schaffen und in dem Eifer, sich zu behaupten, viel vernachlässigt und geschadet.
Ein Beispiel, welches die jetzige Wahl Boulangers erklärt, ist das Verfahren
der Behörden in dem erwähnten Departement. Dieses hatte 1885 einen Monar¬
chisten als Vertreter in die Kammer gesandt und wurde seitdem von der Ver¬
waltung mit entschiedener Nichtbeachtung seiner Bedürfnisse gestraft. Man
wendete ihm keinerlei staatliche Beihilfe zu, und man hinderte sogar die Ge-
weinderäte, die größtenteils konservativ sind, an der Ausführung von notwen¬
digen Verbesserungen. Ähnliches geschah oder unterblieb in andern Kreisen, im
kleinen wie im großen. Fast auf allen Gebieten, in allen Parteilagern findet


Grenzboten II. 1888. 26


Die Lage der französischen Republik.

le Geschichte der dritten französischen Republik hat mit der in
voriger Woche erfolgten Wahl Boulangers zum Vertreter des
Departements du Nord, wie es scheint, eine neue Wendung ge¬
nommen, jedenfalls kommt mit ihm ein neues Element in die
Deputirtenkammer, ein Mitglied derselben, welches sich zu der
Aufgabe und Absicht bekennt, diese Körperschaft in ihrer jetzigen Gestalt und
Natur zu bekämpfen und womöglich zu beseitigen. Ob er neben diesem nega¬
tiven Programm auch ein positives hat und welches, ist Gegenstand bloßer
Vermutung, aber das negative hat genügt, ihm eine Partei zu sammeln, welche
wir in den letzten Monaten trotz seiner Mängel und Fehler, die ihn anderswo
als in Frankreich zu einer politischen Rolle unfähig machen würden, täglich
an Zahl und Selbstgefühl wachsen sahen. Der Exgeneral hat einen unleugbar
geschickten Schachzug gethan, als er sich zum Ausdruck und Vertreter der fast
allgemeinen Unzufriedenheit mit der Unfähigkeit machte, welche die Republik
bekundet hat, sich auf parlamentarischem Wege mit Erfolg zu regieren. Sie hat,
abgesehen von der Wiederherstellung der Kriegsmacht, wenig dankenswertes ge¬
schaffen und in dem Eifer, sich zu behaupten, viel vernachlässigt und geschadet.
Ein Beispiel, welches die jetzige Wahl Boulangers erklärt, ist das Verfahren
der Behörden in dem erwähnten Departement. Dieses hatte 1885 einen Monar¬
chisten als Vertreter in die Kammer gesandt und wurde seitdem von der Ver¬
waltung mit entschiedener Nichtbeachtung seiner Bedürfnisse gestraft. Man
wendete ihm keinerlei staatliche Beihilfe zu, und man hinderte sogar die Ge-
weinderäte, die größtenteils konservativ sind, an der Ausführung von notwen¬
digen Verbesserungen. Ähnliches geschah oder unterblieb in andern Kreisen, im
kleinen wie im großen. Fast auf allen Gebieten, in allen Parteilagern findet


Grenzboten II. 1888. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202986"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341847_202776/figures/grenzboten_341847_202776_202986_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Lage der französischen Republik.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_715" next="#ID_716"> le Geschichte der dritten französischen Republik hat mit der in<lb/>
voriger Woche erfolgten Wahl Boulangers zum Vertreter des<lb/>
Departements du Nord, wie es scheint, eine neue Wendung ge¬<lb/>
nommen, jedenfalls kommt mit ihm ein neues Element in die<lb/>
Deputirtenkammer, ein Mitglied derselben, welches sich zu der<lb/>
Aufgabe und Absicht bekennt, diese Körperschaft in ihrer jetzigen Gestalt und<lb/>
Natur zu bekämpfen und womöglich zu beseitigen. Ob er neben diesem nega¬<lb/>
tiven Programm auch ein positives hat und welches, ist Gegenstand bloßer<lb/>
Vermutung, aber das negative hat genügt, ihm eine Partei zu sammeln, welche<lb/>
wir in den letzten Monaten trotz seiner Mängel und Fehler, die ihn anderswo<lb/>
als in Frankreich zu einer politischen Rolle unfähig machen würden, täglich<lb/>
an Zahl und Selbstgefühl wachsen sahen. Der Exgeneral hat einen unleugbar<lb/>
geschickten Schachzug gethan, als er sich zum Ausdruck und Vertreter der fast<lb/>
allgemeinen Unzufriedenheit mit der Unfähigkeit machte, welche die Republik<lb/>
bekundet hat, sich auf parlamentarischem Wege mit Erfolg zu regieren. Sie hat,<lb/>
abgesehen von der Wiederherstellung der Kriegsmacht, wenig dankenswertes ge¬<lb/>
schaffen und in dem Eifer, sich zu behaupten, viel vernachlässigt und geschadet.<lb/>
Ein Beispiel, welches die jetzige Wahl Boulangers erklärt, ist das Verfahren<lb/>
der Behörden in dem erwähnten Departement. Dieses hatte 1885 einen Monar¬<lb/>
chisten als Vertreter in die Kammer gesandt und wurde seitdem von der Ver¬<lb/>
waltung mit entschiedener Nichtbeachtung seiner Bedürfnisse gestraft. Man<lb/>
wendete ihm keinerlei staatliche Beihilfe zu, und man hinderte sogar die Ge-<lb/>
weinderäte, die größtenteils konservativ sind, an der Ausführung von notwen¬<lb/>
digen Verbesserungen. Ähnliches geschah oder unterblieb in andern Kreisen, im<lb/>
kleinen wie im großen. Fast auf allen Gebieten, in allen Parteilagern findet</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1888. 26</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] [Abbildung] Die Lage der französischen Republik. le Geschichte der dritten französischen Republik hat mit der in voriger Woche erfolgten Wahl Boulangers zum Vertreter des Departements du Nord, wie es scheint, eine neue Wendung ge¬ nommen, jedenfalls kommt mit ihm ein neues Element in die Deputirtenkammer, ein Mitglied derselben, welches sich zu der Aufgabe und Absicht bekennt, diese Körperschaft in ihrer jetzigen Gestalt und Natur zu bekämpfen und womöglich zu beseitigen. Ob er neben diesem nega¬ tiven Programm auch ein positives hat und welches, ist Gegenstand bloßer Vermutung, aber das negative hat genügt, ihm eine Partei zu sammeln, welche wir in den letzten Monaten trotz seiner Mängel und Fehler, die ihn anderswo als in Frankreich zu einer politischen Rolle unfähig machen würden, täglich an Zahl und Selbstgefühl wachsen sahen. Der Exgeneral hat einen unleugbar geschickten Schachzug gethan, als er sich zum Ausdruck und Vertreter der fast allgemeinen Unzufriedenheit mit der Unfähigkeit machte, welche die Republik bekundet hat, sich auf parlamentarischem Wege mit Erfolg zu regieren. Sie hat, abgesehen von der Wiederherstellung der Kriegsmacht, wenig dankenswertes ge¬ schaffen und in dem Eifer, sich zu behaupten, viel vernachlässigt und geschadet. Ein Beispiel, welches die jetzige Wahl Boulangers erklärt, ist das Verfahren der Behörden in dem erwähnten Departement. Dieses hatte 1885 einen Monar¬ chisten als Vertreter in die Kammer gesandt und wurde seitdem von der Ver¬ waltung mit entschiedener Nichtbeachtung seiner Bedürfnisse gestraft. Man wendete ihm keinerlei staatliche Beihilfe zu, und man hinderte sogar die Ge- weinderäte, die größtenteils konservativ sind, an der Ausführung von notwen¬ digen Verbesserungen. Ähnliches geschah oder unterblieb in andern Kreisen, im kleinen wie im großen. Fast auf allen Gebieten, in allen Parteilagern findet Grenzboten II. 1888. 26

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/209>, abgerufen am 13.11.2024.