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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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aufgehoben, daß der Sündenerlaß zu jeder Zeit solchen, die bußfertig sind,
gewährt werden muß (eoelesm. . . reclermtikus xoenitsntiam adsolutionsin
imxertiri äedot), und die Buße besteht ganz allein in Reue und Leid über die
Sünde und im Glauben an die Vergebung der Sünde durch die Gnade Gottes.
Die Ohrenbeichte, die dem katholischen Priester diese ungeheure Macht über die
Gewissen verleiht, sowie alle durch den kirchlichen Strafkodex auferlegte Genug¬
thuung, die LMslÄotio oxeris, ist verworfen, und damit aller priesterlichen Macht
der Grund und Boden entzogen (ebend. Art. XII).

Zur Zeit des Augsburger Reichstages hat ein so festes Geleise der Dinge
die neue Anschauung gewonnen, daß die neue Kirche hier schon ihre ganz be¬
stimmten Normen aufstellen und festhalten mußte, so sehr, daß selbst der "Leise¬
treter" Melanchthon, der die Augustana verfaßte, nicht anders konnte, als diese
grundsätzliche Anschauung der Reformation zur Geltung zu bringen. Im zweiten
Teile dieser Oontessio (Kap. 7) wird dann vollends die klarste Scheidung dieser
beiden Gewalten, der kirchlichen und der weltlichen, der xotesws eevlesiastioa "ut
der xotesws Maul, in der Weise festgestellt, daß die erstere einfach in der
Predigt des Evangeliums, in Sündenerlaß und Sakramentsverwaltung gesehen
und dagegen eine Ausrüstung der xotestas eoelssiastieit mit weltlichen Macht¬
attributen als das schwerste Unheil betrachtet wird: "Aus solcher Verwirrung
^der Vermischung beider Gewalten) sind die größten Kriege, die heftigsten Be¬
wegungen entstanden, indem die Päpste, sich steifend auf ihre geistliche Macht...
die weltlichen Königreiche auf andre zu übertragen und dem Kaiser die oberste
Gewalt zu entreißen versuchten" (ex Iiao eontusione maxima heilg,, inn-xirni
inows exstiterunt, äuvi xcmtiüos8, krsti xotsstAte vis-vom . . . reZng. innnäi
transterre et iinxeratorilms diniere iinxerinm oonati sunt,). Die geistliche
Gewalt handelt nur von ewigen, nicht von zeitlichen Dingen (eonoeclit res
Äeterng-s), und ist darum schlechterdings auf den Dienst am Wort zu beschränken
(ortum, exsrostur xer Ministerium, verdi). Die zeitlichen Dinge stehen auf
bürgerlicher Rechtsprechung und Verwaltung, mit der die kirchliche Gewalt
gerade so wenig zu thun hat, wie die Kunst des Gesanges: "Die geistliche
Gewalt ist der politischen Verwaltung nicht im Wege, wie die Gesangskunst
der politischen Verwaltung nicht im Wege ist" (non irnxeäit xotesws Socte-
8ig.8t.iea xolit.leg.ra aämini8trg.t,ionein, sicut ars egnencli riiliil iurpeäit xotitioam
ÄämimstrMcmein). Das Gleichnis ist höchst sprechend; es zeigt, wie in der
Anschauung der Reformatoren die ganze geistliche Gewalt nur eine Funktion
ist, die, wie Kunst und Wissenschaft, ihr Leben führt innerhalb des staatlichen
Organismus, von den Organen des Staates geschützt und geleitet, soweit sie
solchen Schutzes und solcher Leitung bedarf; es kann die Kirche für den Be¬
stand des Staates einen wichtigeren und breiteren Beitrag liefern als Kunst
und Wissenschaft, aber sie ist, als nur geistigen beziehentlich geistlichen Inter¬
essen dienend, nicht mit weltlicher Gewalt auszurüsten, die erzwingbares Recht


aufgehoben, daß der Sündenerlaß zu jeder Zeit solchen, die bußfertig sind,
gewährt werden muß (eoelesm. . . reclermtikus xoenitsntiam adsolutionsin
imxertiri äedot), und die Buße besteht ganz allein in Reue und Leid über die
Sünde und im Glauben an die Vergebung der Sünde durch die Gnade Gottes.
Die Ohrenbeichte, die dem katholischen Priester diese ungeheure Macht über die
Gewissen verleiht, sowie alle durch den kirchlichen Strafkodex auferlegte Genug¬
thuung, die LMslÄotio oxeris, ist verworfen, und damit aller priesterlichen Macht
der Grund und Boden entzogen (ebend. Art. XII).

Zur Zeit des Augsburger Reichstages hat ein so festes Geleise der Dinge
die neue Anschauung gewonnen, daß die neue Kirche hier schon ihre ganz be¬
stimmten Normen aufstellen und festhalten mußte, so sehr, daß selbst der „Leise¬
treter" Melanchthon, der die Augustana verfaßte, nicht anders konnte, als diese
grundsätzliche Anschauung der Reformation zur Geltung zu bringen. Im zweiten
Teile dieser Oontessio (Kap. 7) wird dann vollends die klarste Scheidung dieser
beiden Gewalten, der kirchlichen und der weltlichen, der xotesws eevlesiastioa »ut
der xotesws Maul, in der Weise festgestellt, daß die erstere einfach in der
Predigt des Evangeliums, in Sündenerlaß und Sakramentsverwaltung gesehen
und dagegen eine Ausrüstung der xotestas eoelssiastieit mit weltlichen Macht¬
attributen als das schwerste Unheil betrachtet wird: „Aus solcher Verwirrung
^der Vermischung beider Gewalten) sind die größten Kriege, die heftigsten Be¬
wegungen entstanden, indem die Päpste, sich steifend auf ihre geistliche Macht...
die weltlichen Königreiche auf andre zu übertragen und dem Kaiser die oberste
Gewalt zu entreißen versuchten" (ex Iiao eontusione maxima heilg,, inn-xirni
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transterre et iinxeratorilms diniere iinxerinm oonati sunt,). Die geistliche
Gewalt handelt nur von ewigen, nicht von zeitlichen Dingen (eonoeclit res
Äeterng-s), und ist darum schlechterdings auf den Dienst am Wort zu beschränken
(ortum, exsrostur xer Ministerium, verdi). Die zeitlichen Dinge stehen auf
bürgerlicher Rechtsprechung und Verwaltung, mit der die kirchliche Gewalt
gerade so wenig zu thun hat, wie die Kunst des Gesanges: „Die geistliche
Gewalt ist der politischen Verwaltung nicht im Wege, wie die Gesangskunst
der politischen Verwaltung nicht im Wege ist" (non irnxeäit xotesws Socte-
8ig.8t.iea xolit.leg.ra aämini8trg.t,ionein, sicut ars egnencli riiliil iurpeäit xotitioam
ÄämimstrMcmein). Das Gleichnis ist höchst sprechend; es zeigt, wie in der
Anschauung der Reformatoren die ganze geistliche Gewalt nur eine Funktion
ist, die, wie Kunst und Wissenschaft, ihr Leben führt innerhalb des staatlichen
Organismus, von den Organen des Staates geschützt und geleitet, soweit sie
solchen Schutzes und solcher Leitung bedarf; es kann die Kirche für den Be¬
stand des Staates einen wichtigeren und breiteren Beitrag liefern als Kunst
und Wissenschaft, aber sie ist, als nur geistigen beziehentlich geistlichen Inter¬
essen dienend, nicht mit weltlicher Gewalt auszurüsten, die erzwingbares Recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/75>, abgerufen am 28.09.2024.