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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

ich bin nichts als die niedrig geborne Koboldsgcstalt, die Sie hier sehen. Es
ist alles vorbei; denn die furchtbare Verirrung dieser Liebe hat meine
Schwingen gelähmt, meine geistigen Augen verlieren ihre Sehkraft, mein Herz
verdorrt, meine Seele verblutet zu der Blutlosigkeit der Feigheit -- o, erlösen
Sie mich von mir selber, Fräulein Lyhne, wenden Sie sich nicht höhnend ab,
weinen Sie, weinen Sie über mich!

Er war mitten auf der Treppe auf beide Kniee gesunken und rang die Hände.
Sein Antlitz war bleich und verzerrt, er biß die Zähne in wildem Schmerz zu¬
sammen, die Augen schwammen in Thränen, seine ganze Gestalt erbebte vor
unterdrücktem Schluchzen, daß man nur ein pfeifendes Atmen vernahm.

Edele hatte sich nicht von der Plattform erhoben. Fassen Sie sich doch,
Mensch! sagte sie in mitleidigem Tone, fassen Sie sich, lassen Sie sich doch nicht
so hinreißen, seien Sie ein Mann! Hören Sie, Herr Bigum, stehen Sie auf,
gehen Sie ein wenig im Garten auf und ab und versuchen Sie, sich wieder
zu beruhigen!

Und können Sie mich denn wirklich nicht lieben? stöhnte Bigum fast
unhörbar; o, es ist furchtbar! es giebt nichts in meiner Seele, was ich nicht
ausrotten, nicht vertilgen würde, wenn ich Sie dadurch gewinnen könnte. Nein,
nein, wenn man mir die Wahl stellte, wahnsinnig zu werden, und ich in den
Visionen dieses Wahnsinnes Sie besitzen könnte, Sie besitzen, dann würde ich
sagen: Hier habt ihr mein Gehirn, greift mit schonungsloser Hand hinein
in sein wundervolles Gebäude und zerreißt alle die feinen Fasern, mit denen
mein Selbst an den strahlenden Triumphwagen des Menschengeistes geknüpft
ist, laßt mich zurücksinken in den Kot der Materie, unter die Räder des Wagens,
laßt die andern die Pfade ihrer Herrlichkeit ziehen, entgegen dem Lichte! Ver¬
stehen Sie mich? Begreifen Sie, daß ich Ihre Liebe, selbst wenn sie ihres
Glanzes, der Majestät ihrer Reinheit, beraubt zu mir käme, besudelt, ein Zerr¬
bild wahrer Liebe, ein krankes Phantom, das ich sie selbst dann annehmen
würde, demütig knieend, als wäre sie die heilige Hostie. Aber das Beste in mir
ist umsonst, auch das Schlechte in mir ist vergebens. Ich rufe die Sonne an,
aber sie scheint nicht, ich rufe den Himmel an, aber er antwortet nicht. Ant¬
worten! Welche Antwort gäbe es wohl auf meine Leiden? Nein, diese un¬
säglichen Qualen, die mein innerstes Wesen bis in seine geheimsten Wurzeln
zersplittern, diese peinigenden Schmerzen, sie berühren Sie nur unangenehm,
sind für Sie nur eine kleine, unbedeutende Beleidigung, und in Ihrem Herzen
lächeln Sie höhnisch über die unmögliche Leidenschaft des armen Hauslehrers.

(Fortsetzung folgt.)




Ricks Lyhne.

ich bin nichts als die niedrig geborne Koboldsgcstalt, die Sie hier sehen. Es
ist alles vorbei; denn die furchtbare Verirrung dieser Liebe hat meine
Schwingen gelähmt, meine geistigen Augen verlieren ihre Sehkraft, mein Herz
verdorrt, meine Seele verblutet zu der Blutlosigkeit der Feigheit — o, erlösen
Sie mich von mir selber, Fräulein Lyhne, wenden Sie sich nicht höhnend ab,
weinen Sie, weinen Sie über mich!

Er war mitten auf der Treppe auf beide Kniee gesunken und rang die Hände.
Sein Antlitz war bleich und verzerrt, er biß die Zähne in wildem Schmerz zu¬
sammen, die Augen schwammen in Thränen, seine ganze Gestalt erbebte vor
unterdrücktem Schluchzen, daß man nur ein pfeifendes Atmen vernahm.

Edele hatte sich nicht von der Plattform erhoben. Fassen Sie sich doch,
Mensch! sagte sie in mitleidigem Tone, fassen Sie sich, lassen Sie sich doch nicht
so hinreißen, seien Sie ein Mann! Hören Sie, Herr Bigum, stehen Sie auf,
gehen Sie ein wenig im Garten auf und ab und versuchen Sie, sich wieder
zu beruhigen!

Und können Sie mich denn wirklich nicht lieben? stöhnte Bigum fast
unhörbar; o, es ist furchtbar! es giebt nichts in meiner Seele, was ich nicht
ausrotten, nicht vertilgen würde, wenn ich Sie dadurch gewinnen könnte. Nein,
nein, wenn man mir die Wahl stellte, wahnsinnig zu werden, und ich in den
Visionen dieses Wahnsinnes Sie besitzen könnte, Sie besitzen, dann würde ich
sagen: Hier habt ihr mein Gehirn, greift mit schonungsloser Hand hinein
in sein wundervolles Gebäude und zerreißt alle die feinen Fasern, mit denen
mein Selbst an den strahlenden Triumphwagen des Menschengeistes geknüpft
ist, laßt mich zurücksinken in den Kot der Materie, unter die Räder des Wagens,
laßt die andern die Pfade ihrer Herrlichkeit ziehen, entgegen dem Lichte! Ver¬
stehen Sie mich? Begreifen Sie, daß ich Ihre Liebe, selbst wenn sie ihres
Glanzes, der Majestät ihrer Reinheit, beraubt zu mir käme, besudelt, ein Zerr¬
bild wahrer Liebe, ein krankes Phantom, das ich sie selbst dann annehmen
würde, demütig knieend, als wäre sie die heilige Hostie. Aber das Beste in mir
ist umsonst, auch das Schlechte in mir ist vergebens. Ich rufe die Sonne an,
aber sie scheint nicht, ich rufe den Himmel an, aber er antwortet nicht. Ant¬
worten! Welche Antwort gäbe es wohl auf meine Leiden? Nein, diese un¬
säglichen Qualen, die mein innerstes Wesen bis in seine geheimsten Wurzeln
zersplittern, diese peinigenden Schmerzen, sie berühren Sie nur unangenehm,
sind für Sie nur eine kleine, unbedeutende Beleidigung, und in Ihrem Herzen
lächeln Sie höhnisch über die unmögliche Leidenschaft des armen Hauslehrers.

(Fortsetzung folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/200>, abgerufen am 01.09.2024.