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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhnc,

Aber es gab auch Zeiten, in denen die Größe seiner Einsamkeit schwer
und erdrückend auf ihm lag. Ach wie oft, wenn er Stunde auf Stunde in
heiligem Schweigen auf die Stimme in seinem Innern gelauscht hatte, dann
Auge und Ohr wieder dem Leben öffnete, das ihn umgab, und sich nun so
fremd fühlte in dem Elend und der Vergänglichkeit des irdischen Daseins -- wie
oft war ihm da nicht zu Mute wie jenem Mönch, der im Klosterwalde gelauscht
hatte, während der Paradiesvogel einen einzigen Triller sang, und der, als er
zurückkehrte, hundert Jahre entschwunden fand! Denn fühlte sich schon der Mönch
einsam zwischen dem unbekannten Geschlecht, wie ungleich einsamer mußte nicht
er sich fühlen, dessen wahre Zeitgenossen noch nicht einmal geboren waren!
In solchen Augenblicken der Verlassenheit konnte sich Bigum über dein feigen
Wunsche ertappen, hinabsinken zu können zu dem Schwarm der gewöhnlichen
Sterblichen und ihr niederes Glück zu teilen, ein Bürger zu werden auf ihrer
großen Erde, ein Bürger in ihrem kleinen Himmel. Aber bald war er wieder
er selber.

Der andre Gast des Hauses, Fräulein Edeln Lyhne, Lyhnes sechsund-
zwanzigjcihrige Schwester, hatte viele Jahre hindurch in Kopenhagen gelebt,
zuerst bei der Mutter, die, nachdem sie Witwe geworden, in die Hauptstadt
gezogen war, und seit dem Tode der Mutter bei ihrem reichen Onkel, dem
Etatsrat Neergaard. Der Etatsrat machte ein großes Hans und nahm regen
Anteil am geselligen Leben, sodaß Edcle in einen wahren Wirbel von Bällen
n"d Festen hineingeriet.

Überall wurde sie bewundert, und die Mißgunst, der getreue Schatten der
Bewunderung, verfolgte auch sie. Sie war eine so viel besprochene Persönlichkeit,
als es guten Rufes unbeschadet irgend möglich ist, und wenn die Herren unter
einander über die drei Schönheiten der Stadt sprachen, erhoben sich stets viele
Stimmen, die den einen der drei Namen ausstreichen und den von Edele Lyhne
an die Stelle setzen wollten; man konnte nur nicht einig werden, welche von
den beiden Schönheiten das Feld zu räumen hätte, von der dritten konnte
natürlich gar keine Rede sein.

Ganz junge Leute freilich bewunderten sie nicht. Solchen war es ein
wenig bange vor ihr; sie fühlten sich in ihrer Nähe doppelt so dumm, als
sie waren, denn Edele hörte sie mit einem Ausdruck gelinde vernichtender
Geduld an, mit einem Blick boshaft bemerklich gemachter Geduld, der deutlich
erzählte, daß sie auswendig wisse, was man ihr zuni Besten gab. Für alles,
was diese Herrchen sagten, für alle ihre Anstrengungen, sich in ihren eignen
wie in Edelens Augen zu heben, indem sie blnsirt erscheinen wollten, indem
sie wilde Paradoxen aufstellten oder indem sie, wenn die Verzweiflung den
Höhepunkt erreicht hatte, unverschämte Erklärungen machten -- für alle diese
Versuche, die einander in jugendlich unmvtivirtcm Übergange drängten und
überstürzten, hatte sie nur ein schwaches Lächeln, ein fatales Lächeln des


Ricks Lyhnc,

Aber es gab auch Zeiten, in denen die Größe seiner Einsamkeit schwer
und erdrückend auf ihm lag. Ach wie oft, wenn er Stunde auf Stunde in
heiligem Schweigen auf die Stimme in seinem Innern gelauscht hatte, dann
Auge und Ohr wieder dem Leben öffnete, das ihn umgab, und sich nun so
fremd fühlte in dem Elend und der Vergänglichkeit des irdischen Daseins — wie
oft war ihm da nicht zu Mute wie jenem Mönch, der im Klosterwalde gelauscht
hatte, während der Paradiesvogel einen einzigen Triller sang, und der, als er
zurückkehrte, hundert Jahre entschwunden fand! Denn fühlte sich schon der Mönch
einsam zwischen dem unbekannten Geschlecht, wie ungleich einsamer mußte nicht
er sich fühlen, dessen wahre Zeitgenossen noch nicht einmal geboren waren!
In solchen Augenblicken der Verlassenheit konnte sich Bigum über dein feigen
Wunsche ertappen, hinabsinken zu können zu dem Schwarm der gewöhnlichen
Sterblichen und ihr niederes Glück zu teilen, ein Bürger zu werden auf ihrer
großen Erde, ein Bürger in ihrem kleinen Himmel. Aber bald war er wieder
er selber.

Der andre Gast des Hauses, Fräulein Edeln Lyhne, Lyhnes sechsund-
zwanzigjcihrige Schwester, hatte viele Jahre hindurch in Kopenhagen gelebt,
zuerst bei der Mutter, die, nachdem sie Witwe geworden, in die Hauptstadt
gezogen war, und seit dem Tode der Mutter bei ihrem reichen Onkel, dem
Etatsrat Neergaard. Der Etatsrat machte ein großes Hans und nahm regen
Anteil am geselligen Leben, sodaß Edcle in einen wahren Wirbel von Bällen
n»d Festen hineingeriet.

Überall wurde sie bewundert, und die Mißgunst, der getreue Schatten der
Bewunderung, verfolgte auch sie. Sie war eine so viel besprochene Persönlichkeit,
als es guten Rufes unbeschadet irgend möglich ist, und wenn die Herren unter
einander über die drei Schönheiten der Stadt sprachen, erhoben sich stets viele
Stimmen, die den einen der drei Namen ausstreichen und den von Edele Lyhne
an die Stelle setzen wollten; man konnte nur nicht einig werden, welche von
den beiden Schönheiten das Feld zu räumen hätte, von der dritten konnte
natürlich gar keine Rede sein.

Ganz junge Leute freilich bewunderten sie nicht. Solchen war es ein
wenig bange vor ihr; sie fühlten sich in ihrer Nähe doppelt so dumm, als
sie waren, denn Edele hörte sie mit einem Ausdruck gelinde vernichtender
Geduld an, mit einem Blick boshaft bemerklich gemachter Geduld, der deutlich
erzählte, daß sie auswendig wisse, was man ihr zuni Besten gab. Für alles,
was diese Herrchen sagten, für alle ihre Anstrengungen, sich in ihren eignen
wie in Edelens Augen zu heben, indem sie blnsirt erscheinen wollten, indem
sie wilde Paradoxen aufstellten oder indem sie, wenn die Verzweiflung den
Höhepunkt erreicht hatte, unverschämte Erklärungen machten — für alle diese
Versuche, die einander in jugendlich unmvtivirtcm Übergange drängten und
überstürzten, hatte sie nur ein schwaches Lächeln, ein fatales Lächeln des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/157>, abgerufen am 01.09.2024.