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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Liebhaberphotographie.

Vormittag über so gestanden hättest und es dir angenehm wäre und du wünschtest,
der Tag möchte kein Ende nehmen. Es giebt nur ein Mittel gegen den Lieb¬
haberphotographen. Schicke ihm einen Backstein durch seine Camera, so oft du
meinst, unversehens von ihm aufgenommen worden zu sein. Und wenn du im
Zweifel bist, so laß die Entscheidung dem Backsteine zu Gute kommen, nicht
der Camera. Die Rechte auf Privateigentum, persönliche Freiheit und öffent¬
liche Sicherheit -- alles durch Geburt ererbte Rechte der Bürger Amerikas --
sind entschieden unvereinbar mit der erlaubten Ausübung des Momentverfahrens.
Wenn das Momentverfahren nicht gänzlich unterdrückt werden kann, so erfordert
das öffentliche Wohl zum mindesten, daß diejenigen, welche das Verfahren aus¬
üben wollen, Erlaubnisscheine erwerben und mit Nummer versehene Hüte und
Kuhglocken tragen." Das ist aber wohl nicht alles ernst gemeint; jedenfalls
sind wir noch weit von solchen Übergriffen entfernt. Darum mag es gestattet
sein, für die Liebhaberphotographie hier ein gutes Wort einzulegen.

Der Licbhaberphotograph braucht gegen den Berufsphotographen nicht zu¬
rückzustehen. Im Gegenteil, er ist dem Berufsphotographen gegenüber, der ums
tägliche Brot arbeiten muß, im Vorteil; er Hai eine freiere Bewegung und einen
weitern Blick. Auch hat die Liebhaberphotographie an den Fortschritten der Pho¬
tographie wichtigen Anteil. Ein Liebhaber, ein Arzt war es, dem man die Erfindung
des jetzt allgemein eingeführten Trockeuplattenverfahrens verdankt, und Liebhaber
sind es, welche die Augenblicks- und Neiscphotographie Pflegen, die künstlerische
Seite der Sache ausbilden und sich in Bezug auf die Technik Verdienste er¬
worben haben. Die bildende Kunst fordert den ganzen Menschen, das ganze
Leben, wer aus Liebhaberei malt, wird schwerlich die Stufe der Vollendung
erreichen; die Photographie ist eine Kunstfertigkeit, die erlernbar ist, die auch
der Liebhaber bis zur Vollkommenheit ihrer Art ausbilden kann. Aber freilich --
das Beste, das künstlerische Ange, Geschmack, Auffassung, lassen sich weder lehren
noch lernen, sie müssen auch hier durch die natürliche Anlage gegeben sein.

Es giebt eine Anzahl von Photographen (auch der Verfasser dieser Zeilen
gehört zu ihnen), welche die Photographie nicht gerade aus Liebhaberei, auch
nicht von Berufs wegen, sondern als Hilfsmittel ihrer Studien betreiben. Und
es giebt viele Fächer, in denen sie mit großem Vorteile zur Anwendung gebracht
werden kann. Der Archäolog, der Urkundeuforscher, der Geograph, der Bau¬
meister, der Techniker, diese alle haben es mit Schriften oder Zeichnungen zu
thun, welche sie entweder vervielfältigen oder in treuer Wiedergabe festhalten
möchten. Auch der Künstler braucht nicht zu fürchten, von seiner künstlerischen
Höhe herabzusteigen, wenn er die Handlangerdienste der Photographie annimmt.
Die Photographie ist zwar im Großen klein -- Fernsichten und viel umfassende
Bilder gelingen ihr schlecht --, aber im Kleinen ist sie groß. Eine Klette, einen
Winkel voll Unkraut, ein Geschiebe von Steinen, eine eigentümliche Tracht, eine
zufällige Gruppirung, eine Lichtwirkung, eine Aktstudie giebt sie meisterhaft


Die Liebhaberphotographie.

Vormittag über so gestanden hättest und es dir angenehm wäre und du wünschtest,
der Tag möchte kein Ende nehmen. Es giebt nur ein Mittel gegen den Lieb¬
haberphotographen. Schicke ihm einen Backstein durch seine Camera, so oft du
meinst, unversehens von ihm aufgenommen worden zu sein. Und wenn du im
Zweifel bist, so laß die Entscheidung dem Backsteine zu Gute kommen, nicht
der Camera. Die Rechte auf Privateigentum, persönliche Freiheit und öffent¬
liche Sicherheit — alles durch Geburt ererbte Rechte der Bürger Amerikas —
sind entschieden unvereinbar mit der erlaubten Ausübung des Momentverfahrens.
Wenn das Momentverfahren nicht gänzlich unterdrückt werden kann, so erfordert
das öffentliche Wohl zum mindesten, daß diejenigen, welche das Verfahren aus¬
üben wollen, Erlaubnisscheine erwerben und mit Nummer versehene Hüte und
Kuhglocken tragen." Das ist aber wohl nicht alles ernst gemeint; jedenfalls
sind wir noch weit von solchen Übergriffen entfernt. Darum mag es gestattet
sein, für die Liebhaberphotographie hier ein gutes Wort einzulegen.

Der Licbhaberphotograph braucht gegen den Berufsphotographen nicht zu¬
rückzustehen. Im Gegenteil, er ist dem Berufsphotographen gegenüber, der ums
tägliche Brot arbeiten muß, im Vorteil; er Hai eine freiere Bewegung und einen
weitern Blick. Auch hat die Liebhaberphotographie an den Fortschritten der Pho¬
tographie wichtigen Anteil. Ein Liebhaber, ein Arzt war es, dem man die Erfindung
des jetzt allgemein eingeführten Trockeuplattenverfahrens verdankt, und Liebhaber
sind es, welche die Augenblicks- und Neiscphotographie Pflegen, die künstlerische
Seite der Sache ausbilden und sich in Bezug auf die Technik Verdienste er¬
worben haben. Die bildende Kunst fordert den ganzen Menschen, das ganze
Leben, wer aus Liebhaberei malt, wird schwerlich die Stufe der Vollendung
erreichen; die Photographie ist eine Kunstfertigkeit, die erlernbar ist, die auch
der Liebhaber bis zur Vollkommenheit ihrer Art ausbilden kann. Aber freilich —
das Beste, das künstlerische Ange, Geschmack, Auffassung, lassen sich weder lehren
noch lernen, sie müssen auch hier durch die natürliche Anlage gegeben sein.

Es giebt eine Anzahl von Photographen (auch der Verfasser dieser Zeilen
gehört zu ihnen), welche die Photographie nicht gerade aus Liebhaberei, auch
nicht von Berufs wegen, sondern als Hilfsmittel ihrer Studien betreiben. Und
es giebt viele Fächer, in denen sie mit großem Vorteile zur Anwendung gebracht
werden kann. Der Archäolog, der Urkundeuforscher, der Geograph, der Bau¬
meister, der Techniker, diese alle haben es mit Schriften oder Zeichnungen zu
thun, welche sie entweder vervielfältigen oder in treuer Wiedergabe festhalten
möchten. Auch der Künstler braucht nicht zu fürchten, von seiner künstlerischen
Höhe herabzusteigen, wenn er die Handlangerdienste der Photographie annimmt.
Die Photographie ist zwar im Großen klein — Fernsichten und viel umfassende
Bilder gelingen ihr schlecht —, aber im Kleinen ist sie groß. Eine Klette, einen
Winkel voll Unkraut, ein Geschiebe von Steinen, eine eigentümliche Tracht, eine
zufällige Gruppirung, eine Lichtwirkung, eine Aktstudie giebt sie meisterhaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/189>, abgerufen am 01.09.2024.