Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Wo hast du die Kornblumen gepflückt? fragte Edele.

Ricks raffte sich auf und wandte sich nach ihr um. Sie standen zwischen
dem Roggen auf dem Pfarracker, antwortete er mit einer Stimme, über die er
sich selber wundern mußte, es war so viel Klang darin. Ohne aufzublicken,
reichte er ihr das Fläschchen.

Edele bemerkte seine Erregung und sah ihn staunend an. Plötzlich errötete
sie, stützte sich auf den einen Arm und zog die Beine unter den Rock. Geh,
geh, geh, geh! sagte sie halb ärgerlich, halb verlegen, und bei jedem Wort sprengte
sie etwas von der Rosenessenz auf Ricks.

Ricks ging.

Als er zur Thür hinaus war, ließ sie langsam die Beine von dem Ruhe¬
bett herabgleiten und betrachtete sie neugierig.

Mit hastigem, unsicherm Gang eilte Ricks durch die Stuben auf sein
Zimmer. Er war ganz verwirrt, er fühlte eine so wunderbare Mattigkeit in
seinen Knieen und hatte ein Gefühl im Halse, als müßte er ersticken. Dann
warf er sich ans das Sofa und schloß seine Augen, aber er konnte keine Ruhe
finden. Es war eine unbegreifliche Unruhe über ihn gekommen, das Atemholen
ward ihm so schwer, er empfand eine quälende Angst, das Licht schmerzte ihn
trotz der geschlossenen Augen.

Nach und nach wurde das anders, es war, als umfächelte ihn ein warmer,
drückender Atem, der ihn so hilflos machte, so matt. Er hatte ein Gefühl, wie
man es wohl im Traume hat, uns ruft etwas, wir wollen so gern kommen,
aber es ist uns nicht möglich, einen Fuß zu bewegen, unsre Ohnmacht treibt
uns das Blut siedend heiß durch die Adern, die Sehnsucht fortzukommen ver¬
zehrt uns, die rufende Stimme, die ja nicht weiß, daß wir gebunden sind, treibt
uns zum Wahnsinn. Und Ricks stöhnte wie ein Fieberkranker, er sah sich im
Zimmer um, noch niemals hatte er sich so unglücklich gefühlt, so einsam, so
verstoßen und verlassen.

Er setzte sich ans Fenster in den Sonnenschein und weinte bitterlich.

Von diesem Tage an fühlte sich Ricks ängstlich beglückt durch Edelens
Nähe. Sie war kein Mensch mehr, wie alle die andern, sondern ein wunder¬
bares höheres Wesen, göttlich geworden durch das Geheimnis einer seltsamen
Schönheit, und es war eine süße Wonne, sie anzuschauen, in seinem Herzen vor
ihr zu knieen, in selbstvernichtender Demut im Staube vor ihren Füßen zu
kriechen. Zuweilen aber steigerte sich sein Gefühl der Anbetung derart, daß
es sich in einem äußern Zeichen der Unterwerfung Luft machen mußte, und
dann erspähte er einen günstigen Augenblick, um sich auf Edelens Zimmer zu
schleichen und heiße Küsse in unendlicher Zahl auf den kleinen Teppich vor
ihrem Bett zu Pressen, auf ihre Schuhe oder auf sonst irgend welche Reliquie,
die sich seiner Leidenschaft darbot.

Als ein großes Glück betrachtete er den Umstand, daß seine Sonntagsjacke


Wo hast du die Kornblumen gepflückt? fragte Edele.

Ricks raffte sich auf und wandte sich nach ihr um. Sie standen zwischen
dem Roggen auf dem Pfarracker, antwortete er mit einer Stimme, über die er
sich selber wundern mußte, es war so viel Klang darin. Ohne aufzublicken,
reichte er ihr das Fläschchen.

Edele bemerkte seine Erregung und sah ihn staunend an. Plötzlich errötete
sie, stützte sich auf den einen Arm und zog die Beine unter den Rock. Geh,
geh, geh, geh! sagte sie halb ärgerlich, halb verlegen, und bei jedem Wort sprengte
sie etwas von der Rosenessenz auf Ricks.

Ricks ging.

Als er zur Thür hinaus war, ließ sie langsam die Beine von dem Ruhe¬
bett herabgleiten und betrachtete sie neugierig.

Mit hastigem, unsicherm Gang eilte Ricks durch die Stuben auf sein
Zimmer. Er war ganz verwirrt, er fühlte eine so wunderbare Mattigkeit in
seinen Knieen und hatte ein Gefühl im Halse, als müßte er ersticken. Dann
warf er sich ans das Sofa und schloß seine Augen, aber er konnte keine Ruhe
finden. Es war eine unbegreifliche Unruhe über ihn gekommen, das Atemholen
ward ihm so schwer, er empfand eine quälende Angst, das Licht schmerzte ihn
trotz der geschlossenen Augen.

Nach und nach wurde das anders, es war, als umfächelte ihn ein warmer,
drückender Atem, der ihn so hilflos machte, so matt. Er hatte ein Gefühl, wie
man es wohl im Traume hat, uns ruft etwas, wir wollen so gern kommen,
aber es ist uns nicht möglich, einen Fuß zu bewegen, unsre Ohnmacht treibt
uns das Blut siedend heiß durch die Adern, die Sehnsucht fortzukommen ver¬
zehrt uns, die rufende Stimme, die ja nicht weiß, daß wir gebunden sind, treibt
uns zum Wahnsinn. Und Ricks stöhnte wie ein Fieberkranker, er sah sich im
Zimmer um, noch niemals hatte er sich so unglücklich gefühlt, so einsam, so
verstoßen und verlassen.

Er setzte sich ans Fenster in den Sonnenschein und weinte bitterlich.

Von diesem Tage an fühlte sich Ricks ängstlich beglückt durch Edelens
Nähe. Sie war kein Mensch mehr, wie alle die andern, sondern ein wunder¬
bares höheres Wesen, göttlich geworden durch das Geheimnis einer seltsamen
Schönheit, und es war eine süße Wonne, sie anzuschauen, in seinem Herzen vor
ihr zu knieen, in selbstvernichtender Demut im Staube vor ihren Füßen zu
kriechen. Zuweilen aber steigerte sich sein Gefühl der Anbetung derart, daß
es sich in einem äußern Zeichen der Unterwerfung Luft machen mußte, und
dann erspähte er einen günstigen Augenblick, um sich auf Edelens Zimmer zu
schleichen und heiße Küsse in unendlicher Zahl auf den kleinen Teppich vor
ihrem Bett zu Pressen, auf ihre Schuhe oder auf sonst irgend welche Reliquie,
die sich seiner Leidenschaft darbot.

Als ein großes Glück betrachtete er den Umstand, daß seine Sonntagsjacke


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202972"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_639"> Wo hast du die Kornblumen gepflückt? fragte Edele.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_640"> Ricks raffte sich auf und wandte sich nach ihr um. Sie standen zwischen<lb/>
dem Roggen auf dem Pfarracker, antwortete er mit einer Stimme, über die er<lb/>
sich selber wundern mußte, es war so viel Klang darin. Ohne aufzublicken,<lb/>
reichte er ihr das Fläschchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_641"> Edele bemerkte seine Erregung und sah ihn staunend an. Plötzlich errötete<lb/>
sie, stützte sich auf den einen Arm und zog die Beine unter den Rock. Geh,<lb/>
geh, geh, geh! sagte sie halb ärgerlich, halb verlegen, und bei jedem Wort sprengte<lb/>
sie etwas von der Rosenessenz auf Ricks.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_642"> Ricks ging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_643"> Als er zur Thür hinaus war, ließ sie langsam die Beine von dem Ruhe¬<lb/>
bett herabgleiten und betrachtete sie neugierig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_644"> Mit hastigem, unsicherm Gang eilte Ricks durch die Stuben auf sein<lb/>
Zimmer. Er war ganz verwirrt, er fühlte eine so wunderbare Mattigkeit in<lb/>
seinen Knieen und hatte ein Gefühl im Halse, als müßte er ersticken. Dann<lb/>
warf er sich ans das Sofa und schloß seine Augen, aber er konnte keine Ruhe<lb/>
finden. Es war eine unbegreifliche Unruhe über ihn gekommen, das Atemholen<lb/>
ward ihm so schwer, er empfand eine quälende Angst, das Licht schmerzte ihn<lb/>
trotz der geschlossenen Augen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_645"> Nach und nach wurde das anders, es war, als umfächelte ihn ein warmer,<lb/>
drückender Atem, der ihn so hilflos machte, so matt. Er hatte ein Gefühl, wie<lb/>
man es wohl im Traume hat, uns ruft etwas, wir wollen so gern kommen,<lb/>
aber es ist uns nicht möglich, einen Fuß zu bewegen, unsre Ohnmacht treibt<lb/>
uns das Blut siedend heiß durch die Adern, die Sehnsucht fortzukommen ver¬<lb/>
zehrt uns, die rufende Stimme, die ja nicht weiß, daß wir gebunden sind, treibt<lb/>
uns zum Wahnsinn. Und Ricks stöhnte wie ein Fieberkranker, er sah sich im<lb/>
Zimmer um, noch niemals hatte er sich so unglücklich gefühlt, so einsam, so<lb/>
verstoßen und verlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_646"> Er setzte sich ans Fenster in den Sonnenschein und weinte bitterlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Von diesem Tage an fühlte sich Ricks ängstlich beglückt durch Edelens<lb/>
Nähe. Sie war kein Mensch mehr, wie alle die andern, sondern ein wunder¬<lb/>
bares höheres Wesen, göttlich geworden durch das Geheimnis einer seltsamen<lb/>
Schönheit, und es war eine süße Wonne, sie anzuschauen, in seinem Herzen vor<lb/>
ihr zu knieen, in selbstvernichtender Demut im Staube vor ihren Füßen zu<lb/>
kriechen. Zuweilen aber steigerte sich sein Gefühl der Anbetung derart, daß<lb/>
es sich in einem äußern Zeichen der Unterwerfung Luft machen mußte, und<lb/>
dann erspähte er einen günstigen Augenblick, um sich auf Edelens Zimmer zu<lb/>
schleichen und heiße Küsse in unendlicher Zahl auf den kleinen Teppich vor<lb/>
ihrem Bett zu Pressen, auf ihre Schuhe oder auf sonst irgend welche Reliquie,<lb/>
die sich seiner Leidenschaft darbot.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648" next="#ID_649"> Als ein großes Glück betrachtete er den Umstand, daß seine Sonntagsjacke</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0195] Wo hast du die Kornblumen gepflückt? fragte Edele. Ricks raffte sich auf und wandte sich nach ihr um. Sie standen zwischen dem Roggen auf dem Pfarracker, antwortete er mit einer Stimme, über die er sich selber wundern mußte, es war so viel Klang darin. Ohne aufzublicken, reichte er ihr das Fläschchen. Edele bemerkte seine Erregung und sah ihn staunend an. Plötzlich errötete sie, stützte sich auf den einen Arm und zog die Beine unter den Rock. Geh, geh, geh, geh! sagte sie halb ärgerlich, halb verlegen, und bei jedem Wort sprengte sie etwas von der Rosenessenz auf Ricks. Ricks ging. Als er zur Thür hinaus war, ließ sie langsam die Beine von dem Ruhe¬ bett herabgleiten und betrachtete sie neugierig. Mit hastigem, unsicherm Gang eilte Ricks durch die Stuben auf sein Zimmer. Er war ganz verwirrt, er fühlte eine so wunderbare Mattigkeit in seinen Knieen und hatte ein Gefühl im Halse, als müßte er ersticken. Dann warf er sich ans das Sofa und schloß seine Augen, aber er konnte keine Ruhe finden. Es war eine unbegreifliche Unruhe über ihn gekommen, das Atemholen ward ihm so schwer, er empfand eine quälende Angst, das Licht schmerzte ihn trotz der geschlossenen Augen. Nach und nach wurde das anders, es war, als umfächelte ihn ein warmer, drückender Atem, der ihn so hilflos machte, so matt. Er hatte ein Gefühl, wie man es wohl im Traume hat, uns ruft etwas, wir wollen so gern kommen, aber es ist uns nicht möglich, einen Fuß zu bewegen, unsre Ohnmacht treibt uns das Blut siedend heiß durch die Adern, die Sehnsucht fortzukommen ver¬ zehrt uns, die rufende Stimme, die ja nicht weiß, daß wir gebunden sind, treibt uns zum Wahnsinn. Und Ricks stöhnte wie ein Fieberkranker, er sah sich im Zimmer um, noch niemals hatte er sich so unglücklich gefühlt, so einsam, so verstoßen und verlassen. Er setzte sich ans Fenster in den Sonnenschein und weinte bitterlich. Von diesem Tage an fühlte sich Ricks ängstlich beglückt durch Edelens Nähe. Sie war kein Mensch mehr, wie alle die andern, sondern ein wunder¬ bares höheres Wesen, göttlich geworden durch das Geheimnis einer seltsamen Schönheit, und es war eine süße Wonne, sie anzuschauen, in seinem Herzen vor ihr zu knieen, in selbstvernichtender Demut im Staube vor ihren Füßen zu kriechen. Zuweilen aber steigerte sich sein Gefühl der Anbetung derart, daß es sich in einem äußern Zeichen der Unterwerfung Luft machen mußte, und dann erspähte er einen günstigen Augenblick, um sich auf Edelens Zimmer zu schleichen und heiße Küsse in unendlicher Zahl auf den kleinen Teppich vor ihrem Bett zu Pressen, auf ihre Schuhe oder auf sonst irgend welche Reliquie, die sich seiner Leidenschaft darbot. Als ein großes Glück betrachtete er den Umstand, daß seine Sonntagsjacke

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/195
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/195>, abgerufen am 01.09.2024.