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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Mündlichkeit im Zivilprozeß.

s ist eine eigentümliche Erscheinung, daß, während Mißstände,
die in der Strafrechtspflege hervortreten, regelmäßig, wenn sie
nnr von einiger Wichtigkeit sind, sofort auch über die zur Mit¬
wirkung bei der Strafjustiz berufenen Kreise hinaus in breiten
Schichten des Volkes lebhafte Teilnahme, ja Erregung hervor¬
rufen und infolge dessen auch gewöhnlich bald eine Reaktion der gesetzgeberischen
Organe herausfordern, Fragen auf dem Gebiete der Zivilrechtspflege, und
wären sie für die Gestaltung derselben von grundlegender Bedeutuug, selten das
Interesse weiterer als der zunächst beteiligten juristischen Kreise erwecken, obwohl
es keinem Zweifel unterliegen kann, daß eine zweckentsprechende oder zweckwidrige
Gestaltung des Zivilprozesses, wenn auch die Güter, welche hierbei auf dem
Spiele stehen, den von der Strafjustiz betroffenen gewiß nicht gleichwertig sind,
die wirtschaftliche Wohlfahrt der Nation aufs tiefste und nachhaltigste beein¬
flussen muß. So ist auch die Frage nach der Bewährung des durch die Neichs-
zivilprozcßordnung in ganz Deutschland eingeführten Grundsatzes der sogenannten
Mündlichkeit weniger über die unmittelbar beteiligten fachmännischer Kreise hinaus¬
gedrungen, als sie es verdient.

Den Anstoß zu der Bewegung gab bekanntlich eine im Jahre 1883 ver¬
öffentlichte Schrift des Neichsgerichtsrats or. Bühr über den Zivilprozeß in
praktischer Bethätigung. Die Ansichten, welche der Verfasser darin aussprach,
gestützt auf eine von ihm privatim veranstaltete Ermittlung über die seit der
Einführung der Prozeßordnung in den verschiednen Rechtsgebieten gesammelten
Erfahrungen, erregten in Fachkreisen ein Aufsehen, wie es sicher seit 1879 keine
Veröffentlichung auf diesem Gebiete bewirkt hatte. Es war dies nicht zu ver-
wundern; bildete doch den Mittelpunkt der Erörterung derjenige Grundsatz der


Grenzboten I. 1888. 1


Die Mündlichkeit im Zivilprozeß.

s ist eine eigentümliche Erscheinung, daß, während Mißstände,
die in der Strafrechtspflege hervortreten, regelmäßig, wenn sie
nnr von einiger Wichtigkeit sind, sofort auch über die zur Mit¬
wirkung bei der Strafjustiz berufenen Kreise hinaus in breiten
Schichten des Volkes lebhafte Teilnahme, ja Erregung hervor¬
rufen und infolge dessen auch gewöhnlich bald eine Reaktion der gesetzgeberischen
Organe herausfordern, Fragen auf dem Gebiete der Zivilrechtspflege, und
wären sie für die Gestaltung derselben von grundlegender Bedeutuug, selten das
Interesse weiterer als der zunächst beteiligten juristischen Kreise erwecken, obwohl
es keinem Zweifel unterliegen kann, daß eine zweckentsprechende oder zweckwidrige
Gestaltung des Zivilprozesses, wenn auch die Güter, welche hierbei auf dem
Spiele stehen, den von der Strafjustiz betroffenen gewiß nicht gleichwertig sind,
die wirtschaftliche Wohlfahrt der Nation aufs tiefste und nachhaltigste beein¬
flussen muß. So ist auch die Frage nach der Bewährung des durch die Neichs-
zivilprozcßordnung in ganz Deutschland eingeführten Grundsatzes der sogenannten
Mündlichkeit weniger über die unmittelbar beteiligten fachmännischer Kreise hinaus¬
gedrungen, als sie es verdient.

Den Anstoß zu der Bewegung gab bekanntlich eine im Jahre 1883 ver¬
öffentlichte Schrift des Neichsgerichtsrats or. Bühr über den Zivilprozeß in
praktischer Bethätigung. Die Ansichten, welche der Verfasser darin aussprach,
gestützt auf eine von ihm privatim veranstaltete Ermittlung über die seit der
Einführung der Prozeßordnung in den verschiednen Rechtsgebieten gesammelten
Erfahrungen, erregten in Fachkreisen ein Aufsehen, wie es sicher seit 1879 keine
Veröffentlichung auf diesem Gebiete bewirkt hatte. Es war dies nicht zu ver-
wundern; bildete doch den Mittelpunkt der Erörterung derjenige Grundsatz der


Grenzboten I. 1888. 1
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[0009] [Abbildung] Die Mündlichkeit im Zivilprozeß. s ist eine eigentümliche Erscheinung, daß, während Mißstände, die in der Strafrechtspflege hervortreten, regelmäßig, wenn sie nnr von einiger Wichtigkeit sind, sofort auch über die zur Mit¬ wirkung bei der Strafjustiz berufenen Kreise hinaus in breiten Schichten des Volkes lebhafte Teilnahme, ja Erregung hervor¬ rufen und infolge dessen auch gewöhnlich bald eine Reaktion der gesetzgeberischen Organe herausfordern, Fragen auf dem Gebiete der Zivilrechtspflege, und wären sie für die Gestaltung derselben von grundlegender Bedeutuug, selten das Interesse weiterer als der zunächst beteiligten juristischen Kreise erwecken, obwohl es keinem Zweifel unterliegen kann, daß eine zweckentsprechende oder zweckwidrige Gestaltung des Zivilprozesses, wenn auch die Güter, welche hierbei auf dem Spiele stehen, den von der Strafjustiz betroffenen gewiß nicht gleichwertig sind, die wirtschaftliche Wohlfahrt der Nation aufs tiefste und nachhaltigste beein¬ flussen muß. So ist auch die Frage nach der Bewährung des durch die Neichs- zivilprozcßordnung in ganz Deutschland eingeführten Grundsatzes der sogenannten Mündlichkeit weniger über die unmittelbar beteiligten fachmännischer Kreise hinaus¬ gedrungen, als sie es verdient. Den Anstoß zu der Bewegung gab bekanntlich eine im Jahre 1883 ver¬ öffentlichte Schrift des Neichsgerichtsrats or. Bühr über den Zivilprozeß in praktischer Bethätigung. Die Ansichten, welche der Verfasser darin aussprach, gestützt auf eine von ihm privatim veranstaltete Ermittlung über die seit der Einführung der Prozeßordnung in den verschiednen Rechtsgebieten gesammelten Erfahrungen, erregten in Fachkreisen ein Aufsehen, wie es sicher seit 1879 keine Veröffentlichung auf diesem Gebiete bewirkt hatte. Es war dies nicht zu ver- wundern; bildete doch den Mittelpunkt der Erörterung derjenige Grundsatz der Grenzboten I. 1888. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/9>, abgerufen am 28.09.2024.