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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Der Boulangerismus in Paris.

war, zu versuchen, ihn auf dem Wege, der gewählt wurde, unschädlich zu machen.
An seiner militärischen Stellung, die ihn an eine kleine Stadt der Auvergne
fesselte, hatte er nicht viel Aussicht, die Ziele seines Ehrgeizes zu erreichen.
Zwar besaß er auch in der Armee ohne Zweifel Freunde und Bewunderer;
denn auch hier gab es Leute, welche die von ihm zur Schau getragenen Grund¬
sätze und Absichten teilten und die theatralische Manier, mit der er sie verfolgt,
schön fanden. Anderseits aber fehlte es ihm auch hier nicht an Gegnern, die
ihm ihre Geringschätzung nicht verhehlten, und wir haben Ursache zu glauben,
daß die Zahl der letztern unter den Offizieren größer war als die der erstern,
sodaß ein Pronunciamento, wie sie in Spanien herkömmlich sind, schon deshalb
kaum zu fürchte" gewesen wäre. Derartige Meutereien zu politischen Zwecken
sind in Frankreich aber auch nicht Brauch und Regel. Revolutionen gehen
hier nicht von Generalen und ihren niedern Offizieren aus, sondern von Per¬
sonen des Zivilstandes, Kammerrednern, Advokaten, Journalisten, die sich zu
Volksführern aufwerfen, und das Militär schließt sich der Bewegung gewöhnlich
erst an, wenn sie Kraft gezeigt hat und Erfolge aufweist. Dann aber gehen
zuerst nicht die Offiziere zu ihr über, sondern die Sergeanten und Gemeinen
sind es, welche durch Umkehren der Gewehre bekunden, daß sie nicht weiter gegen
die Aufständischen kämpfen wollen und in deren Reihen zu treten bereit sind.
In Clermont-Ferrand gab es die Möglichkeit einer solchen Entwicklung nicht,
wohl aber ließ sich etwas der Art in Paris erwarten, wohin Boulanger jetzt
seinen Wohnsitz verlegen durfte, wo er in den Abgeordneten Laguerre, Laur,
Laisant und Vergoin sowie in Rochefort und andern radikalen Journalisten
Gehilfen für seine Pläne hatte, wo die niedern Klassen ein immer zu Empö¬
rungen bereites Element darboten, und wo die Popularität, die er sich als
Kriegsminister auch in bessern Kreisen zu erwerben verstanden hatte, durch das
jetzt gegen ihn eingeschlagene Verfahren vielfach wieder aufgefrischt worden war.
Man hatte ihn schon halb vergessen, jetzt wurde nicht nur an sein Vorhanden¬
sein erinnert, sondern er erschien auch als ein bedeutender Gegner der Negierung
und so als gegebener Bundesgenosse andrer Widersacher und Nebenbuhler der¬
selben, und zwar, da er ein weites Gewissen und die Gabe, sich zu verwandeln,
und bald der, bald jener Partei sich anzubequemen besaß, als Bundesgenosse
aller Negierungsfeinde. In Clermont saß er in einer abgelegenen, einflußloser
Landstadt, in Paris stand er im Mittelpunkte des Landes, das immer den An¬
stoß und Ausschlag gegeben hatte und fernerhin geben wird, wenn Wetterver¬
änderungen am politischen Himmel sich ankündigen. Hier befand er sich für
seine Absichten an der rechten Stelle, von hier liefen die Wege aus, auf denen
er am raschesten und sichersten sich das gesamte Volk gewinnen und zu sich
heranziehen konnte, hier mündeten sie, hier war er dicht vor dem, was er in
seinem Interesse stürzen mußte, und zugleich dem Apparate nahe, mit dem dies
zu bewerkstelligen war. Von hier ging die Agitation aus, welche bewirkte, daß


Der Boulangerismus in Paris.

war, zu versuchen, ihn auf dem Wege, der gewählt wurde, unschädlich zu machen.
An seiner militärischen Stellung, die ihn an eine kleine Stadt der Auvergne
fesselte, hatte er nicht viel Aussicht, die Ziele seines Ehrgeizes zu erreichen.
Zwar besaß er auch in der Armee ohne Zweifel Freunde und Bewunderer;
denn auch hier gab es Leute, welche die von ihm zur Schau getragenen Grund¬
sätze und Absichten teilten und die theatralische Manier, mit der er sie verfolgt,
schön fanden. Anderseits aber fehlte es ihm auch hier nicht an Gegnern, die
ihm ihre Geringschätzung nicht verhehlten, und wir haben Ursache zu glauben,
daß die Zahl der letztern unter den Offizieren größer war als die der erstern,
sodaß ein Pronunciamento, wie sie in Spanien herkömmlich sind, schon deshalb
kaum zu fürchte» gewesen wäre. Derartige Meutereien zu politischen Zwecken
sind in Frankreich aber auch nicht Brauch und Regel. Revolutionen gehen
hier nicht von Generalen und ihren niedern Offizieren aus, sondern von Per¬
sonen des Zivilstandes, Kammerrednern, Advokaten, Journalisten, die sich zu
Volksführern aufwerfen, und das Militär schließt sich der Bewegung gewöhnlich
erst an, wenn sie Kraft gezeigt hat und Erfolge aufweist. Dann aber gehen
zuerst nicht die Offiziere zu ihr über, sondern die Sergeanten und Gemeinen
sind es, welche durch Umkehren der Gewehre bekunden, daß sie nicht weiter gegen
die Aufständischen kämpfen wollen und in deren Reihen zu treten bereit sind.
In Clermont-Ferrand gab es die Möglichkeit einer solchen Entwicklung nicht,
wohl aber ließ sich etwas der Art in Paris erwarten, wohin Boulanger jetzt
seinen Wohnsitz verlegen durfte, wo er in den Abgeordneten Laguerre, Laur,
Laisant und Vergoin sowie in Rochefort und andern radikalen Journalisten
Gehilfen für seine Pläne hatte, wo die niedern Klassen ein immer zu Empö¬
rungen bereites Element darboten, und wo die Popularität, die er sich als
Kriegsminister auch in bessern Kreisen zu erwerben verstanden hatte, durch das
jetzt gegen ihn eingeschlagene Verfahren vielfach wieder aufgefrischt worden war.
Man hatte ihn schon halb vergessen, jetzt wurde nicht nur an sein Vorhanden¬
sein erinnert, sondern er erschien auch als ein bedeutender Gegner der Negierung
und so als gegebener Bundesgenosse andrer Widersacher und Nebenbuhler der¬
selben, und zwar, da er ein weites Gewissen und die Gabe, sich zu verwandeln,
und bald der, bald jener Partei sich anzubequemen besaß, als Bundesgenosse
aller Negierungsfeinde. In Clermont saß er in einer abgelegenen, einflußloser
Landstadt, in Paris stand er im Mittelpunkte des Landes, das immer den An¬
stoß und Ausschlag gegeben hatte und fernerhin geben wird, wenn Wetterver¬
änderungen am politischen Himmel sich ankündigen. Hier befand er sich für
seine Absichten an der rechten Stelle, von hier liefen die Wege aus, auf denen
er am raschesten und sichersten sich das gesamte Volk gewinnen und zu sich
heranziehen konnte, hier mündeten sie, hier war er dicht vor dem, was er in
seinem Interesse stürzen mußte, und zugleich dem Apparate nahe, mit dem dies
zu bewerkstelligen war. Von hier ging die Agitation aus, welche bewirkte, daß


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[0013] Der Boulangerismus in Paris. war, zu versuchen, ihn auf dem Wege, der gewählt wurde, unschädlich zu machen. An seiner militärischen Stellung, die ihn an eine kleine Stadt der Auvergne fesselte, hatte er nicht viel Aussicht, die Ziele seines Ehrgeizes zu erreichen. Zwar besaß er auch in der Armee ohne Zweifel Freunde und Bewunderer; denn auch hier gab es Leute, welche die von ihm zur Schau getragenen Grund¬ sätze und Absichten teilten und die theatralische Manier, mit der er sie verfolgt, schön fanden. Anderseits aber fehlte es ihm auch hier nicht an Gegnern, die ihm ihre Geringschätzung nicht verhehlten, und wir haben Ursache zu glauben, daß die Zahl der letztern unter den Offizieren größer war als die der erstern, sodaß ein Pronunciamento, wie sie in Spanien herkömmlich sind, schon deshalb kaum zu fürchte» gewesen wäre. Derartige Meutereien zu politischen Zwecken sind in Frankreich aber auch nicht Brauch und Regel. Revolutionen gehen hier nicht von Generalen und ihren niedern Offizieren aus, sondern von Per¬ sonen des Zivilstandes, Kammerrednern, Advokaten, Journalisten, die sich zu Volksführern aufwerfen, und das Militär schließt sich der Bewegung gewöhnlich erst an, wenn sie Kraft gezeigt hat und Erfolge aufweist. Dann aber gehen zuerst nicht die Offiziere zu ihr über, sondern die Sergeanten und Gemeinen sind es, welche durch Umkehren der Gewehre bekunden, daß sie nicht weiter gegen die Aufständischen kämpfen wollen und in deren Reihen zu treten bereit sind. In Clermont-Ferrand gab es die Möglichkeit einer solchen Entwicklung nicht, wohl aber ließ sich etwas der Art in Paris erwarten, wohin Boulanger jetzt seinen Wohnsitz verlegen durfte, wo er in den Abgeordneten Laguerre, Laur, Laisant und Vergoin sowie in Rochefort und andern radikalen Journalisten Gehilfen für seine Pläne hatte, wo die niedern Klassen ein immer zu Empö¬ rungen bereites Element darboten, und wo die Popularität, die er sich als Kriegsminister auch in bessern Kreisen zu erwerben verstanden hatte, durch das jetzt gegen ihn eingeschlagene Verfahren vielfach wieder aufgefrischt worden war. Man hatte ihn schon halb vergessen, jetzt wurde nicht nur an sein Vorhanden¬ sein erinnert, sondern er erschien auch als ein bedeutender Gegner der Negierung und so als gegebener Bundesgenosse andrer Widersacher und Nebenbuhler der¬ selben, und zwar, da er ein weites Gewissen und die Gabe, sich zu verwandeln, und bald der, bald jener Partei sich anzubequemen besaß, als Bundesgenosse aller Negierungsfeinde. In Clermont saß er in einer abgelegenen, einflußloser Landstadt, in Paris stand er im Mittelpunkte des Landes, das immer den An¬ stoß und Ausschlag gegeben hatte und fernerhin geben wird, wenn Wetterver¬ änderungen am politischen Himmel sich ankündigen. Hier befand er sich für seine Absichten an der rechten Stelle, von hier liefen die Wege aus, auf denen er am raschesten und sichersten sich das gesamte Volk gewinnen und zu sich heranziehen konnte, hier mündeten sie, hier war er dicht vor dem, was er in seinem Interesse stürzen mußte, und zugleich dem Apparate nahe, mit dem dies zu bewerkstelligen war. Von hier ging die Agitation aus, welche bewirkte, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/13>, abgerufen am 28.07.2024.