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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

stimmte Zusammenstellung, welche diese "dritte Sammlung Gedichte" bot, von
welcher die Ankündigung sagte, sie enthalte "Neues, Bekanntes gesammelt, ge¬
ordnet und in die gehörigen Verhältnisse gestellt." Die am Schlüsse nach den
Übersetzungen gegebene erste Hälfte der "Xenien" gehörte gar nicht an diese Stelle,
sie sollte nur den Band stärker machen. Die "vierte Sammlung Gedichte" brachte
im vierten Bande nach dem großen Maskenzüge von 1818 (die andern Masken-
zttge folgten erst im neunten Bande) Gelegenheitsgedichte ("Inschriften, Dent-
und Sendeblätter"), sodann eine Abteilung "Dramatisches," die den Prolog für
Berlin, ein paar Finales, ein für Fürst Nadziwill geschriebenes Intermezzo zu
"Faust," die Bruchstücke des Trauerspiels "Nausikaa" und, um in dieser ersten
Lieferung der Werke etwas höchstbcdentendes Neues zu geben, die eben
vollendete "Helena" enthielt, endlich am Schlüsse die zweite Hälfte der "Xenien,"
darunter "manche neue." Offenbar gab der Dichter, der sonst das Drama¬
tische vom Lyrischen streng schied, in seinem vierten lyrischen Bande nur deshalb
manches Dramatische, das bisher in den Werken noch nicht erschienen oder ganz
neu war, um ihm einen den vorhergehenden entsprechenden Umfang zu geben
und gleich der ersten Lieferung der neuen Ausgabe durch Unbekanntes eine be¬
sondre Anziehung zu verleihen. Der Gedanke, daß diese nicht ganz sachliche,
großenteils aus rein äußern Gründen des Augenblicks gemachte Anordnung
für alle Folgezeit maßgebend sein sollte, lag dem Dichter notwendig fern; ihm
war es hauptsächlich darum zu thun, daß noch zwei neue Bände Gedichte vor
den die lyrische Abteilung abschließenden "Divan" traten. Demnach erscheint es
uns völlig unberechtigt, wenn der neue dritte Band den Inhalt des entsprechenden
der Ausgabe letzter Hand in derselben Anordnung wiedergeben soll. Scherer,
der diese Ansicht zu begründen gesucht, hat die Veranlassung zur Anordnung
des dritten und vierten Bandes nicht beachtet. Sogar den vierten Band will
dieser in der Zusammenstellung der Ausgabe letzter Hand beibehalten wissen,
etwa mit Weglassung der "Helena," doch müsse ihr ehemaliger Platz darin er¬
sichtlich bleiben. Aber wenn Goethe bei der Anordnung der übrigen Bände
durch sachliche Gründe bestimmt wurde, so war das beim dritten und vierten
nicht der Fall. Jetzt, wo die damaligen äußern Gründe weggefallen sind, haben
die Herausgeber nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, das bunte Durch¬
einander nicht mehr zuzulassen, sie müssen die strenge Sonderung des Drama¬
tischen vom Lyrischen durchführen und die Gedichte des dritten Teiles denjenigen
Abteilungen der beiden ersten Teile hinzufügen, unter welche sie gehören. Das
haben Riemer und Eckermann richtig erkannt, die von Goethes Grundsätzen doch
wohl besser unterrichtet waren als neuere Forscher, abgesehen davon, daß ihr
Verfahren hier sachlich geboten war. Vom "Faust" bringt der vierzehnte Band
schon die ursprünglich im vierten Bande mitgeteilte Szene, wonach zu erwarten
ist, daß alles Dramatische dieses Bandes an seine Stelle gesetzt werden und der
vierte Band nach Fug und Recht nur Lyrisches bringen wird.


Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

stimmte Zusammenstellung, welche diese „dritte Sammlung Gedichte" bot, von
welcher die Ankündigung sagte, sie enthalte „Neues, Bekanntes gesammelt, ge¬
ordnet und in die gehörigen Verhältnisse gestellt." Die am Schlüsse nach den
Übersetzungen gegebene erste Hälfte der „Xenien" gehörte gar nicht an diese Stelle,
sie sollte nur den Band stärker machen. Die „vierte Sammlung Gedichte" brachte
im vierten Bande nach dem großen Maskenzüge von 1818 (die andern Masken-
zttge folgten erst im neunten Bande) Gelegenheitsgedichte („Inschriften, Dent-
und Sendeblätter"), sodann eine Abteilung „Dramatisches," die den Prolog für
Berlin, ein paar Finales, ein für Fürst Nadziwill geschriebenes Intermezzo zu
„Faust," die Bruchstücke des Trauerspiels „Nausikaa" und, um in dieser ersten
Lieferung der Werke etwas höchstbcdentendes Neues zu geben, die eben
vollendete „Helena" enthielt, endlich am Schlüsse die zweite Hälfte der „Xenien,"
darunter „manche neue." Offenbar gab der Dichter, der sonst das Drama¬
tische vom Lyrischen streng schied, in seinem vierten lyrischen Bande nur deshalb
manches Dramatische, das bisher in den Werken noch nicht erschienen oder ganz
neu war, um ihm einen den vorhergehenden entsprechenden Umfang zu geben
und gleich der ersten Lieferung der neuen Ausgabe durch Unbekanntes eine be¬
sondre Anziehung zu verleihen. Der Gedanke, daß diese nicht ganz sachliche,
großenteils aus rein äußern Gründen des Augenblicks gemachte Anordnung
für alle Folgezeit maßgebend sein sollte, lag dem Dichter notwendig fern; ihm
war es hauptsächlich darum zu thun, daß noch zwei neue Bände Gedichte vor
den die lyrische Abteilung abschließenden „Divan" traten. Demnach erscheint es
uns völlig unberechtigt, wenn der neue dritte Band den Inhalt des entsprechenden
der Ausgabe letzter Hand in derselben Anordnung wiedergeben soll. Scherer,
der diese Ansicht zu begründen gesucht, hat die Veranlassung zur Anordnung
des dritten und vierten Bandes nicht beachtet. Sogar den vierten Band will
dieser in der Zusammenstellung der Ausgabe letzter Hand beibehalten wissen,
etwa mit Weglassung der „Helena," doch müsse ihr ehemaliger Platz darin er¬
sichtlich bleiben. Aber wenn Goethe bei der Anordnung der übrigen Bände
durch sachliche Gründe bestimmt wurde, so war das beim dritten und vierten
nicht der Fall. Jetzt, wo die damaligen äußern Gründe weggefallen sind, haben
die Herausgeber nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, das bunte Durch¬
einander nicht mehr zuzulassen, sie müssen die strenge Sonderung des Drama¬
tischen vom Lyrischen durchführen und die Gedichte des dritten Teiles denjenigen
Abteilungen der beiden ersten Teile hinzufügen, unter welche sie gehören. Das
haben Riemer und Eckermann richtig erkannt, die von Goethes Grundsätzen doch
wohl besser unterrichtet waren als neuere Forscher, abgesehen davon, daß ihr
Verfahren hier sachlich geboten war. Vom „Faust" bringt der vierzehnte Band
schon die ursprünglich im vierten Bande mitgeteilte Szene, wonach zu erwarten
ist, daß alles Dramatische dieses Bandes an seine Stelle gesetzt werden und der
vierte Band nach Fug und Recht nur Lyrisches bringen wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/93>, abgerufen am 28.09.2024.