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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

treten auch zuweilen nach der Unsitte des vorigen Jahrhunderts einen bloßen
Punkt. In letzterer Beziehung spukt das Zeichen noch heute vielfach in Schillers
Werken, wo dieser hohle Gedankenstrich oft auf falsche Gedanken geführt hat.
Aber auch bei Goethe fehlt dieser Gebrauch des Gedankenstriches nicht. So ist
dieser ganz unbedenklich in einen Punkt oder auch in ein Ausrufungszeichen
umzusetzen nach dem vorletzten Verse des Gedichtes "Die Freuden," nach "Weg
dein Fleiß und deine Ruh" in "Neue Liebe, neues Leben." Als Zeichen der
Parenthese sollten nie Gedankenstriche, sondern nach heutigem Gebrauche nur
Klammern verwandt werden, wie Goethe sie im Jahre 1800 in den "Neuen
Schriften" in Epigramm 4 und auch einmal im zweiten Bande der Gedichte
(S. 254) gebraucht. Die Anwendung desselben Zeichens in ganz verschiednen
Sinne ist verwerflich.

Noch unregelmäßiger als in den Gedichten ist die Interpunktion der Aus¬
gabe letzter Hand im "Faust." Freilich ist auch hier in Übereinstimmung mit der
neuern Kritik manches geändert, aber viel Ungehöriges hat sich noch erhalten.
So findet sich an der Stelle des Punktes oder Ausrufungszeichens ein Ge¬
dankenstrich (132 zwei statt Punkt mit einem solchen) oder Komma, letzteres
statt eines Semikolons, Kolons oder Ausrufungszeichens, ja 1022 statt eines
solchen mit dem eine Pause andeutenden Gedankenstrich, da zwischen beiden
Versen Faust und Wagner zu dem Steine vorwärts gehen. Wenn 463 dnrch
Druckfehler von ^ nach den Worten: "Schon glüh' ich wie von neuem Wein"
statt des durchaus nötigen Punktes Komma steht, so wird dies sonderbar mit
"dem raschen Lauf der Rede" verteidigt, der doch unmöglich das Verhältnis der
Sätze zu einander ändern kann. Goethe hat sich mit Recht gegen die den
freien Fluß der Rede störende unnötige Kommatisirung erklärt; die neue Aus¬
gabe hat sie häufig in Wegfall gebracht, aber nicht überall, wo es nötig war,
wie wir, um nur ein Beispiel von vielen zu geben, noch immer lesen: "Der
einst, um Grabesnacht, von Engelslippen klang." Zwischen gleichstnfig neben
einander stehenden Beiwörtern setzt Goethe freilich regelmüßig kein Komma, aber
ein solches ist nötig, wo das zweite eine nähere Ausführung oder den Gegensatz
des ersten bildet. So möchten wir in "holden, belebenden Blick" (904), in
"übersinnlicher, sinnlicher Freier" (3534) das überlieferte Komma nicht missen.
Bei verstärkender Wiederholung desselben Wortes, wie alles alles, immer
immer, leise leise pflegte Goethe kein Komma dazwischentreten zu lassen;
wenn die neueste Ausgabe grundsätzlich umgekehrt verfährt, so wollen wir da¬
gegen keinen Einspruch erheben. Auf manche einzelne Stellen, wo uns die
Satzzeichnung verfehlt scheint, können wir hier nicht eingehen. Als Zeichen der
Parenthese werden auch im "Faust" zuweilen zwei Gedankenstriche verwandt,
wie 2744 f.; aber die alte Satzzeichnung 518: "O Tod! ich kenn's -- das ist
mein Famulus --" scheint uns doch völlig unhaltbar, da der Zusammenhang ver¬
langt: "Ich kenn's! das ist mein Famulus." Im Gebrauch der Anführungs-


Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

treten auch zuweilen nach der Unsitte des vorigen Jahrhunderts einen bloßen
Punkt. In letzterer Beziehung spukt das Zeichen noch heute vielfach in Schillers
Werken, wo dieser hohle Gedankenstrich oft auf falsche Gedanken geführt hat.
Aber auch bei Goethe fehlt dieser Gebrauch des Gedankenstriches nicht. So ist
dieser ganz unbedenklich in einen Punkt oder auch in ein Ausrufungszeichen
umzusetzen nach dem vorletzten Verse des Gedichtes „Die Freuden," nach „Weg
dein Fleiß und deine Ruh" in „Neue Liebe, neues Leben." Als Zeichen der
Parenthese sollten nie Gedankenstriche, sondern nach heutigem Gebrauche nur
Klammern verwandt werden, wie Goethe sie im Jahre 1800 in den „Neuen
Schriften" in Epigramm 4 und auch einmal im zweiten Bande der Gedichte
(S. 254) gebraucht. Die Anwendung desselben Zeichens in ganz verschiednen
Sinne ist verwerflich.

Noch unregelmäßiger als in den Gedichten ist die Interpunktion der Aus¬
gabe letzter Hand im „Faust." Freilich ist auch hier in Übereinstimmung mit der
neuern Kritik manches geändert, aber viel Ungehöriges hat sich noch erhalten.
So findet sich an der Stelle des Punktes oder Ausrufungszeichens ein Ge¬
dankenstrich (132 zwei statt Punkt mit einem solchen) oder Komma, letzteres
statt eines Semikolons, Kolons oder Ausrufungszeichens, ja 1022 statt eines
solchen mit dem eine Pause andeutenden Gedankenstrich, da zwischen beiden
Versen Faust und Wagner zu dem Steine vorwärts gehen. Wenn 463 dnrch
Druckfehler von ^ nach den Worten: „Schon glüh' ich wie von neuem Wein"
statt des durchaus nötigen Punktes Komma steht, so wird dies sonderbar mit
„dem raschen Lauf der Rede" verteidigt, der doch unmöglich das Verhältnis der
Sätze zu einander ändern kann. Goethe hat sich mit Recht gegen die den
freien Fluß der Rede störende unnötige Kommatisirung erklärt; die neue Aus¬
gabe hat sie häufig in Wegfall gebracht, aber nicht überall, wo es nötig war,
wie wir, um nur ein Beispiel von vielen zu geben, noch immer lesen: „Der
einst, um Grabesnacht, von Engelslippen klang." Zwischen gleichstnfig neben
einander stehenden Beiwörtern setzt Goethe freilich regelmüßig kein Komma, aber
ein solches ist nötig, wo das zweite eine nähere Ausführung oder den Gegensatz
des ersten bildet. So möchten wir in „holden, belebenden Blick" (904), in
„übersinnlicher, sinnlicher Freier" (3534) das überlieferte Komma nicht missen.
Bei verstärkender Wiederholung desselben Wortes, wie alles alles, immer
immer, leise leise pflegte Goethe kein Komma dazwischentreten zu lassen;
wenn die neueste Ausgabe grundsätzlich umgekehrt verfährt, so wollen wir da¬
gegen keinen Einspruch erheben. Auf manche einzelne Stellen, wo uns die
Satzzeichnung verfehlt scheint, können wir hier nicht eingehen. Als Zeichen der
Parenthese werden auch im „Faust" zuweilen zwei Gedankenstriche verwandt,
wie 2744 f.; aber die alte Satzzeichnung 518: „O Tod! ich kenn's — das ist
mein Famulus —" scheint uns doch völlig unhaltbar, da der Zusammenhang ver¬
langt: „Ich kenn's! das ist mein Famulus." Im Gebrauch der Anführungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/91>, abgerufen am 28.09.2024.