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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Wir als das erste Zeichen seiner Besserung, daß er diesmal ein Vomitiv nicht
gescheut und alles herausgebracht hat, was ihm auf dem Herzen lag.

Ach, es war so viel, so viel! Denn eigentlich sind alle jene Angriffe, die
der ältern Litteratur gelten, politisch gemeint. Jene Barbarenhorden, die nach
der Verwüstung Europas allmählich das Christentum annahmen und nun schreck¬
liche Gedichte verbracheu, sie sind ganz die Vorfahren der Preußen von heute,
die sich nicht scheuten, das heilige Frankreich zu verheeren und eine Poesie mit
sich zu bringen, die .. . Ich gebrauche eine seiner vielbeliebten Aposiopesen,
eins der vielen Anzeichen seines geistigen Zustandes.

Anno 70! Anno 70! Es ist die fixe Idee unsers Autors geworden. Um sie
kreisen alle seine Gedanken. Die Erziehung, die Fichte angebahnt hat, sie hat 1870
ihre Früchte getragen. Die Freiheitsgedanken der Dichter, die aus der Napo¬
leonischen Bedrängnis heraus ein freies Vaterland, ein einiges, sich entwarfen,
die rauhe Wirklichkeit des Jahres 1870 hat sie längst überholt. Die Weis¬
sagungen des rohen Geibel, sie sind 1870 eingetroffen. Was ist die Folge?
Knechtschaft und Barbarentum. Unter diesen, Regiment in Sporen und Stiefeln
finden Künste und Wissenschaften keine Stätte; in der Hand von Feldwebeln
ruht die Poesie; der Säbel kommandirt; das wahre poetische Verständnis ist
dahin; die Gesittung schwindet . . . ach! lieber Himmel, hilf! unser Kranker
phantasirt wieder allzuheftig. Und daß er nach kurzen Zwischenräumen der Besin¬
nung imnier auf die alten bösen Gedanken zurückkommt! Es ist gar zu traurig.

Aber es ist Methode in diesem Wahnsinn. Und gleichviel, ob unser Freund
wiedergcnese oder nicht, die traurige Wissenschaft, welche sich deutsche Medizin
nennt, hat die philisterhafte Angewohnheit, alle Krankheitserscheinungen getreulich
zu verzeichnen.

Wie das deutsche Gemüt es ihm angethan hat! Und die deutsche Religion
des Gefühls und des Herzens! Es ist wahr, die Sinne unsers Freundes wittern
trotz all ihrer Dumpfheit nicht schlecht; er hat die Stärken des Deutschtums
erkannt und bewirft sie Zug für Zug mit Kot. Aber nein! er gebraucht auch
ein gelinderes Mittel, er macht sie lächerlich. Armer Mann! Man höre:

Eichendorsfs "Wer hat dich, du schöner Wald" stimmen die Studenten in
Hohlwegen und Tunnels an; die jungen, deren Stimme wechselt (Studenten!),
singen es durch die Nase; der älteste der Bande, das "Mvoshaupt" (Moos-
hanpt ist gut!), giebt sich Mühe, das tiefe ? zu brummen. Zwei Truppen
antworten sich mit dem Bellen zorniger Hunde von Hügel zu Hügel. Dies
Lied befriedigt zugleich den Geist und das Herz, ruft keine politische Zänkerei
hervor, vereinigt vielmehr alle Bekenntnisse und alle Meinungen. Wenn man
es singt, scheint man der Negierung nicht trotzen zu wollen. Die Gendarmen,
die es hören, singen im Chöre mit. Der Kneipwirt, der es zum hundert¬
tausendsten male erträgt, schlägt unwillkürlich den Takt und berechnet nach der
Stärke des Gesanges den Durst der Singenden.


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Wir als das erste Zeichen seiner Besserung, daß er diesmal ein Vomitiv nicht
gescheut und alles herausgebracht hat, was ihm auf dem Herzen lag.

Ach, es war so viel, so viel! Denn eigentlich sind alle jene Angriffe, die
der ältern Litteratur gelten, politisch gemeint. Jene Barbarenhorden, die nach
der Verwüstung Europas allmählich das Christentum annahmen und nun schreck¬
liche Gedichte verbracheu, sie sind ganz die Vorfahren der Preußen von heute,
die sich nicht scheuten, das heilige Frankreich zu verheeren und eine Poesie mit
sich zu bringen, die .. . Ich gebrauche eine seiner vielbeliebten Aposiopesen,
eins der vielen Anzeichen seines geistigen Zustandes.

Anno 70! Anno 70! Es ist die fixe Idee unsers Autors geworden. Um sie
kreisen alle seine Gedanken. Die Erziehung, die Fichte angebahnt hat, sie hat 1870
ihre Früchte getragen. Die Freiheitsgedanken der Dichter, die aus der Napo¬
leonischen Bedrängnis heraus ein freies Vaterland, ein einiges, sich entwarfen,
die rauhe Wirklichkeit des Jahres 1870 hat sie längst überholt. Die Weis¬
sagungen des rohen Geibel, sie sind 1870 eingetroffen. Was ist die Folge?
Knechtschaft und Barbarentum. Unter diesen, Regiment in Sporen und Stiefeln
finden Künste und Wissenschaften keine Stätte; in der Hand von Feldwebeln
ruht die Poesie; der Säbel kommandirt; das wahre poetische Verständnis ist
dahin; die Gesittung schwindet . . . ach! lieber Himmel, hilf! unser Kranker
phantasirt wieder allzuheftig. Und daß er nach kurzen Zwischenräumen der Besin¬
nung imnier auf die alten bösen Gedanken zurückkommt! Es ist gar zu traurig.

Aber es ist Methode in diesem Wahnsinn. Und gleichviel, ob unser Freund
wiedergcnese oder nicht, die traurige Wissenschaft, welche sich deutsche Medizin
nennt, hat die philisterhafte Angewohnheit, alle Krankheitserscheinungen getreulich
zu verzeichnen.

Wie das deutsche Gemüt es ihm angethan hat! Und die deutsche Religion
des Gefühls und des Herzens! Es ist wahr, die Sinne unsers Freundes wittern
trotz all ihrer Dumpfheit nicht schlecht; er hat die Stärken des Deutschtums
erkannt und bewirft sie Zug für Zug mit Kot. Aber nein! er gebraucht auch
ein gelinderes Mittel, er macht sie lächerlich. Armer Mann! Man höre:

Eichendorsfs „Wer hat dich, du schöner Wald" stimmen die Studenten in
Hohlwegen und Tunnels an; die jungen, deren Stimme wechselt (Studenten!),
singen es durch die Nase; der älteste der Bande, das „Mvoshaupt" (Moos-
hanpt ist gut!), giebt sich Mühe, das tiefe ? zu brummen. Zwei Truppen
antworten sich mit dem Bellen zorniger Hunde von Hügel zu Hügel. Dies
Lied befriedigt zugleich den Geist und das Herz, ruft keine politische Zänkerei
hervor, vereinigt vielmehr alle Bekenntnisse und alle Meinungen. Wenn man
es singt, scheint man der Negierung nicht trotzen zu wollen. Die Gendarmen,
die es hören, singen im Chöre mit. Der Kneipwirt, der es zum hundert¬
tausendsten male erträgt, schlägt unwillkürlich den Takt und berechnet nach der
Stärke des Gesanges den Durst der Singenden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/181>, abgerufen am 01.09.2024.