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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^307 und ^303.

soldeten Truppen, die vorhandnen Bewaffnungsgegenstände, Proviantvorrüte
waren nicht angelegt, die Festungswerke wurden ruhig dem Verfall preisgegeben,
die Gewehre in schlechtem Zustande gelassen, für Munition, für warme Kleidung
nicht im mindesten gesorgt. Es gab nur ein Mittel, hier Ordnung zu schaffen:
"Unterordnung aller militärischen Instanzen unter eine einzige Behörde, das
Kriegsministerium."

Die Errichtung eines solchen hatte der Freiherr vom Stein bereits im
Frühjahr 1806 verlangt; in dem Organisationsplane, den er auf Grund von
Vorarbeiten Scharnhorsts am 23. November 1807 dein Könige einreichte, stellte
er von neuem diese Forderung. Und zwar sollte das einzusetzende Kriegs¬
ministerium in zwei Abteilung"? zerfallen: der einen sollte die Verfassung und
das Kommando, der andern die ökonomische Verwaltung des Heeres anvertraut
sein. Hierzu erteilte Friedrich Wilhelm III., nachdem Lottum, der ihm besonders
abgeraten hatte, entfernt war, am 15. Juli 1808 seine Zustimmung, ohne aller¬
dings das Kriegsministerium förmlich und endgiltig einzusetzen.

Der erste große Vorteil, welchen die Stiftung einer für die gesamte
militärische Verwaltung Verantwortliche Zentralbehörde mit sich brachte, war
der Wegfall der Kapitulationen mit den Chefs der Regimenter. "Die Ein¬
künfte, welche ein General bisher, sei es als Regiments-, sei es als Kompagnie¬
chef, bezogen hatte, wurden aufgehoben; vom 1. August 1808 erhielten sämtliche
Generale ihren Gehalt unmittelbar aus der Gencralkriegskasse. Gleichzeitig
wurden die Regimentskommandeure aus dem Abhängigkeitsverhältnisse, in dem
sie bisher zu den Ncgimentschefs gestanden, befreit: fortan hatten sie den Be¬
fehl über ihr Regiment allein. Die Würde des Regimcntschefs selber wurde
nicht abgeschafft, aber sie sank zu einer Ehrenbezeugung herab, durch welche
fortan, wenn sich die Gelegenheit bot, verdiente Führer des vaterländischen
Heeres und Mitglieder der Fürstenfamilien des In- und Auslandes ausge¬
zeichnet wurden." Auch die Gcneralinspektenre wurden abgeschafft: "jetzt erst
war die Armee ganz des Königs, der letzte Nest der Landsknechtszeit ans ihrer
Zentralverwaltung entfernt: wie es seit dem 9. Oktober 1807 keine Unterthanen
der Unterthanen mehr gab, so seit dem Sommer 1808 keine Soldaten der
Soldaten."

Dies sind die wesentlichsten militärischen Reformen, mit welchen der große
Umschwung des preußischen Heerwesens eingeleitet wurde. Seinen Abschluß hat
er erst erhalten, nachdem Scharnhorst, die Seele dieser Bestrebungen, am 31. Mai
1813 den Tod fürs Vaterland gestorben war. Die neue Lehre vom Kriege,
die er verkündigt hatte, ist dann von Klausewitz litterarisch begründet worden.
Alle kriegerischen Erfolge aber verdankt der preußische Staat der allgemeinen
Wehrpflicht, aber auch deren endgiltige Einführung (3. September 1814) hat
ihr intellektueller Urheber Scharnhorst nicht erlebt.


tons. Altmann.


Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^307 und ^303.

soldeten Truppen, die vorhandnen Bewaffnungsgegenstände, Proviantvorrüte
waren nicht angelegt, die Festungswerke wurden ruhig dem Verfall preisgegeben,
die Gewehre in schlechtem Zustande gelassen, für Munition, für warme Kleidung
nicht im mindesten gesorgt. Es gab nur ein Mittel, hier Ordnung zu schaffen:
„Unterordnung aller militärischen Instanzen unter eine einzige Behörde, das
Kriegsministerium."

Die Errichtung eines solchen hatte der Freiherr vom Stein bereits im
Frühjahr 1806 verlangt; in dem Organisationsplane, den er auf Grund von
Vorarbeiten Scharnhorsts am 23. November 1807 dein Könige einreichte, stellte
er von neuem diese Forderung. Und zwar sollte das einzusetzende Kriegs¬
ministerium in zwei Abteilung«? zerfallen: der einen sollte die Verfassung und
das Kommando, der andern die ökonomische Verwaltung des Heeres anvertraut
sein. Hierzu erteilte Friedrich Wilhelm III., nachdem Lottum, der ihm besonders
abgeraten hatte, entfernt war, am 15. Juli 1808 seine Zustimmung, ohne aller¬
dings das Kriegsministerium förmlich und endgiltig einzusetzen.

Der erste große Vorteil, welchen die Stiftung einer für die gesamte
militärische Verwaltung Verantwortliche Zentralbehörde mit sich brachte, war
der Wegfall der Kapitulationen mit den Chefs der Regimenter. „Die Ein¬
künfte, welche ein General bisher, sei es als Regiments-, sei es als Kompagnie¬
chef, bezogen hatte, wurden aufgehoben; vom 1. August 1808 erhielten sämtliche
Generale ihren Gehalt unmittelbar aus der Gencralkriegskasse. Gleichzeitig
wurden die Regimentskommandeure aus dem Abhängigkeitsverhältnisse, in dem
sie bisher zu den Ncgimentschefs gestanden, befreit: fortan hatten sie den Be¬
fehl über ihr Regiment allein. Die Würde des Regimcntschefs selber wurde
nicht abgeschafft, aber sie sank zu einer Ehrenbezeugung herab, durch welche
fortan, wenn sich die Gelegenheit bot, verdiente Führer des vaterländischen
Heeres und Mitglieder der Fürstenfamilien des In- und Auslandes ausge¬
zeichnet wurden." Auch die Gcneralinspektenre wurden abgeschafft: „jetzt erst
war die Armee ganz des Königs, der letzte Nest der Landsknechtszeit ans ihrer
Zentralverwaltung entfernt: wie es seit dem 9. Oktober 1807 keine Unterthanen
der Unterthanen mehr gab, so seit dem Sommer 1808 keine Soldaten der
Soldaten."

Dies sind die wesentlichsten militärischen Reformen, mit welchen der große
Umschwung des preußischen Heerwesens eingeleitet wurde. Seinen Abschluß hat
er erst erhalten, nachdem Scharnhorst, die Seele dieser Bestrebungen, am 31. Mai
1813 den Tod fürs Vaterland gestorben war. Die neue Lehre vom Kriege,
die er verkündigt hatte, ist dann von Klausewitz litterarisch begründet worden.
Alle kriegerischen Erfolge aber verdankt der preußische Staat der allgemeinen
Wehrpflicht, aber auch deren endgiltige Einführung (3. September 1814) hat
ihr intellektueller Urheber Scharnhorst nicht erlebt.


tons. Altmann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/120>, abgerufen am 01.09.2024.