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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Andenken Gustav Theodor Fcchners,

am Grün derselben zu erquicken. Die Sonne schien hell und warm; die Blumen
schauten bunt und lustig aus dem Wiesengrün heraus, Schmetterlinge flatterten
darüber und dazwischen hin und her, Vögel zwitscherten über mir in den
Zweigen, und von einem Morgenkonzert drangen die Klänge in mein Ohr.
So waren die Sinne beschäftigt und befriedigt. Aber für den ans Denken
gewohnten reicht solche Befriedigung nicht lange, und so spann sich aus der
Beschäftigung der Sinne allmählich ein Gedankenspiel heraus. . . .

Seltsame Täuschung, sagte ich mir. Im Grunde ist doch alles vor mir
und um mich Nacht und Stille; die Sonne, die mir so glänzend scheint, daß
ich mich scheue, ihr mein Ange zuzuwenden, in Wahrheit nur ein finsterer, im
Finstern seinen Weg suchender Ball. Die Blumen, Schmetterlinge lügen ihre
Farben, die Geigen, Flöten ihren Ton. ...

Es ist nicht ein Baustein, sondern ein Grundstein der heutigen Weltansicht,
daß es so ist, wie ich sagte, daß es ist; glücklich, daß sie doch in etwas stimmt.
Was wir der Welt um uns abzusehen, abzuhören meinen, es ist alles nur unser
innerer Schein, eine Illusion, die man sich loben kann, wie ichs noch jüngst
gelesen, bleibt aber eine Illusion. ..."

Diese" Gedanken der Nnchtausicht gegenüber will Fechner einen Blick thun
ins Weite, Hohe, Lichte einer Weltanschauung, die dem Herzen eine Befriedigung
gewähren kaun.

"Und geht uns nicht die Welt selbst ringsum mehr zu Herzen und ist
mehr nach unsern: Herzen, wenn die Sonne ihren Glanz, der Himmel sein Blau,
das Meer sein Rauschen uns treulich mit vertraut, die Buche, ehe die Axt sie
fällt, um uns zu wärme", erst aufwärts strebt, um selber Licht und Wärme
zu genieße", als wen" uns alles das nur anlügt, wie die Nachtansicht es lügt?
Zur Wahrheit, die der Geist verlangt, verlangt das Herz nach Schönheit; kann
es aber eine schönere Welt geben, als worin die Schönheit selber zur Wahr¬
heit wird?"

Welch ein Unterschied in der Betrachtungsweise, dort der fast trivial er¬
scheinenden Beispiele einer Ausführung vou unten herauf, und hier der ab¬
schließenden Gedanken!

Wir können von Fechners Ästhetik nicht Abschied nehmen, ohne noch einiger
kleinen Schriften zu gedenken. Fechner gehört zu unsern besten Humoristen.
Man hat ihn oft mit Jean Paul verglichen, dessen Einfluß sich besonders in
einer Sammlung humoristischer Aufsätze zeigt, die der jugendliche Fechner als
Mises 1824 unter dem Titel LtÄpslm inixw veröffentlichte. Bald jedoch machte
sich Fechner unabhängig, und durch seine innigen Beziehungen zur Naturforschung
einerseits, durch das hochgreifeude ethische Interesse anderseits gewannen die
Miscsschriften eine Eigenart, die ihnen einen bleibenden Wert verleiht. Mit
richtigem Gefühl hierfür hat Fechner in den "Kleinen Schriften von Mises"
nnr diese charakteristischen Erzeugnisse seines Humors aufgenommen: die "Schutz-


Zum Andenken Gustav Theodor Fcchners,

am Grün derselben zu erquicken. Die Sonne schien hell und warm; die Blumen
schauten bunt und lustig aus dem Wiesengrün heraus, Schmetterlinge flatterten
darüber und dazwischen hin und her, Vögel zwitscherten über mir in den
Zweigen, und von einem Morgenkonzert drangen die Klänge in mein Ohr.
So waren die Sinne beschäftigt und befriedigt. Aber für den ans Denken
gewohnten reicht solche Befriedigung nicht lange, und so spann sich aus der
Beschäftigung der Sinne allmählich ein Gedankenspiel heraus. . . .

Seltsame Täuschung, sagte ich mir. Im Grunde ist doch alles vor mir
und um mich Nacht und Stille; die Sonne, die mir so glänzend scheint, daß
ich mich scheue, ihr mein Ange zuzuwenden, in Wahrheit nur ein finsterer, im
Finstern seinen Weg suchender Ball. Die Blumen, Schmetterlinge lügen ihre
Farben, die Geigen, Flöten ihren Ton. ...

Es ist nicht ein Baustein, sondern ein Grundstein der heutigen Weltansicht,
daß es so ist, wie ich sagte, daß es ist; glücklich, daß sie doch in etwas stimmt.
Was wir der Welt um uns abzusehen, abzuhören meinen, es ist alles nur unser
innerer Schein, eine Illusion, die man sich loben kann, wie ichs noch jüngst
gelesen, bleibt aber eine Illusion. ..."

Diese» Gedanken der Nnchtausicht gegenüber will Fechner einen Blick thun
ins Weite, Hohe, Lichte einer Weltanschauung, die dem Herzen eine Befriedigung
gewähren kaun.

„Und geht uns nicht die Welt selbst ringsum mehr zu Herzen und ist
mehr nach unsern: Herzen, wenn die Sonne ihren Glanz, der Himmel sein Blau,
das Meer sein Rauschen uns treulich mit vertraut, die Buche, ehe die Axt sie
fällt, um uns zu wärme», erst aufwärts strebt, um selber Licht und Wärme
zu genieße», als wen» uns alles das nur anlügt, wie die Nachtansicht es lügt?
Zur Wahrheit, die der Geist verlangt, verlangt das Herz nach Schönheit; kann
es aber eine schönere Welt geben, als worin die Schönheit selber zur Wahr¬
heit wird?"

Welch ein Unterschied in der Betrachtungsweise, dort der fast trivial er¬
scheinenden Beispiele einer Ausführung vou unten herauf, und hier der ab¬
schließenden Gedanken!

Wir können von Fechners Ästhetik nicht Abschied nehmen, ohne noch einiger
kleinen Schriften zu gedenken. Fechner gehört zu unsern besten Humoristen.
Man hat ihn oft mit Jean Paul verglichen, dessen Einfluß sich besonders in
einer Sammlung humoristischer Aufsätze zeigt, die der jugendliche Fechner als
Mises 1824 unter dem Titel LtÄpslm inixw veröffentlichte. Bald jedoch machte
sich Fechner unabhängig, und durch seine innigen Beziehungen zur Naturforschung
einerseits, durch das hochgreifeude ethische Interesse anderseits gewannen die
Miscsschriften eine Eigenart, die ihnen einen bleibenden Wert verleiht. Mit
richtigem Gefühl hierfür hat Fechner in den „Kleinen Schriften von Mises"
nnr diese charakteristischen Erzeugnisse seines Humors aufgenommen: die „Schutz-


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[0127] Zum Andenken Gustav Theodor Fcchners, am Grün derselben zu erquicken. Die Sonne schien hell und warm; die Blumen schauten bunt und lustig aus dem Wiesengrün heraus, Schmetterlinge flatterten darüber und dazwischen hin und her, Vögel zwitscherten über mir in den Zweigen, und von einem Morgenkonzert drangen die Klänge in mein Ohr. So waren die Sinne beschäftigt und befriedigt. Aber für den ans Denken gewohnten reicht solche Befriedigung nicht lange, und so spann sich aus der Beschäftigung der Sinne allmählich ein Gedankenspiel heraus. . . . Seltsame Täuschung, sagte ich mir. Im Grunde ist doch alles vor mir und um mich Nacht und Stille; die Sonne, die mir so glänzend scheint, daß ich mich scheue, ihr mein Ange zuzuwenden, in Wahrheit nur ein finsterer, im Finstern seinen Weg suchender Ball. Die Blumen, Schmetterlinge lügen ihre Farben, die Geigen, Flöten ihren Ton. ... Es ist nicht ein Baustein, sondern ein Grundstein der heutigen Weltansicht, daß es so ist, wie ich sagte, daß es ist; glücklich, daß sie doch in etwas stimmt. Was wir der Welt um uns abzusehen, abzuhören meinen, es ist alles nur unser innerer Schein, eine Illusion, die man sich loben kann, wie ichs noch jüngst gelesen, bleibt aber eine Illusion. ..." Diese» Gedanken der Nnchtausicht gegenüber will Fechner einen Blick thun ins Weite, Hohe, Lichte einer Weltanschauung, die dem Herzen eine Befriedigung gewähren kaun. „Und geht uns nicht die Welt selbst ringsum mehr zu Herzen und ist mehr nach unsern: Herzen, wenn die Sonne ihren Glanz, der Himmel sein Blau, das Meer sein Rauschen uns treulich mit vertraut, die Buche, ehe die Axt sie fällt, um uns zu wärme», erst aufwärts strebt, um selber Licht und Wärme zu genieße», als wen» uns alles das nur anlügt, wie die Nachtansicht es lügt? Zur Wahrheit, die der Geist verlangt, verlangt das Herz nach Schönheit; kann es aber eine schönere Welt geben, als worin die Schönheit selber zur Wahr¬ heit wird?" Welch ein Unterschied in der Betrachtungsweise, dort der fast trivial er¬ scheinenden Beispiele einer Ausführung vou unten herauf, und hier der ab¬ schließenden Gedanken! Wir können von Fechners Ästhetik nicht Abschied nehmen, ohne noch einiger kleinen Schriften zu gedenken. Fechner gehört zu unsern besten Humoristen. Man hat ihn oft mit Jean Paul verglichen, dessen Einfluß sich besonders in einer Sammlung humoristischer Aufsätze zeigt, die der jugendliche Fechner als Mises 1824 unter dem Titel LtÄpslm inixw veröffentlichte. Bald jedoch machte sich Fechner unabhängig, und durch seine innigen Beziehungen zur Naturforschung einerseits, durch das hochgreifeude ethische Interesse anderseits gewannen die Miscsschriften eine Eigenart, die ihnen einen bleibenden Wert verleiht. Mit richtigem Gefühl hierfür hat Fechner in den „Kleinen Schriften von Mises" nnr diese charakteristischen Erzeugnisse seines Humors aufgenommen: die „Schutz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/127>, abgerufen am 28.07.2024.