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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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ver Boulangerismus in Paris.

er jetzt in vier Wahlbezirken zugleich als Kandidat für die Deputirtenkammer
aufgestellt worden ist, obwohl er als Militär kein Mandat annehmen darf, und
von hier hauptsächlich wird weiter für ihn gewühlt werden. Man meinte, er
werde, nachdem ihm sein Generalkommando entzogen worden sei, seinen Abschied
verlangen und unter die Parlamentarier gehen. Er wird das jedoch unter¬
lassen, und seine vertrauten Berater wissen mit ihm, weshalb. Als Deputirter
würde er mit seinem Talent nicht viel zu bedeuten haben und an ein Partei¬
programm gebunden sein, unfrei und von andern geschoben und benutzt werden,
während sein Talent doch vorzüglich darin besteht, im Schein von Phrasen
und Velleitäten andre zu schieben und für seinen Ehrgeiz auszunutzen. So
zog er den amphibienhaften und dehnbaren Zustand vor, in den ihn seine
Maßregelung versetzte. Halb Militär und halb Zivilist wird er, so vermutete
man, versuchen, die Rolle des providentiellen Soldaten zu spielen, der bei
passender Gelegenheit "das Vaterland retten" wird. Inzwischen wird dafür ge¬
sorgt werden, daß er überall, wo Wahlen bevorstehen, als stark unterstützter
Kandidat erscheinen und dadurch seinen Nimbus bewahren und verstärken kann.
Seine UnWählbarkeit wird diesen Kandidaturen den Charakter eines mächtigen
nationalen Einspruchs verleihen, und so kann er seine Zeit abwarten. Für jetzt
gilt es bei seinen Anhängern, in der Presse vor allem sein Lob zu singen und
die ihm widerfahrene, angeblich ungerechte Behandlung von feiten der Regierung
möglichst dem allgemeinen Unwillen preiszugeben. Nocheforts IntransiMMt,
Mayers I^Wein'of und allen voran die Loos-räe haben den Kriegsminister
Logerot, den Premier Tirard und selbst den Präsidenten Carnot mit einer Wut
angegriffen, die an Weißgltthhitze im Gehirn denken läßt. Das zuletzt genannte
Blatt sagte: "Der große Carnot organisirte den Sieg für Frankreich. In der
Demoralisirung der Armee und des Landes, in dem Versuche, ihn Hinweg-
zuHetzen, der bestimmt war, die Revanche zu führen, organisirt Carnot der
Kleine den Sieg für die Deutschen. . . . General Boulanger hat, nachdem er
sich alle seine Beförderungen mit Wunden erkauft hat, die Ehre gehabt, sich
die öffentliche Beleidigung des Herrn von Bismarck zu verdienen." Anderswo
bedeutete nach der Meinung dieses Blattes der Fall Boulangers nichts ge¬
ringeres als die Zersetzung der nationalen Lebenskraft, die Abdankung Frank¬
reichs, den Verzicht auf Elsaß und Lothringen, den Tod jeder höhern Regung
des Volksherzens, die Waffenstreckung und Kniebeugung vor dem Feinde, vor
dem triumphirenden Deutschland.... Carnot ist ein Verräter der Nation, des
Vaterlandes, "und alles, was in Frankreichs großem Herzen bisher vibrirte,
wird sich fortan nicht mehr regen." Dürfte man solche unerhörte Albern¬
heiten als Ausdruck der allgemeinen Stimmung und Auffassung der Dinge be¬
trachten, so könnte man nur mitleidig die Achseln zucken, daß eine trotz aller
Verirrungen der letzten Jahre im Grunde edelgeartete und hochbegabte Nation
dem Wahnwitz so nahe gekommen sei. Indes ist es nur der Boulangerismus,


ver Boulangerismus in Paris.

er jetzt in vier Wahlbezirken zugleich als Kandidat für die Deputirtenkammer
aufgestellt worden ist, obwohl er als Militär kein Mandat annehmen darf, und
von hier hauptsächlich wird weiter für ihn gewühlt werden. Man meinte, er
werde, nachdem ihm sein Generalkommando entzogen worden sei, seinen Abschied
verlangen und unter die Parlamentarier gehen. Er wird das jedoch unter¬
lassen, und seine vertrauten Berater wissen mit ihm, weshalb. Als Deputirter
würde er mit seinem Talent nicht viel zu bedeuten haben und an ein Partei¬
programm gebunden sein, unfrei und von andern geschoben und benutzt werden,
während sein Talent doch vorzüglich darin besteht, im Schein von Phrasen
und Velleitäten andre zu schieben und für seinen Ehrgeiz auszunutzen. So
zog er den amphibienhaften und dehnbaren Zustand vor, in den ihn seine
Maßregelung versetzte. Halb Militär und halb Zivilist wird er, so vermutete
man, versuchen, die Rolle des providentiellen Soldaten zu spielen, der bei
passender Gelegenheit „das Vaterland retten" wird. Inzwischen wird dafür ge¬
sorgt werden, daß er überall, wo Wahlen bevorstehen, als stark unterstützter
Kandidat erscheinen und dadurch seinen Nimbus bewahren und verstärken kann.
Seine UnWählbarkeit wird diesen Kandidaturen den Charakter eines mächtigen
nationalen Einspruchs verleihen, und so kann er seine Zeit abwarten. Für jetzt
gilt es bei seinen Anhängern, in der Presse vor allem sein Lob zu singen und
die ihm widerfahrene, angeblich ungerechte Behandlung von feiten der Regierung
möglichst dem allgemeinen Unwillen preiszugeben. Nocheforts IntransiMMt,
Mayers I^Wein'of und allen voran die Loos-räe haben den Kriegsminister
Logerot, den Premier Tirard und selbst den Präsidenten Carnot mit einer Wut
angegriffen, die an Weißgltthhitze im Gehirn denken läßt. Das zuletzt genannte
Blatt sagte: „Der große Carnot organisirte den Sieg für Frankreich. In der
Demoralisirung der Armee und des Landes, in dem Versuche, ihn Hinweg-
zuHetzen, der bestimmt war, die Revanche zu führen, organisirt Carnot der
Kleine den Sieg für die Deutschen. . . . General Boulanger hat, nachdem er
sich alle seine Beförderungen mit Wunden erkauft hat, die Ehre gehabt, sich
die öffentliche Beleidigung des Herrn von Bismarck zu verdienen." Anderswo
bedeutete nach der Meinung dieses Blattes der Fall Boulangers nichts ge¬
ringeres als die Zersetzung der nationalen Lebenskraft, die Abdankung Frank¬
reichs, den Verzicht auf Elsaß und Lothringen, den Tod jeder höhern Regung
des Volksherzens, die Waffenstreckung und Kniebeugung vor dem Feinde, vor
dem triumphirenden Deutschland.... Carnot ist ein Verräter der Nation, des
Vaterlandes, „und alles, was in Frankreichs großem Herzen bisher vibrirte,
wird sich fortan nicht mehr regen." Dürfte man solche unerhörte Albern¬
heiten als Ausdruck der allgemeinen Stimmung und Auffassung der Dinge be¬
trachten, so könnte man nur mitleidig die Achseln zucken, daß eine trotz aller
Verirrungen der letzten Jahre im Grunde edelgeartete und hochbegabte Nation
dem Wahnwitz so nahe gekommen sei. Indes ist es nur der Boulangerismus,


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[0014] ver Boulangerismus in Paris. er jetzt in vier Wahlbezirken zugleich als Kandidat für die Deputirtenkammer aufgestellt worden ist, obwohl er als Militär kein Mandat annehmen darf, und von hier hauptsächlich wird weiter für ihn gewühlt werden. Man meinte, er werde, nachdem ihm sein Generalkommando entzogen worden sei, seinen Abschied verlangen und unter die Parlamentarier gehen. Er wird das jedoch unter¬ lassen, und seine vertrauten Berater wissen mit ihm, weshalb. Als Deputirter würde er mit seinem Talent nicht viel zu bedeuten haben und an ein Partei¬ programm gebunden sein, unfrei und von andern geschoben und benutzt werden, während sein Talent doch vorzüglich darin besteht, im Schein von Phrasen und Velleitäten andre zu schieben und für seinen Ehrgeiz auszunutzen. So zog er den amphibienhaften und dehnbaren Zustand vor, in den ihn seine Maßregelung versetzte. Halb Militär und halb Zivilist wird er, so vermutete man, versuchen, die Rolle des providentiellen Soldaten zu spielen, der bei passender Gelegenheit „das Vaterland retten" wird. Inzwischen wird dafür ge¬ sorgt werden, daß er überall, wo Wahlen bevorstehen, als stark unterstützter Kandidat erscheinen und dadurch seinen Nimbus bewahren und verstärken kann. Seine UnWählbarkeit wird diesen Kandidaturen den Charakter eines mächtigen nationalen Einspruchs verleihen, und so kann er seine Zeit abwarten. Für jetzt gilt es bei seinen Anhängern, in der Presse vor allem sein Lob zu singen und die ihm widerfahrene, angeblich ungerechte Behandlung von feiten der Regierung möglichst dem allgemeinen Unwillen preiszugeben. Nocheforts IntransiMMt, Mayers I^Wein'of und allen voran die Loos-räe haben den Kriegsminister Logerot, den Premier Tirard und selbst den Präsidenten Carnot mit einer Wut angegriffen, die an Weißgltthhitze im Gehirn denken läßt. Das zuletzt genannte Blatt sagte: „Der große Carnot organisirte den Sieg für Frankreich. In der Demoralisirung der Armee und des Landes, in dem Versuche, ihn Hinweg- zuHetzen, der bestimmt war, die Revanche zu führen, organisirt Carnot der Kleine den Sieg für die Deutschen. . . . General Boulanger hat, nachdem er sich alle seine Beförderungen mit Wunden erkauft hat, die Ehre gehabt, sich die öffentliche Beleidigung des Herrn von Bismarck zu verdienen." Anderswo bedeutete nach der Meinung dieses Blattes der Fall Boulangers nichts ge¬ ringeres als die Zersetzung der nationalen Lebenskraft, die Abdankung Frank¬ reichs, den Verzicht auf Elsaß und Lothringen, den Tod jeder höhern Regung des Volksherzens, die Waffenstreckung und Kniebeugung vor dem Feinde, vor dem triumphirenden Deutschland.... Carnot ist ein Verräter der Nation, des Vaterlandes, „und alles, was in Frankreichs großem Herzen bisher vibrirte, wird sich fortan nicht mehr regen." Dürfte man solche unerhörte Albern¬ heiten als Ausdruck der allgemeinen Stimmung und Auffassung der Dinge be¬ trachten, so könnte man nur mitleidig die Achseln zucken, daß eine trotz aller Verirrungen der letzten Jahre im Grunde edelgeartete und hochbegabte Nation dem Wahnwitz so nahe gekommen sei. Indes ist es nur der Boulangerismus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/14>, abgerufen am 28.07.2024.