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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Edcle und blieb, unschlüssig, was er sagen sollte, stehen, ohne ihr den Hut zu
reichen. Nicht einen Gedanken konnte er in seinem Gehirn entdecken, nicht ein
einziges Wort wollte ihm über die Lippen, und mit einem dumpfen Ausdruck
gelähmten Tiefsinncs starrte er vor sich hin.

Das ist ein Hut, Herr Bigum, warf Edele hin, um nicht bei diesem ver¬
legenen Schweigen selbst verlegen zu werden.

Ja, erwiederte der Hauslehrer eifrig, als wäre er entzückt darüber, von ihr
eine Ansicht bestätigen zu hören, die er sich auch gerade gebildet hatte; aber
in demselben Augenblick errötete er über das Unbeholfene dieser Antwort.

Er lag hier, fügte er schnell hinzu, hier auf der Erde, so -- so lag er,
und er beugte sich herab und zeigte, wie der Hut gelegen hatte, mit der ganzen
gedankenlosen Umständlichkeit des Verlegenseins, und beinahe glücklich über die
Erleichterung, die es ihm gewährte, ein Lebenszeichen von sich geben zu können,
wie armselig es auch sein mochte. Und noch immer stand er da mit dem Hut
in der Hand.

Wollen Sie den Hut behalten? fragte Edele. Bigum wußte nicht, was er
antworten sollte.

Ich meine, ob Sie ihn mir nicht geben wollen? erklärte sie.

Bigum ging ein paar Stufen hinauf und reichte ihr den Hut. Fräulein
Lyhnc, sagte er, Sie glauben -- Sie dürfen nicht glauben, Fräulein Lyhne --
bitte, lassen Sie mich reden; das heißt -- ich will ja auch nichts sagen, haben
Sie nur Geduld mit mir! Ich liebe Sie, Fräulein Lyhnc, unsagbar, unsagbar,
es ist mir nicht möglich zu sagen, wie ich Sie liebe! O, wenn es ein Wort
gäbe, welches die bewundernde Furcht eines Sklaven, das ekstatische Lächeln
eines Märtyrers, das namenlose Heimweh eines Verwichenen, eines Laudes-
verwiesenen in sich trüge, so würde ich das Wort wählen, um damit aus¬
zudrücken, wie sehr ich Sie liebe. O lassen Sie mich reden, hören Sie mich
an, hören Sie mich an, stoßen Sie mich nicht von sich. Denken Sie nicht,
daß ich Sie durch wahnsinnige Hoffnungen beleidige, ich weiß, wie gering
ich in Ihren Augen bin, wie Plump, wie abstoßend! Ich vergesse keinen
Augenblick, daß ich arm bin, ja, Sie sollen es hören, so arm, daß ich meine
Mutter in einem Armenhause wohnen lassen muß, ich muß es, muß es, so
bitter arm bin ich. Ja, Fräulein Lyhne, ich bin nur ein niedrig dienender
Mann, der das Brot Ihres Bruders ißt, und doch giebt es eine Welt, in der
ich herrsche, und zwar mächtig, stolz, reich, umgeben von Siegesglanz, edel,
geadelt durch denselben Trieb, der Prometheus veranlaßte, das Feuer aus dem
Himmel der Götter zu holen, und dort bin ich Ihr Bruder, der Bruder aller
Geistesheroen, welche die Welt getragen hat, welche die Welt noch trägt; o, ich
verstehe sie, wie nur Ebenbürtige einander verstehen; kein Flug, den sie ge¬
flogen, war zu hoch für die Kraft meiner Schwingen. Verstehen Sie mich,
glauben Sie mir? Ach, glauben Sie mir nicht, es ist ja alles nicht wahr,


Edcle und blieb, unschlüssig, was er sagen sollte, stehen, ohne ihr den Hut zu
reichen. Nicht einen Gedanken konnte er in seinem Gehirn entdecken, nicht ein
einziges Wort wollte ihm über die Lippen, und mit einem dumpfen Ausdruck
gelähmten Tiefsinncs starrte er vor sich hin.

Das ist ein Hut, Herr Bigum, warf Edele hin, um nicht bei diesem ver¬
legenen Schweigen selbst verlegen zu werden.

Ja, erwiederte der Hauslehrer eifrig, als wäre er entzückt darüber, von ihr
eine Ansicht bestätigen zu hören, die er sich auch gerade gebildet hatte; aber
in demselben Augenblick errötete er über das Unbeholfene dieser Antwort.

Er lag hier, fügte er schnell hinzu, hier auf der Erde, so — so lag er,
und er beugte sich herab und zeigte, wie der Hut gelegen hatte, mit der ganzen
gedankenlosen Umständlichkeit des Verlegenseins, und beinahe glücklich über die
Erleichterung, die es ihm gewährte, ein Lebenszeichen von sich geben zu können,
wie armselig es auch sein mochte. Und noch immer stand er da mit dem Hut
in der Hand.

Wollen Sie den Hut behalten? fragte Edele. Bigum wußte nicht, was er
antworten sollte.

Ich meine, ob Sie ihn mir nicht geben wollen? erklärte sie.

Bigum ging ein paar Stufen hinauf und reichte ihr den Hut. Fräulein
Lyhnc, sagte er, Sie glauben — Sie dürfen nicht glauben, Fräulein Lyhne —
bitte, lassen Sie mich reden; das heißt — ich will ja auch nichts sagen, haben
Sie nur Geduld mit mir! Ich liebe Sie, Fräulein Lyhnc, unsagbar, unsagbar,
es ist mir nicht möglich zu sagen, wie ich Sie liebe! O, wenn es ein Wort
gäbe, welches die bewundernde Furcht eines Sklaven, das ekstatische Lächeln
eines Märtyrers, das namenlose Heimweh eines Verwichenen, eines Laudes-
verwiesenen in sich trüge, so würde ich das Wort wählen, um damit aus¬
zudrücken, wie sehr ich Sie liebe. O lassen Sie mich reden, hören Sie mich
an, hören Sie mich an, stoßen Sie mich nicht von sich. Denken Sie nicht,
daß ich Sie durch wahnsinnige Hoffnungen beleidige, ich weiß, wie gering
ich in Ihren Augen bin, wie Plump, wie abstoßend! Ich vergesse keinen
Augenblick, daß ich arm bin, ja, Sie sollen es hören, so arm, daß ich meine
Mutter in einem Armenhause wohnen lassen muß, ich muß es, muß es, so
bitter arm bin ich. Ja, Fräulein Lyhne, ich bin nur ein niedrig dienender
Mann, der das Brot Ihres Bruders ißt, und doch giebt es eine Welt, in der
ich herrsche, und zwar mächtig, stolz, reich, umgeben von Siegesglanz, edel,
geadelt durch denselben Trieb, der Prometheus veranlaßte, das Feuer aus dem
Himmel der Götter zu holen, und dort bin ich Ihr Bruder, der Bruder aller
Geistesheroen, welche die Welt getragen hat, welche die Welt noch trägt; o, ich
verstehe sie, wie nur Ebenbürtige einander verstehen; kein Flug, den sie ge¬
flogen, war zu hoch für die Kraft meiner Schwingen. Verstehen Sie mich,
glauben Sie mir? Ach, glauben Sie mir nicht, es ist ja alles nicht wahr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/199>, abgerufen am 01.09.2024.