Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ricks Lyhne.

mit rotgraucn Turbanen und gelben Helmbüschen -- Kletten und Königskerzen
von mächtigem Wuchs; dort war erst das richtige Mauretanien, denn diese
grenzenlose Üppigkeit, diese unübersehbaren Massen wuchernden Lebens reizten
den Zerstörungsgeist, berauschten den Sinn mit der Wollust des Vernichtens,
und die hölzernen Schwerter blitzten mit dem Glänze des Stahles, der grüne
Pflanzensaft färbte die Klingen blutrot, und die abgehauenen Stengel, welche
die Füße zermalmten, waren Türkenleiber, die von Pferdehufen zerstampft
wurden.

Unten am Meeresstrande hatten sie gespielt; sie sandten Muschelschalen aus,
das waren Schiffe, und wenn ein Stückchen Seetang ihren Lauf hemmte
oder wenn sie an einer Sandbank landeten, so stellte das Columbus im
Sargassomeere vor oder die Entdeckung von Amerika. Hafenanlagen wurden
gemacht und mächtige Dämme, sie gruben den Nil in dem festen Sande am
Strande aus, und einmal bauten sie aus Kieselsteinen das Schloß Gurre, ein
kleiner, toter Fisch in einer Austernschale war die tote Tope, und sie selber
waren König Waldemar, der trauernd an dem Leichnam der Geliebten saß.

Aber das war alles vorbei.

Ricks war jetzt ein großer Knabe, er war zwölf Jahre alt und brauchte
nicht mehr auf Disteln und Kletten loszuhauen, um seinen Nittcrphantasien zu
genügen, wie er denn auch nicht mehr nötig hatte, seine Entdeckungsträume in
Muschelschalen aussegeln zu lassen; jetzt genügten ihm ein Buch und eine Sopha-
ecke, und reichte auch das nicht aus, wollte ihn das Buch nicht an eine Küste
tragen, die ihm lieb war, so suchte er Frithjof auf und erzählte ihm die Ge¬
schichte, die das Buch ihm versagt hatte. Arm in Arm gingen sie dann den
Weg entlang, der eine erzählend, beide lauschend; wollten sie aber so recht ge¬
nießen, der Phantasie ihren freien Lauf lassen, so versteckten sie sich in dem
duftigen Halbdunkel des Heubodens. Doch bald wurden diese Geschichten, die
ja immer endeten, wenn man sich eben in sie hineingelebt hatte, zu einer
einzigen, langen Geschichte, die niemals ein Ende nahm, sondern eine Generation
nach der andern zu Grabe trug; denn war der Held zu alt geworden oder
hatte man ihn unvorsichtigerweise umkommen lassen, so gab man ihm einen
Sohn, der die Erbschaft des Vaters antrat und den man gleichzeitig mit all
den neuen Eigenschaften ausstatten konnte, auf die man in dem Augenblicke ein
besondres Gewicht legte.

Alles, was Eindruck auf Ricks gemacht hatte, was er gesehen, was er ver¬
standen und was er mißverstanden hatte, was er bewunderte, sowie das, wovon
er wußte, daß man es bewundern sollte, alles dies kam in die Geschichte. Wie
ein fließendes Wasser von jedem Bilde gefärbt wird, das sich seinem Spiegel
nähert, und je nachdem der Zufall es will, das Bild in ungestörter Klarheit
wiedergiebt, oder es verzerrt und verunstaltet, oder es in wellenförmigen, un¬
sicher zitternden Umrissen zurückwirft, oder auch es ganz im Spiel der eignen


Ricks Lyhne.

mit rotgraucn Turbanen und gelben Helmbüschen — Kletten und Königskerzen
von mächtigem Wuchs; dort war erst das richtige Mauretanien, denn diese
grenzenlose Üppigkeit, diese unübersehbaren Massen wuchernden Lebens reizten
den Zerstörungsgeist, berauschten den Sinn mit der Wollust des Vernichtens,
und die hölzernen Schwerter blitzten mit dem Glänze des Stahles, der grüne
Pflanzensaft färbte die Klingen blutrot, und die abgehauenen Stengel, welche
die Füße zermalmten, waren Türkenleiber, die von Pferdehufen zerstampft
wurden.

Unten am Meeresstrande hatten sie gespielt; sie sandten Muschelschalen aus,
das waren Schiffe, und wenn ein Stückchen Seetang ihren Lauf hemmte
oder wenn sie an einer Sandbank landeten, so stellte das Columbus im
Sargassomeere vor oder die Entdeckung von Amerika. Hafenanlagen wurden
gemacht und mächtige Dämme, sie gruben den Nil in dem festen Sande am
Strande aus, und einmal bauten sie aus Kieselsteinen das Schloß Gurre, ein
kleiner, toter Fisch in einer Austernschale war die tote Tope, und sie selber
waren König Waldemar, der trauernd an dem Leichnam der Geliebten saß.

Aber das war alles vorbei.

Ricks war jetzt ein großer Knabe, er war zwölf Jahre alt und brauchte
nicht mehr auf Disteln und Kletten loszuhauen, um seinen Nittcrphantasien zu
genügen, wie er denn auch nicht mehr nötig hatte, seine Entdeckungsträume in
Muschelschalen aussegeln zu lassen; jetzt genügten ihm ein Buch und eine Sopha-
ecke, und reichte auch das nicht aus, wollte ihn das Buch nicht an eine Küste
tragen, die ihm lieb war, so suchte er Frithjof auf und erzählte ihm die Ge¬
schichte, die das Buch ihm versagt hatte. Arm in Arm gingen sie dann den
Weg entlang, der eine erzählend, beide lauschend; wollten sie aber so recht ge¬
nießen, der Phantasie ihren freien Lauf lassen, so versteckten sie sich in dem
duftigen Halbdunkel des Heubodens. Doch bald wurden diese Geschichten, die
ja immer endeten, wenn man sich eben in sie hineingelebt hatte, zu einer
einzigen, langen Geschichte, die niemals ein Ende nahm, sondern eine Generation
nach der andern zu Grabe trug; denn war der Held zu alt geworden oder
hatte man ihn unvorsichtigerweise umkommen lassen, so gab man ihm einen
Sohn, der die Erbschaft des Vaters antrat und den man gleichzeitig mit all
den neuen Eigenschaften ausstatten konnte, auf die man in dem Augenblicke ein
besondres Gewicht legte.

Alles, was Eindruck auf Ricks gemacht hatte, was er gesehen, was er ver¬
standen und was er mißverstanden hatte, was er bewunderte, sowie das, wovon
er wußte, daß man es bewundern sollte, alles dies kam in die Geschichte. Wie
ein fließendes Wasser von jedem Bilde gefärbt wird, das sich seinem Spiegel
nähert, und je nachdem der Zufall es will, das Bild in ungestörter Klarheit
wiedergiebt, oder es verzerrt und verunstaltet, oder es in wellenförmigen, un¬
sicher zitternden Umrissen zurückwirft, oder auch es ganz im Spiel der eignen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202879"/>
            <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_311" prev="#ID_310"> mit rotgraucn Turbanen und gelben Helmbüschen &#x2014; Kletten und Königskerzen<lb/>
von mächtigem Wuchs; dort war erst das richtige Mauretanien, denn diese<lb/>
grenzenlose Üppigkeit, diese unübersehbaren Massen wuchernden Lebens reizten<lb/>
den Zerstörungsgeist, berauschten den Sinn mit der Wollust des Vernichtens,<lb/>
und die hölzernen Schwerter blitzten mit dem Glänze des Stahles, der grüne<lb/>
Pflanzensaft färbte die Klingen blutrot, und die abgehauenen Stengel, welche<lb/>
die Füße zermalmten, waren Türkenleiber, die von Pferdehufen zerstampft<lb/>
wurden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_312"> Unten am Meeresstrande hatten sie gespielt; sie sandten Muschelschalen aus,<lb/>
das waren Schiffe, und wenn ein Stückchen Seetang ihren Lauf hemmte<lb/>
oder wenn sie an einer Sandbank landeten, so stellte das Columbus im<lb/>
Sargassomeere vor oder die Entdeckung von Amerika. Hafenanlagen wurden<lb/>
gemacht und mächtige Dämme, sie gruben den Nil in dem festen Sande am<lb/>
Strande aus, und einmal bauten sie aus Kieselsteinen das Schloß Gurre, ein<lb/>
kleiner, toter Fisch in einer Austernschale war die tote Tope, und sie selber<lb/>
waren König Waldemar, der trauernd an dem Leichnam der Geliebten saß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_313"> Aber das war alles vorbei.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_314"> Ricks war jetzt ein großer Knabe, er war zwölf Jahre alt und brauchte<lb/>
nicht mehr auf Disteln und Kletten loszuhauen, um seinen Nittcrphantasien zu<lb/>
genügen, wie er denn auch nicht mehr nötig hatte, seine Entdeckungsträume in<lb/>
Muschelschalen aussegeln zu lassen; jetzt genügten ihm ein Buch und eine Sopha-<lb/>
ecke, und reichte auch das nicht aus, wollte ihn das Buch nicht an eine Küste<lb/>
tragen, die ihm lieb war, so suchte er Frithjof auf und erzählte ihm die Ge¬<lb/>
schichte, die das Buch ihm versagt hatte. Arm in Arm gingen sie dann den<lb/>
Weg entlang, der eine erzählend, beide lauschend; wollten sie aber so recht ge¬<lb/>
nießen, der Phantasie ihren freien Lauf lassen, so versteckten sie sich in dem<lb/>
duftigen Halbdunkel des Heubodens. Doch bald wurden diese Geschichten, die<lb/>
ja immer endeten, wenn man sich eben in sie hineingelebt hatte, zu einer<lb/>
einzigen, langen Geschichte, die niemals ein Ende nahm, sondern eine Generation<lb/>
nach der andern zu Grabe trug; denn war der Held zu alt geworden oder<lb/>
hatte man ihn unvorsichtigerweise umkommen lassen, so gab man ihm einen<lb/>
Sohn, der die Erbschaft des Vaters antrat und den man gleichzeitig mit all<lb/>
den neuen Eigenschaften ausstatten konnte, auf die man in dem Augenblicke ein<lb/>
besondres Gewicht legte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_315" next="#ID_316"> Alles, was Eindruck auf Ricks gemacht hatte, was er gesehen, was er ver¬<lb/>
standen und was er mißverstanden hatte, was er bewunderte, sowie das, wovon<lb/>
er wußte, daß man es bewundern sollte, alles dies kam in die Geschichte. Wie<lb/>
ein fließendes Wasser von jedem Bilde gefärbt wird, das sich seinem Spiegel<lb/>
nähert, und je nachdem der Zufall es will, das Bild in ungestörter Klarheit<lb/>
wiedergiebt, oder es verzerrt und verunstaltet, oder es in wellenförmigen, un¬<lb/>
sicher zitternden Umrissen zurückwirft, oder auch es ganz im Spiel der eignen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0102] Ricks Lyhne. mit rotgraucn Turbanen und gelben Helmbüschen — Kletten und Königskerzen von mächtigem Wuchs; dort war erst das richtige Mauretanien, denn diese grenzenlose Üppigkeit, diese unübersehbaren Massen wuchernden Lebens reizten den Zerstörungsgeist, berauschten den Sinn mit der Wollust des Vernichtens, und die hölzernen Schwerter blitzten mit dem Glänze des Stahles, der grüne Pflanzensaft färbte die Klingen blutrot, und die abgehauenen Stengel, welche die Füße zermalmten, waren Türkenleiber, die von Pferdehufen zerstampft wurden. Unten am Meeresstrande hatten sie gespielt; sie sandten Muschelschalen aus, das waren Schiffe, und wenn ein Stückchen Seetang ihren Lauf hemmte oder wenn sie an einer Sandbank landeten, so stellte das Columbus im Sargassomeere vor oder die Entdeckung von Amerika. Hafenanlagen wurden gemacht und mächtige Dämme, sie gruben den Nil in dem festen Sande am Strande aus, und einmal bauten sie aus Kieselsteinen das Schloß Gurre, ein kleiner, toter Fisch in einer Austernschale war die tote Tope, und sie selber waren König Waldemar, der trauernd an dem Leichnam der Geliebten saß. Aber das war alles vorbei. Ricks war jetzt ein großer Knabe, er war zwölf Jahre alt und brauchte nicht mehr auf Disteln und Kletten loszuhauen, um seinen Nittcrphantasien zu genügen, wie er denn auch nicht mehr nötig hatte, seine Entdeckungsträume in Muschelschalen aussegeln zu lassen; jetzt genügten ihm ein Buch und eine Sopha- ecke, und reichte auch das nicht aus, wollte ihn das Buch nicht an eine Küste tragen, die ihm lieb war, so suchte er Frithjof auf und erzählte ihm die Ge¬ schichte, die das Buch ihm versagt hatte. Arm in Arm gingen sie dann den Weg entlang, der eine erzählend, beide lauschend; wollten sie aber so recht ge¬ nießen, der Phantasie ihren freien Lauf lassen, so versteckten sie sich in dem duftigen Halbdunkel des Heubodens. Doch bald wurden diese Geschichten, die ja immer endeten, wenn man sich eben in sie hineingelebt hatte, zu einer einzigen, langen Geschichte, die niemals ein Ende nahm, sondern eine Generation nach der andern zu Grabe trug; denn war der Held zu alt geworden oder hatte man ihn unvorsichtigerweise umkommen lassen, so gab man ihm einen Sohn, der die Erbschaft des Vaters antrat und den man gleichzeitig mit all den neuen Eigenschaften ausstatten konnte, auf die man in dem Augenblicke ein besondres Gewicht legte. Alles, was Eindruck auf Ricks gemacht hatte, was er gesehen, was er ver¬ standen und was er mißverstanden hatte, was er bewunderte, sowie das, wovon er wußte, daß man es bewundern sollte, alles dies kam in die Geschichte. Wie ein fließendes Wasser von jedem Bilde gefärbt wird, das sich seinem Spiegel nähert, und je nachdem der Zufall es will, das Bild in ungestörter Klarheit wiedergiebt, oder es verzerrt und verunstaltet, oder es in wellenförmigen, un¬ sicher zitternden Umrissen zurückwirft, oder auch es ganz im Spiel der eignen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/102
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/102>, abgerufen am 09.11.2024.