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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Vanzlerkrisis und die Freisinnigen.

des Reiches und Preußens diese Heirat widerraten zu müssen und erklärt,
falls sein Rat nicht durchdringe, die Verantwortlichkeit für die Leitung der po¬
litischen Angelegenheiten nicht weiter tragen zu können.

Man sollte meinen, daß ein Minister gar nicht konstitutioneller handeln
könne, und die Fortschrittspartei, welche den Konstitutionalismus in Pacht ge¬
nommen hat, geradezu befriedigt sein müsse, daß Fürst Bismarck so korrekt handelt.

Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Die eingangs erwähnten Zei¬
tungen scheuen sich nicht, das Vorgehen des Reichskanzlers als eine Vergewal¬
tigung des kaiserlichen Willens zu bezeichnen, als einen Ausfluß des Hans-
mciertums, nach welchem die Herrschsucht des Kanzlers den Monarchen gänzlich
in den Schatten stellt. In dem Tone der Gardinenpredigt einer keifenden Fran
stellt die Freisinnige Zeitung alle Gründe zusammen, welche das Versälle" des
Fürsten Bismarck als ein anmaßendes und chrfurchtverletzcndcs erscheinen lassen
sollen. Im wesentlichen heißt es, daß die Heirat einer Fürstentochter ein reiner
Privatakt sei, daß in unsrer Zeit fürstliche Ehen keinen Einfluß auf die Geschicke
der Staaten übten, und daß diese nach den Bedürfnissen der Völker und nicht
nach den Interessen der Dynastien geleitet würden. Man verhöhnt den Kanzler,
daß sein Widerspruch ein "Wettkricchen" vor dem Zaren sei, und spöttelt über
das in schwerer und ernster Stunde ausgesprochene Wort, daß wir Deutschen
außer Gott niemand fürchteten.

Wäre die Absicht der Freisinnigen Zeitung nicht so verflucht gescheit, man
wäre versucht, ihre Gründe herzlich dumm zu nennen.

Es ist schon an andrer Stelle auf das Vermächtnis Kaiser Wilhelms
hingewiesen worden, der noch auf seinem Sterbebette gebeten hat, die Empfind¬
lichkeit des Kaisers von Rußland zu schonen. Man mag den Unwillen des
letzter" gegen den ehemaligen Bulgarenfürsten für begründet oder unbegründet
halten, er ist eine vorhandene Thatsache von großer Bedeutung, und in der
Politik hat man mit Thatsachen zu rechnen. Kaiser Alexander haßt den Vatten-
bergcr, er fühlt sich von ihm persönlich gekränkt, und es ist bekannt, daß er
ihn eigenhändig ans den Listen der russischen Armee gestrichen hat. Die Aus-
zeichnung, welche dem Prinzen durch die Heirat mit einer preußischen Königs¬
tochter und durch die Berufung an die Spitze eines Armeekorps gewährt werden
würde, wäre ein Schlag gegen die Empfindlichkeit des russischen Kaisers. Das
darf man sich nicht verhehle", das ist einmal so; es wäre aber auch ein Schlag
gegen die öffentliche Meinung des russischen Volkes, welches daran gewöhnt
worden ist, den Exfürsten von Bulgarien als einen Undankbaren, einen Rebellen
und Feind Rußlands anzusehen Dem Zaren wird nachgesagt, daß er keinen
Krieg wolle, und dies soll seine Nichtigkeit haben. Bekannt aber ist, daß in
Nußland zwei große Parteien den Krieg durchaus ins Werk setzen wollen: die
Panslawisten und die große Partei der Unznfriedneu, mag man sie als offene
oder geheime Nihilisten bezeichnen; beide Parteien verfolgen im Innern ver-


Die Vanzlerkrisis und die Freisinnigen.

des Reiches und Preußens diese Heirat widerraten zu müssen und erklärt,
falls sein Rat nicht durchdringe, die Verantwortlichkeit für die Leitung der po¬
litischen Angelegenheiten nicht weiter tragen zu können.

Man sollte meinen, daß ein Minister gar nicht konstitutioneller handeln
könne, und die Fortschrittspartei, welche den Konstitutionalismus in Pacht ge¬
nommen hat, geradezu befriedigt sein müsse, daß Fürst Bismarck so korrekt handelt.

Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Die eingangs erwähnten Zei¬
tungen scheuen sich nicht, das Vorgehen des Reichskanzlers als eine Vergewal¬
tigung des kaiserlichen Willens zu bezeichnen, als einen Ausfluß des Hans-
mciertums, nach welchem die Herrschsucht des Kanzlers den Monarchen gänzlich
in den Schatten stellt. In dem Tone der Gardinenpredigt einer keifenden Fran
stellt die Freisinnige Zeitung alle Gründe zusammen, welche das Versälle» des
Fürsten Bismarck als ein anmaßendes und chrfurchtverletzcndcs erscheinen lassen
sollen. Im wesentlichen heißt es, daß die Heirat einer Fürstentochter ein reiner
Privatakt sei, daß in unsrer Zeit fürstliche Ehen keinen Einfluß auf die Geschicke
der Staaten übten, und daß diese nach den Bedürfnissen der Völker und nicht
nach den Interessen der Dynastien geleitet würden. Man verhöhnt den Kanzler,
daß sein Widerspruch ein „Wettkricchen" vor dem Zaren sei, und spöttelt über
das in schwerer und ernster Stunde ausgesprochene Wort, daß wir Deutschen
außer Gott niemand fürchteten.

Wäre die Absicht der Freisinnigen Zeitung nicht so verflucht gescheit, man
wäre versucht, ihre Gründe herzlich dumm zu nennen.

Es ist schon an andrer Stelle auf das Vermächtnis Kaiser Wilhelms
hingewiesen worden, der noch auf seinem Sterbebette gebeten hat, die Empfind¬
lichkeit des Kaisers von Rußland zu schonen. Man mag den Unwillen des
letzter» gegen den ehemaligen Bulgarenfürsten für begründet oder unbegründet
halten, er ist eine vorhandene Thatsache von großer Bedeutung, und in der
Politik hat man mit Thatsachen zu rechnen. Kaiser Alexander haßt den Vatten-
bergcr, er fühlt sich von ihm persönlich gekränkt, und es ist bekannt, daß er
ihn eigenhändig ans den Listen der russischen Armee gestrichen hat. Die Aus-
zeichnung, welche dem Prinzen durch die Heirat mit einer preußischen Königs¬
tochter und durch die Berufung an die Spitze eines Armeekorps gewährt werden
würde, wäre ein Schlag gegen die Empfindlichkeit des russischen Kaisers. Das
darf man sich nicht verhehle», das ist einmal so; es wäre aber auch ein Schlag
gegen die öffentliche Meinung des russischen Volkes, welches daran gewöhnt
worden ist, den Exfürsten von Bulgarien als einen Undankbaren, einen Rebellen
und Feind Rußlands anzusehen Dem Zaren wird nachgesagt, daß er keinen
Krieg wolle, und dies soll seine Nichtigkeit haben. Bekannt aber ist, daß in
Nußland zwei große Parteien den Krieg durchaus ins Werk setzen wollen: die
Panslawisten und die große Partei der Unznfriedneu, mag man sie als offene
oder geheime Nihilisten bezeichnen; beide Parteien verfolgen im Innern ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/154>, abgerufen am 01.09.2024.