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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^30? und ^308.

Subjekte entweder als Portepeefähnriche oder als Offiziere zuzusenden." Aus
diesem "Reglement über die Besetzung der Stellen der Portepcefähnriche und
über die Wahl zum Offizier bei der Infanterie, Kavallerie und Artillerie" vom

6. August 1808 dürften besonders die Anforderungen, welche in den beiden
Prüfungen gemacht wurden, Interesse erregen. Zum Portepeefähnrich waren
folgende Kenntnisse erforderlich: "1. Erträgliches Schreiben in Hinsicht der
Kalligraphie und Orthographie; 2. Arithmetik lüll. Proportionen und Brüche;
3. ebene Geometrie, die ersten Anfangsgründe; 4. Planzeichnen, verständlich,
wenngleich nicht schön; ü. Elementargeographie; 6. allgemeine Weltgeschichte,
vaterländische Geschichte." Wer in Friedenszeiten Offizier werden wollte, mußte
folgende Kenntnisse aufweisen können: "1. Fertigkeit und Präzision in schrift¬
lichen Aufsätzen über militärische Gegenstände; 2. französische Sprache, so viel,
daß er aus dem Französischen ins Deutsche übersetzen kann; 3. reine Mathe¬
matik bis zu den Gleichungen vom zweiten Grade, ebene Geometrie und ebene
Trigonometrie; 4. Anfangsgründe der Feldfortisikation und permanenten Forti-
fikation; 5. Zeichnen der Situationskarten und Pläne, richtig und verständlich,
ohne große Schönheit; Ausstecken einer Verschanzung, Anstellung und Berechnung
der Arbeiter und Arbeiten von Verschanzungen und Aufnahme eines kleinen
Bezirks, einer Gegend, eines Postens; 6. erweiterte Geographie und Statistik;
7. Weltgeschichte und vaterländische Geschichte."

Mit der Reform des Offizierstandes aber durften sich Scharnhorst und
seine Freunde, welche, wie erwähnt, in der Armee die Kräfte aller Staatsbürger
vereinigt sehen wollten, nicht begnügen; auch eine Reorganisation der Mann¬
schaften mußten sie anstreben, zumal da diese offenbar noch notwendiger als
jene war. Dies erhellt aus dem Wesen der stehenden Heere der damaligen
Zeit. Seit dem dreißigjährigen Kriege bestanden diese fast ganz aus teils ge¬
wordenen, teils durch List und Gewalt zum Soldatenhandwerk gezwungenen
Ausländern. Obwohl Friedrich der Große im "Antimacchiavelli" die Vorzüge
eines einheimischen und die Nachteile eines gewordenen Heeres scharfsinnig aus¬
einandergesetzt hatte, war er doch in der Praxis von diesen Normen beinahe
völlig abgewichen: ohne weiteres hatte er gefangene Österreicher in seine Regi¬
menter gesteckt, Mannschaften in Feindesland ausgehoben. Obgleich er dabei
natürlich die schlimmsten Erfahrungen gemacht hatte und vou der Vortrefflichkeit
des von seinem Vater eingeführten Kantonsystems, wonach den einzelnen Regi¬
mentern bestimmte Bezirke zur Zwangsaushebung zugewiesen waren, überzeugt
war, wandte er es doch aus Furcht, daß es die Kultur des Landes, besonders
die von ihm so begünstigte Industrie, schädigen könnte, nur in äußerst milder
Form an und ließ insbesondre für die gebildeten und wohlhabenden Klassen
zahllose Befreiungen zu. So kam es, daß manche seiner Regimenter ganz aus
Gewordenen bestanden. "Die Idee, daß der Waffendienst eine gemeine staat¬
liche Pflicht sei, ist ihm nicht aufgegangen."


Die Anfänge der Heeresreform in Preußen ^30? und ^308.

Subjekte entweder als Portepeefähnriche oder als Offiziere zuzusenden." Aus
diesem „Reglement über die Besetzung der Stellen der Portepcefähnriche und
über die Wahl zum Offizier bei der Infanterie, Kavallerie und Artillerie" vom

6. August 1808 dürften besonders die Anforderungen, welche in den beiden
Prüfungen gemacht wurden, Interesse erregen. Zum Portepeefähnrich waren
folgende Kenntnisse erforderlich: „1. Erträgliches Schreiben in Hinsicht der
Kalligraphie und Orthographie; 2. Arithmetik lüll. Proportionen und Brüche;
3. ebene Geometrie, die ersten Anfangsgründe; 4. Planzeichnen, verständlich,
wenngleich nicht schön; ü. Elementargeographie; 6. allgemeine Weltgeschichte,
vaterländische Geschichte." Wer in Friedenszeiten Offizier werden wollte, mußte
folgende Kenntnisse aufweisen können: „1. Fertigkeit und Präzision in schrift¬
lichen Aufsätzen über militärische Gegenstände; 2. französische Sprache, so viel,
daß er aus dem Französischen ins Deutsche übersetzen kann; 3. reine Mathe¬
matik bis zu den Gleichungen vom zweiten Grade, ebene Geometrie und ebene
Trigonometrie; 4. Anfangsgründe der Feldfortisikation und permanenten Forti-
fikation; 5. Zeichnen der Situationskarten und Pläne, richtig und verständlich,
ohne große Schönheit; Ausstecken einer Verschanzung, Anstellung und Berechnung
der Arbeiter und Arbeiten von Verschanzungen und Aufnahme eines kleinen
Bezirks, einer Gegend, eines Postens; 6. erweiterte Geographie und Statistik;
7. Weltgeschichte und vaterländische Geschichte."

Mit der Reform des Offizierstandes aber durften sich Scharnhorst und
seine Freunde, welche, wie erwähnt, in der Armee die Kräfte aller Staatsbürger
vereinigt sehen wollten, nicht begnügen; auch eine Reorganisation der Mann¬
schaften mußten sie anstreben, zumal da diese offenbar noch notwendiger als
jene war. Dies erhellt aus dem Wesen der stehenden Heere der damaligen
Zeit. Seit dem dreißigjährigen Kriege bestanden diese fast ganz aus teils ge¬
wordenen, teils durch List und Gewalt zum Soldatenhandwerk gezwungenen
Ausländern. Obwohl Friedrich der Große im „Antimacchiavelli" die Vorzüge
eines einheimischen und die Nachteile eines gewordenen Heeres scharfsinnig aus¬
einandergesetzt hatte, war er doch in der Praxis von diesen Normen beinahe
völlig abgewichen: ohne weiteres hatte er gefangene Österreicher in seine Regi¬
menter gesteckt, Mannschaften in Feindesland ausgehoben. Obgleich er dabei
natürlich die schlimmsten Erfahrungen gemacht hatte und vou der Vortrefflichkeit
des von seinem Vater eingeführten Kantonsystems, wonach den einzelnen Regi¬
mentern bestimmte Bezirke zur Zwangsaushebung zugewiesen waren, überzeugt
war, wandte er es doch aus Furcht, daß es die Kultur des Landes, besonders
die von ihm so begünstigte Industrie, schädigen könnte, nur in äußerst milder
Form an und ließ insbesondre für die gebildeten und wohlhabenden Klassen
zahllose Befreiungen zu. So kam es, daß manche seiner Regimenter ganz aus
Gewordenen bestanden. „Die Idee, daß der Waffendienst eine gemeine staat¬
liche Pflicht sei, ist ihm nicht aufgegangen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/116>, abgerufen am 01.09.2024.