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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

schreiben; verraten wird uns nur der Anfang: "Seid ihr ein Fremder, mein
Herr?" Ihnen folgte eines, das wir nicht ohne eine dem Gedanken nach frei¬
lich leicht auszufüllende Lücke erhalten: "Kaffee wollen wir trinken, mein Herr____
Hab' ich doch, Freunde, mit Recht immer den Kaffee gehaßt." Bei solcher
Scheu fällt es auf, daß das auch gerade nicht feine, dazu persönlich verletzende
Epigramm auf den jüngern Campe Gnade gefunden hat. Und widerspricht
diese Enthaltsamkeit nicht der bei den gedruckten Elegien herrschenden Freiheit?
Ja es hätte dann auch hie und da eine derbere Lesart nicht verzeichnet werden
dürfen, wie z. V. in den Elegien 230 "sich auf deu Rücken gelegt." Bedenklich
erscheint diese Beschränkung besonders für den vierten Band, in welchem die
zahlreichen noch ungedruckten kleinen Gedichte erscheinen sollen. Sind doch selbst
die in vielen Drucken verbreiteten Stanzen "Das Tagebuch" von unsrer Aus¬
gabe ausgeschlossen, weil nach Eckermanns Zeugnis aus dem Sommer 1832
dieses und andre auf der Weimarer Bibliothek niedergelegte, ungedruckte Gedichte
"niemals veröffentlicht werden sollten." Daß Goethes Äußerung so bestimme
gelautet habe, dürfte man doch bezweifeln; er meinte Wohl nur, die Dichtung solle
in nächster Zeit nicht bekannt gemacht werden, behielt ihre Veröffentlichung
einer spätern vor, und deshalb vernichtete er sie nicht.
"

Kurz fassen müssen wir uns über den "Faust. Die bedeutendste hand¬
schriftliche Mitteilung bot die vom Herausgeber Erich Schmidt entdeckte alte
Abschrift der ersten Fassung von 1774/75, die freilich nur selten zur Text¬
bestimmung verwandt werden kann. Sonst haben von bisher nicht benutzten
Handschriften neun Verse des Vorspiels, der Schluß des Prologs im Himmel,
dann vier Verse zwischen Martha und Mephistopheles im Garten, die Domszene
und endlich zwei Strophen des Walpurgisnachtstraumes vorgelegen, alle ohne be¬
sondre Bedeutung. Bei den Drucken, die hier, abweichend von den Gedichten, den
Handschriften vorangehen, müssen wir es als irrig bezeichnen, wenn die Proben
im "Morgenblatt" (April und Mai 1808) als dem Drucke in der neuen Aus¬
gabe der Werke vorangehend betrachtet werden; sie wurden nach dem be¬
treffenden Bande der Werke gedruckt, sodaß ihre Abweichungen willkürlich sind.
Auch scheint es uns sehr überflüssig, daß das Motto der betreffenden Nummern
angegeben wird, dessen Wahl einzig vom Herausgeber der Zeitschrift abhing.
Die Einzelausgabe des "Faust" von 1808 ist gleichfalls aus dem Drucke der
Werke hervorgegangen. Auch der die Jahreszahl 1816 tragende "Faust" beruht
auf derselben Vorlage mit dem neunten Bande der Ausgabe der Werke, von
welcher 1817 Band 9 bis 14 erschienen. Goethe hatte zu dieser den "Faust"
neu durchgesehen und dabei die Verse 2750 und 3578 geändert, aber leider
ward diese ganze Ausgabe sehr nachlässig gedruckt. Schmidt bemerkt, daß es
neben dem ersten Abdruck des neunten Bandes einen zweiten auf grauem Papier
giebt, der sich durch neue Druckfehler kenntlich macht.

Der Herausgeber hat, wie in der Rechtschreibung und Satzzeichuung, auch


Grenzboten I. 1888. 12
Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

schreiben; verraten wird uns nur der Anfang: „Seid ihr ein Fremder, mein
Herr?" Ihnen folgte eines, das wir nicht ohne eine dem Gedanken nach frei¬
lich leicht auszufüllende Lücke erhalten: „Kaffee wollen wir trinken, mein Herr____
Hab' ich doch, Freunde, mit Recht immer den Kaffee gehaßt." Bei solcher
Scheu fällt es auf, daß das auch gerade nicht feine, dazu persönlich verletzende
Epigramm auf den jüngern Campe Gnade gefunden hat. Und widerspricht
diese Enthaltsamkeit nicht der bei den gedruckten Elegien herrschenden Freiheit?
Ja es hätte dann auch hie und da eine derbere Lesart nicht verzeichnet werden
dürfen, wie z. V. in den Elegien 230 „sich auf deu Rücken gelegt." Bedenklich
erscheint diese Beschränkung besonders für den vierten Band, in welchem die
zahlreichen noch ungedruckten kleinen Gedichte erscheinen sollen. Sind doch selbst
die in vielen Drucken verbreiteten Stanzen „Das Tagebuch" von unsrer Aus¬
gabe ausgeschlossen, weil nach Eckermanns Zeugnis aus dem Sommer 1832
dieses und andre auf der Weimarer Bibliothek niedergelegte, ungedruckte Gedichte
„niemals veröffentlicht werden sollten." Daß Goethes Äußerung so bestimme
gelautet habe, dürfte man doch bezweifeln; er meinte Wohl nur, die Dichtung solle
in nächster Zeit nicht bekannt gemacht werden, behielt ihre Veröffentlichung
einer spätern vor, und deshalb vernichtete er sie nicht.
"

Kurz fassen müssen wir uns über den „Faust. Die bedeutendste hand¬
schriftliche Mitteilung bot die vom Herausgeber Erich Schmidt entdeckte alte
Abschrift der ersten Fassung von 1774/75, die freilich nur selten zur Text¬
bestimmung verwandt werden kann. Sonst haben von bisher nicht benutzten
Handschriften neun Verse des Vorspiels, der Schluß des Prologs im Himmel,
dann vier Verse zwischen Martha und Mephistopheles im Garten, die Domszene
und endlich zwei Strophen des Walpurgisnachtstraumes vorgelegen, alle ohne be¬
sondre Bedeutung. Bei den Drucken, die hier, abweichend von den Gedichten, den
Handschriften vorangehen, müssen wir es als irrig bezeichnen, wenn die Proben
im „Morgenblatt" (April und Mai 1808) als dem Drucke in der neuen Aus¬
gabe der Werke vorangehend betrachtet werden; sie wurden nach dem be¬
treffenden Bande der Werke gedruckt, sodaß ihre Abweichungen willkürlich sind.
Auch scheint es uns sehr überflüssig, daß das Motto der betreffenden Nummern
angegeben wird, dessen Wahl einzig vom Herausgeber der Zeitschrift abhing.
Die Einzelausgabe des „Faust" von 1808 ist gleichfalls aus dem Drucke der
Werke hervorgegangen. Auch der die Jahreszahl 1816 tragende „Faust" beruht
auf derselben Vorlage mit dem neunten Bande der Ausgabe der Werke, von
welcher 1817 Band 9 bis 14 erschienen. Goethe hatte zu dieser den „Faust"
neu durchgesehen und dabei die Verse 2750 und 3578 geändert, aber leider
ward diese ganze Ausgabe sehr nachlässig gedruckt. Schmidt bemerkt, daß es
neben dem ersten Abdruck des neunten Bandes einen zweiten auf grauem Papier
giebt, der sich durch neue Druckfehler kenntlich macht.

Der Herausgeber hat, wie in der Rechtschreibung und Satzzeichuung, auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/97>, abgerufen am 28.09.2024.