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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.
Z. p. Jacob sen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

a geschah es an einem Sonntag, anfang August, daß Lyhne
und seine Frau in die Nachbarschaft gefahren und Ricks und
Fräulein Edele allein zu Hanse geblieben waren. Am Vormittag
hatte Edele Ricks gebeten, ihr einige Kornblumen zu pflücken,
er hatte es aber vergessen, und erst am Nachmittag, als er mit
Frithjof umhcrschlenderte, erinnerte er sich daran. Er pflückte die Blumen und
lief damit nach Hause.

Die Stille, die im ganzen Hause herrschte, erweckte in ihm die Vorstellung,
daß die Tante schlafe, und vorsichtig schlich er durch die Zimmer. Auf der
Schwelle zum Saal hielt er inne und bereitete sich darauf vor, ganz leise zu
Edelens Thür hinüberzugehen. Das Zimmer war voll Sonnenschein, und ein
großer, blühender Oleander machte die Luft beklommen mit seinem süßen Mandel¬
duft. Der einzige Laut, der hörbar war, kam vom Blumentische her, wo die
Goldfische in ihrem Glasgefäß plätscherten.

Ricks ging leise über den Fußboden. Dabei hielt er die Arme in der
Schwebe und die Zunge zwischen den Zähnen.

Behutsam faßte er den Thürgriff an, der, von der Sonne durchglüht, ihm
in der Hand brannte; langsam und vorsichtig, mit gerunzelter Stirn und zu¬
sammengekniffenen Augen, drehte er ihn herum.

Jetzt öffnete er die Thür ein wenig, beugte sich durch die Öffnung vor
und legte die Blumen auf einen Stuhl, der neben der Thür stand. Es war
dunkel im Zimmer, als wären die Vorhänge geschlossen, und die Luft war
gleichsam feucht von Duft, von Nosenölduft.


Grenzboten II. 1883. 24


Ricks Lyhne.
Z. p. Jacob sen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

a geschah es an einem Sonntag, anfang August, daß Lyhne
und seine Frau in die Nachbarschaft gefahren und Ricks und
Fräulein Edele allein zu Hanse geblieben waren. Am Vormittag
hatte Edele Ricks gebeten, ihr einige Kornblumen zu pflücken,
er hatte es aber vergessen, und erst am Nachmittag, als er mit
Frithjof umhcrschlenderte, erinnerte er sich daran. Er pflückte die Blumen und
lief damit nach Hause.

Die Stille, die im ganzen Hause herrschte, erweckte in ihm die Vorstellung,
daß die Tante schlafe, und vorsichtig schlich er durch die Zimmer. Auf der
Schwelle zum Saal hielt er inne und bereitete sich darauf vor, ganz leise zu
Edelens Thür hinüberzugehen. Das Zimmer war voll Sonnenschein, und ein
großer, blühender Oleander machte die Luft beklommen mit seinem süßen Mandel¬
duft. Der einzige Laut, der hörbar war, kam vom Blumentische her, wo die
Goldfische in ihrem Glasgefäß plätscherten.

Ricks ging leise über den Fußboden. Dabei hielt er die Arme in der
Schwebe und die Zunge zwischen den Zähnen.

Behutsam faßte er den Thürgriff an, der, von der Sonne durchglüht, ihm
in der Hand brannte; langsam und vorsichtig, mit gerunzelter Stirn und zu¬
sammengekniffenen Augen, drehte er ihn herum.

Jetzt öffnete er die Thür ein wenig, beugte sich durch die Öffnung vor
und legte die Blumen auf einen Stuhl, der neben der Thür stand. Es war
dunkel im Zimmer, als wären die Vorhänge geschlossen, und die Luft war
gleichsam feucht von Duft, von Nosenölduft.


Grenzboten II. 1883. 24
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[0193] [Abbildung] Ricks Lyhne. Z. p. Jacob sen. Roman von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) a geschah es an einem Sonntag, anfang August, daß Lyhne und seine Frau in die Nachbarschaft gefahren und Ricks und Fräulein Edele allein zu Hanse geblieben waren. Am Vormittag hatte Edele Ricks gebeten, ihr einige Kornblumen zu pflücken, er hatte es aber vergessen, und erst am Nachmittag, als er mit Frithjof umhcrschlenderte, erinnerte er sich daran. Er pflückte die Blumen und lief damit nach Hause. Die Stille, die im ganzen Hause herrschte, erweckte in ihm die Vorstellung, daß die Tante schlafe, und vorsichtig schlich er durch die Zimmer. Auf der Schwelle zum Saal hielt er inne und bereitete sich darauf vor, ganz leise zu Edelens Thür hinüberzugehen. Das Zimmer war voll Sonnenschein, und ein großer, blühender Oleander machte die Luft beklommen mit seinem süßen Mandel¬ duft. Der einzige Laut, der hörbar war, kam vom Blumentische her, wo die Goldfische in ihrem Glasgefäß plätscherten. Ricks ging leise über den Fußboden. Dabei hielt er die Arme in der Schwebe und die Zunge zwischen den Zähnen. Behutsam faßte er den Thürgriff an, der, von der Sonne durchglüht, ihm in der Hand brannte; langsam und vorsichtig, mit gerunzelter Stirn und zu¬ sammengekniffenen Augen, drehte er ihn herum. Jetzt öffnete er die Thür ein wenig, beugte sich durch die Öffnung vor und legte die Blumen auf einen Stuhl, der neben der Thür stand. Es war dunkel im Zimmer, als wären die Vorhänge geschlossen, und die Luft war gleichsam feucht von Duft, von Nosenölduft. Grenzboten II. 1883. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/193>, abgerufen am 01.09.2024.