Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Andenken Gustav Theodor Fochners.

eine kurze Zeit. Die Philosophen aber wollten die Seele mit dem Begriffe
und die Naturforscher mit den Händen greifen; davor versteckte sich die Seele;
und sie sprachen: es ist nichts da." So charakterisirt Fechner einmal den Erfolg
und Mißerfolg des Buches, das schlechterdings nur im Zusammenhang mit der
Psychophysik verstanden werden kaun.

Da die Empfindungen, Gefühle, Gedanken, alle Erscheinungen des Bewußt¬
seins an physischen, körperlichen Vorgängen hängen und Fechner den materia¬
listischen Schluß: "Also sind die Gedanken Sekretionen des Gehirns" nicht mit¬
machen kaun, sieht er sich gezwungen, den Zusammenhang zwischen den seelischen
Vorgängen und ihren physischen Unterlagen dualistisch zu erklären. Ihm sind
Leib und Seele zwei gar nicht auf einander zurückführbare, grundwesentlich ver¬
schiedene und doch auf einander bezogene Seiten der Existenz; beides, Leib und
Seele, sind verschiedene Erscheinungsweisen desselben Wesens. Ihm ist also die
Seele vor allen Dingen kein bloßer Begriff oder Inbegriff, aber auch nicht
ein Wesen für sich, das sich im Tode vom Leibe trennen und in einem Reiche
der Geister ohne Leib leben kann.

Vom Leben unsrer Seele giebt uns nur das Bewußtsein Kunde; es läßt
sich nicht aus bloßen Begriffen beweisen, daß in uns eine Seele lebt, aber es
läßt sich auch die Seele auf keinerlei Weise für andre zur Beobachtung bringen.
Ich kann meinem Bruder uicht meine Seele zeigen, denn eine Seele läßt sich
nicht zeigen; er muß daran glauben, und wenn er nicht glaubte, daß ich ein
Bewußtsein meiner selbst habe, wie er ein Bewußtsein seiner selbst hat, so könnte
ich ihm keine bessern Beweismittel für mein Seelenleben beibringen, als für
das Leben meines Schattens.

Den Tieren schreiben wir eine Seele zu, weil wir Gründe finden, ihnen
Bewußisein zuzuschreiben, und halten die Tierseele für niedriger als die Menschen-
seele in dem Maße, als das Bewußtsein der Tiere einen geringeren Inhalt
hat als das Menschenbcwnßtsein. "Aber bei den Pflanzen ziehen wir auf
einmal die ganze Seele ab." Haben wir denn ein Recht dazu, auf einmal
einen Sprung vom Beseeltsein zum Unbeseeltsein zu machen, und ist es un¬
denkbar, daß nicht vielmehr eins sich in das andre verlaufen läßt? Das ist
die Frage, welche Fechner in dem Büchlein über die Pflanzenseele zu beant¬
worten sticht. Man sieht, es ist eine ernsthafte Frage, die nicht nur das
ästhetische Interesse der Frauenwelt, sondern anch das wissenschaftliche Interesse
der Naturforscher und Philosophen berührt. Und ernsthaft ist auch die Beant¬
wortung.

Wenn aber die Naturforscher und Philosophen Fechners Lehre von der
Pflanzenseele mißbilligt haben, so ist sie doch unhaltbar? Wer weiß! So triftige
Gründe als Fechner für die Beseelung der Pflanzen in seinein Sinne beigebracht
hat, man hat von keiner Seite gleich triftige Gründe dagegen gestellt. Waren
die Frauen erfreut, die Blumen als beseelte Wesen betrachten zu dürfen, so


Zum Andenken Gustav Theodor Fochners.

eine kurze Zeit. Die Philosophen aber wollten die Seele mit dem Begriffe
und die Naturforscher mit den Händen greifen; davor versteckte sich die Seele;
und sie sprachen: es ist nichts da." So charakterisirt Fechner einmal den Erfolg
und Mißerfolg des Buches, das schlechterdings nur im Zusammenhang mit der
Psychophysik verstanden werden kaun.

Da die Empfindungen, Gefühle, Gedanken, alle Erscheinungen des Bewußt¬
seins an physischen, körperlichen Vorgängen hängen und Fechner den materia¬
listischen Schluß: „Also sind die Gedanken Sekretionen des Gehirns" nicht mit¬
machen kaun, sieht er sich gezwungen, den Zusammenhang zwischen den seelischen
Vorgängen und ihren physischen Unterlagen dualistisch zu erklären. Ihm sind
Leib und Seele zwei gar nicht auf einander zurückführbare, grundwesentlich ver¬
schiedene und doch auf einander bezogene Seiten der Existenz; beides, Leib und
Seele, sind verschiedene Erscheinungsweisen desselben Wesens. Ihm ist also die
Seele vor allen Dingen kein bloßer Begriff oder Inbegriff, aber auch nicht
ein Wesen für sich, das sich im Tode vom Leibe trennen und in einem Reiche
der Geister ohne Leib leben kann.

Vom Leben unsrer Seele giebt uns nur das Bewußtsein Kunde; es läßt
sich nicht aus bloßen Begriffen beweisen, daß in uns eine Seele lebt, aber es
läßt sich auch die Seele auf keinerlei Weise für andre zur Beobachtung bringen.
Ich kann meinem Bruder uicht meine Seele zeigen, denn eine Seele läßt sich
nicht zeigen; er muß daran glauben, und wenn er nicht glaubte, daß ich ein
Bewußtsein meiner selbst habe, wie er ein Bewußtsein seiner selbst hat, so könnte
ich ihm keine bessern Beweismittel für mein Seelenleben beibringen, als für
das Leben meines Schattens.

Den Tieren schreiben wir eine Seele zu, weil wir Gründe finden, ihnen
Bewußisein zuzuschreiben, und halten die Tierseele für niedriger als die Menschen-
seele in dem Maße, als das Bewußtsein der Tiere einen geringeren Inhalt
hat als das Menschenbcwnßtsein. „Aber bei den Pflanzen ziehen wir auf
einmal die ganze Seele ab." Haben wir denn ein Recht dazu, auf einmal
einen Sprung vom Beseeltsein zum Unbeseeltsein zu machen, und ist es un¬
denkbar, daß nicht vielmehr eins sich in das andre verlaufen läßt? Das ist
die Frage, welche Fechner in dem Büchlein über die Pflanzenseele zu beant¬
worten sticht. Man sieht, es ist eine ernsthafte Frage, die nicht nur das
ästhetische Interesse der Frauenwelt, sondern anch das wissenschaftliche Interesse
der Naturforscher und Philosophen berührt. Und ernsthaft ist auch die Beant¬
wortung.

Wenn aber die Naturforscher und Philosophen Fechners Lehre von der
Pflanzenseele mißbilligt haben, so ist sie doch unhaltbar? Wer weiß! So triftige
Gründe als Fechner für die Beseelung der Pflanzen in seinein Sinne beigebracht
hat, man hat von keiner Seite gleich triftige Gründe dagegen gestellt. Waren
die Frauen erfreut, die Blumen als beseelte Wesen betrachten zu dürfen, so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202907"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum Andenken Gustav Theodor Fochners.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_416" prev="#ID_415"> eine kurze Zeit. Die Philosophen aber wollten die Seele mit dem Begriffe<lb/>
und die Naturforscher mit den Händen greifen; davor versteckte sich die Seele;<lb/>
und sie sprachen: es ist nichts da." So charakterisirt Fechner einmal den Erfolg<lb/>
und Mißerfolg des Buches, das schlechterdings nur im Zusammenhang mit der<lb/>
Psychophysik verstanden werden kaun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_417"> Da die Empfindungen, Gefühle, Gedanken, alle Erscheinungen des Bewußt¬<lb/>
seins an physischen, körperlichen Vorgängen hängen und Fechner den materia¬<lb/>
listischen Schluß: &#x201E;Also sind die Gedanken Sekretionen des Gehirns" nicht mit¬<lb/>
machen kaun, sieht er sich gezwungen, den Zusammenhang zwischen den seelischen<lb/>
Vorgängen und ihren physischen Unterlagen dualistisch zu erklären. Ihm sind<lb/>
Leib und Seele zwei gar nicht auf einander zurückführbare, grundwesentlich ver¬<lb/>
schiedene und doch auf einander bezogene Seiten der Existenz; beides, Leib und<lb/>
Seele, sind verschiedene Erscheinungsweisen desselben Wesens. Ihm ist also die<lb/>
Seele vor allen Dingen kein bloßer Begriff oder Inbegriff, aber auch nicht<lb/>
ein Wesen für sich, das sich im Tode vom Leibe trennen und in einem Reiche<lb/>
der Geister ohne Leib leben kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_418"> Vom Leben unsrer Seele giebt uns nur das Bewußtsein Kunde; es läßt<lb/>
sich nicht aus bloßen Begriffen beweisen, daß in uns eine Seele lebt, aber es<lb/>
läßt sich auch die Seele auf keinerlei Weise für andre zur Beobachtung bringen.<lb/>
Ich kann meinem Bruder uicht meine Seele zeigen, denn eine Seele läßt sich<lb/>
nicht zeigen; er muß daran glauben, und wenn er nicht glaubte, daß ich ein<lb/>
Bewußtsein meiner selbst habe, wie er ein Bewußtsein seiner selbst hat, so könnte<lb/>
ich ihm keine bessern Beweismittel für mein Seelenleben beibringen, als für<lb/>
das Leben meines Schattens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_419"> Den Tieren schreiben wir eine Seele zu, weil wir Gründe finden, ihnen<lb/>
Bewußisein zuzuschreiben, und halten die Tierseele für niedriger als die Menschen-<lb/>
seele in dem Maße, als das Bewußtsein der Tiere einen geringeren Inhalt<lb/>
hat als das Menschenbcwnßtsein. &#x201E;Aber bei den Pflanzen ziehen wir auf<lb/>
einmal die ganze Seele ab." Haben wir denn ein Recht dazu, auf einmal<lb/>
einen Sprung vom Beseeltsein zum Unbeseeltsein zu machen, und ist es un¬<lb/>
denkbar, daß nicht vielmehr eins sich in das andre verlaufen läßt? Das ist<lb/>
die Frage, welche Fechner in dem Büchlein über die Pflanzenseele zu beant¬<lb/>
worten sticht. Man sieht, es ist eine ernsthafte Frage, die nicht nur das<lb/>
ästhetische Interesse der Frauenwelt, sondern anch das wissenschaftliche Interesse<lb/>
der Naturforscher und Philosophen berührt. Und ernsthaft ist auch die Beant¬<lb/>
wortung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_420" next="#ID_421"> Wenn aber die Naturforscher und Philosophen Fechners Lehre von der<lb/>
Pflanzenseele mißbilligt haben, so ist sie doch unhaltbar? Wer weiß! So triftige<lb/>
Gründe als Fechner für die Beseelung der Pflanzen in seinein Sinne beigebracht<lb/>
hat, man hat von keiner Seite gleich triftige Gründe dagegen gestellt. Waren<lb/>
die Frauen erfreut, die Blumen als beseelte Wesen betrachten zu dürfen, so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0130] Zum Andenken Gustav Theodor Fochners. eine kurze Zeit. Die Philosophen aber wollten die Seele mit dem Begriffe und die Naturforscher mit den Händen greifen; davor versteckte sich die Seele; und sie sprachen: es ist nichts da." So charakterisirt Fechner einmal den Erfolg und Mißerfolg des Buches, das schlechterdings nur im Zusammenhang mit der Psychophysik verstanden werden kaun. Da die Empfindungen, Gefühle, Gedanken, alle Erscheinungen des Bewußt¬ seins an physischen, körperlichen Vorgängen hängen und Fechner den materia¬ listischen Schluß: „Also sind die Gedanken Sekretionen des Gehirns" nicht mit¬ machen kaun, sieht er sich gezwungen, den Zusammenhang zwischen den seelischen Vorgängen und ihren physischen Unterlagen dualistisch zu erklären. Ihm sind Leib und Seele zwei gar nicht auf einander zurückführbare, grundwesentlich ver¬ schiedene und doch auf einander bezogene Seiten der Existenz; beides, Leib und Seele, sind verschiedene Erscheinungsweisen desselben Wesens. Ihm ist also die Seele vor allen Dingen kein bloßer Begriff oder Inbegriff, aber auch nicht ein Wesen für sich, das sich im Tode vom Leibe trennen und in einem Reiche der Geister ohne Leib leben kann. Vom Leben unsrer Seele giebt uns nur das Bewußtsein Kunde; es läßt sich nicht aus bloßen Begriffen beweisen, daß in uns eine Seele lebt, aber es läßt sich auch die Seele auf keinerlei Weise für andre zur Beobachtung bringen. Ich kann meinem Bruder uicht meine Seele zeigen, denn eine Seele läßt sich nicht zeigen; er muß daran glauben, und wenn er nicht glaubte, daß ich ein Bewußtsein meiner selbst habe, wie er ein Bewußtsein seiner selbst hat, so könnte ich ihm keine bessern Beweismittel für mein Seelenleben beibringen, als für das Leben meines Schattens. Den Tieren schreiben wir eine Seele zu, weil wir Gründe finden, ihnen Bewußisein zuzuschreiben, und halten die Tierseele für niedriger als die Menschen- seele in dem Maße, als das Bewußtsein der Tiere einen geringeren Inhalt hat als das Menschenbcwnßtsein. „Aber bei den Pflanzen ziehen wir auf einmal die ganze Seele ab." Haben wir denn ein Recht dazu, auf einmal einen Sprung vom Beseeltsein zum Unbeseeltsein zu machen, und ist es un¬ denkbar, daß nicht vielmehr eins sich in das andre verlaufen läßt? Das ist die Frage, welche Fechner in dem Büchlein über die Pflanzenseele zu beant¬ worten sticht. Man sieht, es ist eine ernsthafte Frage, die nicht nur das ästhetische Interesse der Frauenwelt, sondern anch das wissenschaftliche Interesse der Naturforscher und Philosophen berührt. Und ernsthaft ist auch die Beant¬ wortung. Wenn aber die Naturforscher und Philosophen Fechners Lehre von der Pflanzenseele mißbilligt haben, so ist sie doch unhaltbar? Wer weiß! So triftige Gründe als Fechner für die Beseelung der Pflanzen in seinein Sinne beigebracht hat, man hat von keiner Seite gleich triftige Gründe dagegen gestellt. Waren die Frauen erfreut, die Blumen als beseelte Wesen betrachten zu dürfen, so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/130
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/130>, abgerufen am 28.07.2024.