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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.
I. P. Jacobsen. Roman von
Ans dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.)

s gab niemand, der von dem, was in Herrn Bigum wohnte, eine
Ahnung gehabt hätte. Alle gingen sie blind an ihm vorüber, er
aber freute sich über diese Blindheit, in Verachtung der Mensch¬
heit. Es werde der Tag kommen, meinte er, da sein Auge er¬
löschen, da die Pfeiler zu dem herrlichen Gebäude seines Geistes
schwanken, zusammenbrechen, da er selber vergehen würde, als sei er niemals ge¬
wesen, ohne ein Werk von seiner Hand zu hinterlassen, nicht ein geschriebenes
Welchen, das von dem, was an ihm verloren war, Kunde geben könnte. Er
jubelte bei dem Gedanken, daß Geschlecht auf Geschlecht kommen und gehen
würde, daß die Größten dieser Geschlechter ihr Leben einsetzen würden, uni das
zu gewinnen, was er hätte geben können, wenn er nur seine Hand hätte öffnen
wollen.

In einer so untergeordneten Stellung zu leben, bereitete ihm einen eigen¬
artigen Genuß, denn welche Verschwendung lag darin, daß sein Geist dazu ver¬
wendet werden sollte, Kinder zu unterrichten! War es nicht ein wahnsinniges
Mißverhältnis, eine riesige Ungereimtheit, daß man seine (des genialen
Bigums) Zeit mit dem armseligen täglichen Brot bezahlte, daß er dies Brot
auf Empfehlung gewöhnlicher Menschen verdienen durfte, die sich für seine
Tüchtigkeit verbürgten, den jämmerlichen Platz eines Hauslehrers auszufüllen?

Und man hatte ihn durchfallen lassen, als er sein Staatsexamen machte!
Daß der brutale Unverstand der Welt ihn beiseite warf wie elende Spreu,
während man das Leere, Inhaltslose für goldnes Korn achtete, welchen Genuß
mußte ihm das bereiten, ihm, der sich sagen durfte, seine geringsten Gedanken
seien eine ganze Welt wert!




Ricks Lyhne.
I. P. Jacobsen. Roman von
Ans dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.)

s gab niemand, der von dem, was in Herrn Bigum wohnte, eine
Ahnung gehabt hätte. Alle gingen sie blind an ihm vorüber, er
aber freute sich über diese Blindheit, in Verachtung der Mensch¬
heit. Es werde der Tag kommen, meinte er, da sein Auge er¬
löschen, da die Pfeiler zu dem herrlichen Gebäude seines Geistes
schwanken, zusammenbrechen, da er selber vergehen würde, als sei er niemals ge¬
wesen, ohne ein Werk von seiner Hand zu hinterlassen, nicht ein geschriebenes
Welchen, das von dem, was an ihm verloren war, Kunde geben könnte. Er
jubelte bei dem Gedanken, daß Geschlecht auf Geschlecht kommen und gehen
würde, daß die Größten dieser Geschlechter ihr Leben einsetzen würden, uni das
zu gewinnen, was er hätte geben können, wenn er nur seine Hand hätte öffnen
wollen.

In einer so untergeordneten Stellung zu leben, bereitete ihm einen eigen¬
artigen Genuß, denn welche Verschwendung lag darin, daß sein Geist dazu ver¬
wendet werden sollte, Kinder zu unterrichten! War es nicht ein wahnsinniges
Mißverhältnis, eine riesige Ungereimtheit, daß man seine (des genialen
Bigums) Zeit mit dem armseligen täglichen Brot bezahlte, daß er dies Brot
auf Empfehlung gewöhnlicher Menschen verdienen durfte, die sich für seine
Tüchtigkeit verbürgten, den jämmerlichen Platz eines Hauslehrers auszufüllen?

Und man hatte ihn durchfallen lassen, als er sein Staatsexamen machte!
Daß der brutale Unverstand der Welt ihn beiseite warf wie elende Spreu,
während man das Leere, Inhaltslose für goldnes Korn achtete, welchen Genuß
mußte ihm das bereiten, ihm, der sich sagen durfte, seine geringsten Gedanken
seien eine ganze Welt wert!


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[0156] [Abbildung] Ricks Lyhne. I. P. Jacobsen. Roman von Ans dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) s gab niemand, der von dem, was in Herrn Bigum wohnte, eine Ahnung gehabt hätte. Alle gingen sie blind an ihm vorüber, er aber freute sich über diese Blindheit, in Verachtung der Mensch¬ heit. Es werde der Tag kommen, meinte er, da sein Auge er¬ löschen, da die Pfeiler zu dem herrlichen Gebäude seines Geistes schwanken, zusammenbrechen, da er selber vergehen würde, als sei er niemals ge¬ wesen, ohne ein Werk von seiner Hand zu hinterlassen, nicht ein geschriebenes Welchen, das von dem, was an ihm verloren war, Kunde geben könnte. Er jubelte bei dem Gedanken, daß Geschlecht auf Geschlecht kommen und gehen würde, daß die Größten dieser Geschlechter ihr Leben einsetzen würden, uni das zu gewinnen, was er hätte geben können, wenn er nur seine Hand hätte öffnen wollen. In einer so untergeordneten Stellung zu leben, bereitete ihm einen eigen¬ artigen Genuß, denn welche Verschwendung lag darin, daß sein Geist dazu ver¬ wendet werden sollte, Kinder zu unterrichten! War es nicht ein wahnsinniges Mißverhältnis, eine riesige Ungereimtheit, daß man seine (des genialen Bigums) Zeit mit dem armseligen täglichen Brot bezahlte, daß er dies Brot auf Empfehlung gewöhnlicher Menschen verdienen durfte, die sich für seine Tüchtigkeit verbürgten, den jämmerlichen Platz eines Hauslehrers auszufüllen? Und man hatte ihn durchfallen lassen, als er sein Staatsexamen machte! Daß der brutale Unverstand der Welt ihn beiseite warf wie elende Spreu, während man das Leere, Inhaltslose für goldnes Korn achtete, welchen Genuß mußte ihm das bereiten, ihm, der sich sagen durfte, seine geringsten Gedanken seien eine ganze Welt wert!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/156>, abgerufen am 01.09.2024.