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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Liebhaberphotographie.

wieder und erspart dabei dem Künstler viele kostbare Zeit. In den Natur¬
wissenschaften ist sie überall da, wo es sich um urkundlich genaues Festhalten
von Formen handelt, ganz allgemein angewandt, und sie bewährt sich in gleicher
Weise, ob sie nun Infusorien oder Gebirgsformationen abbilden soll.

Zu diesen, die man Fachphotographen nennen könnte, kommen nun die
eigentlichen Liebhaber, Leute des verschiedensten Vernses. der verschiedensten
Lebensstellung. Wir wollen diese Liebhaberei nicht als einen bloßen Zeitvertreib
oder eine Modesache ansehen, vielmehr darauf hinweisen, daß die Vorliebe für
die bildliche Gestaltung in der Eigenart der Gegenwart begründet liegt. Das
Bild beherrscht den Tag, es herrscht fast über das Wort. Es soll nicht ver¬
schwiegen werden, daß hierin eine Versuchung zur Oberflächlichkeit liegt. Sonst
las man dicke Bücher, jetzt kaum noch Artikel, man betrachtet lieber Bilder.
Anderseits verhilft das Bild zu einer bestimmten sachlichen Auffassung. Es ist
der Feind der Abstraktion, der Phrase. In der Zeit unsrer großen Dichter
beobachtete der Reisende seine eigne innere Welt; die Zergliederung dieser Welt
war die Reisebeschreibung, und die äußere Szenerie war etwas mehr oder weniger
Zufälliges. Goethe reist mehr als einmal durch die Alpen und hat für ihre
großartige Schönheit nur flüchtige Bemerkungen. Andern war das Land, das
sie bereisten, ein geographischer Begriff; der Ertrag der Reise war kaum mehr
als ein Stationenverzeichnis und ein Pack Hotelrechnungen. Sehen können ist
auch eine Kunst, die nicht jeder versteht; man lernt sie am besten mit dem
Stifte in der Hand, aber diese Methode kostet viel Zeit. Tourenläufer giebt
es ja heute in Menge; der reisende Engländer ist das Modell derselben.
Der geschmackvolle Reisende möchte wertvollere Reiseeindrücke mitbringen. Ja
es ist, wie wir eben sagten, eine Eigentümlichkeit der Gegenwart, das Gesehene
und Erlebte gern bildlich festzuhalten. Es interessirt nicht so sehr eine Gegend,
ein Baum, ein Haus, sondern diese Gegend, dieser Baum, dieses Haus. Man
denkt konkreter, man lebt konkreter als sonst. Es ist ein Zug des unsre Zeit
beherrschenden Realismus. Auch zu Hause macht es Vergnügen, die eigne
Heimat und ihre Schönheiten mit dem Apparat in der Hand neu zu entdecken.
Hierzu kommt, daß auch die Technik an sich einen eigentümlichen Reiz hat.
Man hört nicht auf zu ringen, zu streben, zu bessern, zu erfinden; die Sache
wird nie langweilig.

Wenn in den letzten zehn Jahren die Zahl der Liebhabcrphotographen
schnell zugenommen hat. so hat dies seinen Grund auch darin, daß das photo¬
graphische Verfahren in dieser Zeit so große Vereinfachung erfahren hat. Der
Verfasser dieser Zeilen darf sich zu den ältesten Liebhaberphotographen zählen,
er hat als Schüler schon im Anfange der sechziger Jahre seinen Apparat und
seiue Dunkelkammer gehabt und gedenkt heute noch mit Rührung der Nachsicht
seiner Mutter bei den ewigen Silberflecken an Manschetten und Taschentüchern.
Man arbeitete damals mit Silberbädern und mit nasser Platte. Die Auf-


Die Liebhaberphotographie.

wieder und erspart dabei dem Künstler viele kostbare Zeit. In den Natur¬
wissenschaften ist sie überall da, wo es sich um urkundlich genaues Festhalten
von Formen handelt, ganz allgemein angewandt, und sie bewährt sich in gleicher
Weise, ob sie nun Infusorien oder Gebirgsformationen abbilden soll.

Zu diesen, die man Fachphotographen nennen könnte, kommen nun die
eigentlichen Liebhaber, Leute des verschiedensten Vernses. der verschiedensten
Lebensstellung. Wir wollen diese Liebhaberei nicht als einen bloßen Zeitvertreib
oder eine Modesache ansehen, vielmehr darauf hinweisen, daß die Vorliebe für
die bildliche Gestaltung in der Eigenart der Gegenwart begründet liegt. Das
Bild beherrscht den Tag, es herrscht fast über das Wort. Es soll nicht ver¬
schwiegen werden, daß hierin eine Versuchung zur Oberflächlichkeit liegt. Sonst
las man dicke Bücher, jetzt kaum noch Artikel, man betrachtet lieber Bilder.
Anderseits verhilft das Bild zu einer bestimmten sachlichen Auffassung. Es ist
der Feind der Abstraktion, der Phrase. In der Zeit unsrer großen Dichter
beobachtete der Reisende seine eigne innere Welt; die Zergliederung dieser Welt
war die Reisebeschreibung, und die äußere Szenerie war etwas mehr oder weniger
Zufälliges. Goethe reist mehr als einmal durch die Alpen und hat für ihre
großartige Schönheit nur flüchtige Bemerkungen. Andern war das Land, das
sie bereisten, ein geographischer Begriff; der Ertrag der Reise war kaum mehr
als ein Stationenverzeichnis und ein Pack Hotelrechnungen. Sehen können ist
auch eine Kunst, die nicht jeder versteht; man lernt sie am besten mit dem
Stifte in der Hand, aber diese Methode kostet viel Zeit. Tourenläufer giebt
es ja heute in Menge; der reisende Engländer ist das Modell derselben.
Der geschmackvolle Reisende möchte wertvollere Reiseeindrücke mitbringen. Ja
es ist, wie wir eben sagten, eine Eigentümlichkeit der Gegenwart, das Gesehene
und Erlebte gern bildlich festzuhalten. Es interessirt nicht so sehr eine Gegend,
ein Baum, ein Haus, sondern diese Gegend, dieser Baum, dieses Haus. Man
denkt konkreter, man lebt konkreter als sonst. Es ist ein Zug des unsre Zeit
beherrschenden Realismus. Auch zu Hause macht es Vergnügen, die eigne
Heimat und ihre Schönheiten mit dem Apparat in der Hand neu zu entdecken.
Hierzu kommt, daß auch die Technik an sich einen eigentümlichen Reiz hat.
Man hört nicht auf zu ringen, zu streben, zu bessern, zu erfinden; die Sache
wird nie langweilig.

Wenn in den letzten zehn Jahren die Zahl der Liebhabcrphotographen
schnell zugenommen hat. so hat dies seinen Grund auch darin, daß das photo¬
graphische Verfahren in dieser Zeit so große Vereinfachung erfahren hat. Der
Verfasser dieser Zeilen darf sich zu den ältesten Liebhaberphotographen zählen,
er hat als Schüler schon im Anfange der sechziger Jahre seinen Apparat und
seiue Dunkelkammer gehabt und gedenkt heute noch mit Rührung der Nachsicht
seiner Mutter bei den ewigen Silberflecken an Manschetten und Taschentüchern.
Man arbeitete damals mit Silberbädern und mit nasser Platte. Die Auf-


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[0190] Die Liebhaberphotographie. wieder und erspart dabei dem Künstler viele kostbare Zeit. In den Natur¬ wissenschaften ist sie überall da, wo es sich um urkundlich genaues Festhalten von Formen handelt, ganz allgemein angewandt, und sie bewährt sich in gleicher Weise, ob sie nun Infusorien oder Gebirgsformationen abbilden soll. Zu diesen, die man Fachphotographen nennen könnte, kommen nun die eigentlichen Liebhaber, Leute des verschiedensten Vernses. der verschiedensten Lebensstellung. Wir wollen diese Liebhaberei nicht als einen bloßen Zeitvertreib oder eine Modesache ansehen, vielmehr darauf hinweisen, daß die Vorliebe für die bildliche Gestaltung in der Eigenart der Gegenwart begründet liegt. Das Bild beherrscht den Tag, es herrscht fast über das Wort. Es soll nicht ver¬ schwiegen werden, daß hierin eine Versuchung zur Oberflächlichkeit liegt. Sonst las man dicke Bücher, jetzt kaum noch Artikel, man betrachtet lieber Bilder. Anderseits verhilft das Bild zu einer bestimmten sachlichen Auffassung. Es ist der Feind der Abstraktion, der Phrase. In der Zeit unsrer großen Dichter beobachtete der Reisende seine eigne innere Welt; die Zergliederung dieser Welt war die Reisebeschreibung, und die äußere Szenerie war etwas mehr oder weniger Zufälliges. Goethe reist mehr als einmal durch die Alpen und hat für ihre großartige Schönheit nur flüchtige Bemerkungen. Andern war das Land, das sie bereisten, ein geographischer Begriff; der Ertrag der Reise war kaum mehr als ein Stationenverzeichnis und ein Pack Hotelrechnungen. Sehen können ist auch eine Kunst, die nicht jeder versteht; man lernt sie am besten mit dem Stifte in der Hand, aber diese Methode kostet viel Zeit. Tourenläufer giebt es ja heute in Menge; der reisende Engländer ist das Modell derselben. Der geschmackvolle Reisende möchte wertvollere Reiseeindrücke mitbringen. Ja es ist, wie wir eben sagten, eine Eigentümlichkeit der Gegenwart, das Gesehene und Erlebte gern bildlich festzuhalten. Es interessirt nicht so sehr eine Gegend, ein Baum, ein Haus, sondern diese Gegend, dieser Baum, dieses Haus. Man denkt konkreter, man lebt konkreter als sonst. Es ist ein Zug des unsre Zeit beherrschenden Realismus. Auch zu Hause macht es Vergnügen, die eigne Heimat und ihre Schönheiten mit dem Apparat in der Hand neu zu entdecken. Hierzu kommt, daß auch die Technik an sich einen eigentümlichen Reiz hat. Man hört nicht auf zu ringen, zu streben, zu bessern, zu erfinden; die Sache wird nie langweilig. Wenn in den letzten zehn Jahren die Zahl der Liebhabcrphotographen schnell zugenommen hat. so hat dies seinen Grund auch darin, daß das photo¬ graphische Verfahren in dieser Zeit so große Vereinfachung erfahren hat. Der Verfasser dieser Zeilen darf sich zu den ältesten Liebhaberphotographen zählen, er hat als Schüler schon im Anfange der sechziger Jahre seinen Apparat und seiue Dunkelkammer gehabt und gedenkt heute noch mit Rührung der Nachsicht seiner Mutter bei den ewigen Silberflecken an Manschetten und Taschentüchern. Man arbeitete damals mit Silberbädern und mit nasser Platte. Die Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/190>, abgerufen am 01.09.2024.